Maischberger-Talk zum "Lügenpresse"-Vorwurf:Wenn alle Opfer sind, wer ist dann Täter?

MAISCHBERGER

Sandra Maischberger und ihre Gäste (von links): Prof. Dr. Gerhard Vowe, Vera Lengsfeld, Ulrich Wickert, Joachim Radke und Sascha Lobo

(Foto: WDR/Max Kohr)

In Sandra Maischbergers Sendung über das Thema "Lügenpresse" dominieren bekannte Positionen. Aber manchmal liegt gerade im Wiederholen von Selbstverständlichkeiten ein Wert.

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Da hatte Sandra Maischberger am Ende recht - man hätte noch weiter reden können. Das lag vor allem daran, dass sie in ihrer Mittwochsrunde zum Thema "Vorwurf 'Lügenpresse' - Kann man Journalisten noch trauen?" kaum einen Diskussionsstrang zu Ende brachte.

Die Moderatorin hätte etwa klären können, warum Vera Lengsfeld, ehemalige Bürgerrechtlerin, Bundestagsabgeordnete und Bloggerin, in der Diskussion mit Unterstellungen aufwartet, die sie anschließend widerruft. Oder wie Zuschauer, Leser und User mit handwerklichen Fehlern der Medien, auf die auch der Journalist Ulrich Wickert und der Blogger Sascha Lobo hinwiesen, umgehen sollten.

Oder wie viel Wahrhaftigkeit das User-Verhalten des Berliner Busfahrers und Pegida-Demonstranten Joachim Radke verspricht, der etablierte und alternative Medien gleichermaßen nutzt - und sich sein Weltbild aus beiden und seinem eigenen Horizont baut. Schließlich hätte man den Einwurf des Medienwissenschaftlers Gerhard Vowe weiterverfolgen können, wonach die Glaubwürdigkeit von Medien über die Jahre in etwa gleich bleibt und keinesfalls sinkt.

Rasendes Tempo, wenig Erkenntnisse

Allerdings wurden all diese Stränge in rasendem Tempo abgehandelt, ohne dass wirkliche Erkenntnis daraus erwachsen wäre. Stattdessen war es ein Austausch der bekannten Positionen zum Thema. Aber vielleicht liegt gerade in der Wiederholung der Gewinn: In der Diskussion um die Glaubwürdigkeit von Medien können bestimmte Selbstverständlichkeiten nicht oft genug wiederholt werden.

Zum Beispiel muss immer wieder gesagt werden, dass tatsächlich niemand aus Berlin in den Redaktionen anruft, um ihnen vorzuschreiben, was sie zu berichten hätten. Das ist für User, die wiederkehrende Meinungsbilder feststellen, vielleicht schwer nachzuvollziehen. Aber es ist eine Tatsache - wie Ulrich Wickert betont, der in 15 Jahren Arbeit für die Tagesthemen nicht einen solchen Anruf erhalten habe.

Wickert und mit ihm Blogger Lobo und Wissenschaftler Vowe setzten an zu erklären, welche Gründe übereinstimmende Berichterstattung haben kann. Sie wollten darüber sprechen, inwiefern Politik tatsächlich den Medienbetrieb beeinflusst, doch weit kamen sie dabei nicht. Immerhin stellten sie klar, dass es bei so vielen Medien wie in Deutschland eben auch mal einen Konsens über bestimmte Themen geben kann. So waren sich die Journalisten im September 2015 weitgehend einig, dass die erlebte Willkommenskultur positiv sei - ganz ohne Anruf aus Berlin.

Die Glaubwürdigkeit der Medien sinkt? Nicht wirklich

Spannend war auch der Ansatz zu überlegen, seit wann die Glaubwürdigkeit in die Medien sinkt - nur gefühlt, wohlgemerkt, wie Vowe belegte. Busfahrer Radke sagte, er habe seit 2010 beobachtet, dass sich die Positionen der Parteien, etwa in Bezug auf den Euro, angleichen. Für ihn habe daher die Gründung der Alternative für Deutschland 2013 ein Vakuum gefüllt. Diesen Ansatz fand Wickert interessant, weil Radke offenbar nicht nur klare Positionen in den Medien, sondern auch in Politik und Gesellschaft fehlten.

Lobo und Radke bestritten einen Großteil der Sendung zu zweit, indem sie sich über die Angemessenheit von Galgen auf linken wie rechten Demonstrationen austauschten und versuchten, den Begriff Gleichschaltung zu klären. Dabei versäumten sie es nicht, sich gegenseitig das Verharren in Opferrollen vorzuwerfen. Wenn beide die Opfer sind - wer ist der Täter? Oder, so wurde der Pegida-Demonstrant Radke gefragt: "Wer schaltet denn die Medien gleich?" - "Wenn ich das wüsste ...", antwortete Radke hilflos.

Ebenso hilflos ruderte Vera Lengsfeld (sie saß zwischen 1990 und 2005 im Bundestag) zurück, nachdem sie Justizminister Heiko Maas unterstellt hatte, er habe den Gesetzentwurf zum Verbot von Kinderehen zum Spiegel gegeben - angeblich mit der Bitte um geneigte Berichterstattung. Maischberger wollte diesen Vorwurf belegt wissen, woraufhin Lengsfeld das "geneigte" zurücknahm.

Ihrer Meinung nach jedenfalls habe der Spiegel über den ersten Entwurf zu unkritisch berichtet, andere Medien hätten den Entwurf des SPD-Politikers danach stärker kritisiert. Ulrich Wickert merkte dazu an, dass gerade so eine Debatte gut und wichtig sei.

Von Filterblasen und verschiedenen Meinungen

Am Ende der Sendung richtete die Moderatorin angesichts von 16,3 Millionen Trump-Followern bei Twitter noch den Blick auf die Rolle der sozialen Medien. Die Wirkung von Algorithmen gebe Anlass zu Sorge, meinte Wickert. Und auch Social-Media-Experte und -Fan Lobo kritisierte, dass diese Algorithmen User in eine Filterblase setzten, in der sie trotz der vorhandenen Pluralität von Medien im Netz doch immer nur eine Perspektive gespiegelt bekämen.

Anders in den etablierten Medien: Dort gehöre es, führte Lobo aus, zum guten Ton, unterschiedliche Meinungsstücke mit verschiedenen Perspektiven anzubieten. Ein alter Hut für alle, die solche Medien nutzen. Nicht aber für jene, die die Etablierten für "Lügenpresse" halten.

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