4,4 bis 4,7 Millionen Muslime leben aktuellen Studien zufolge in Deutschland. Knappe fünf von insgesamt gut 82 Millionen Menschen gehören also dieser Religion an. Gar nicht mal so viele.
Aber die treiben es offenbar ziemlich bunt. Vor allem die Männer. Sie haben mehrere Frauen, die sie auch noch verhüllen, sie lassen ihre Töchter nicht am Schwimmunterricht teilnehmen und zwangsverheiraten sie stattdessen. Und sie wollen Frauen nicht die Hand geben. Auf diese einseitigen Vorstellungen reduzierte die Diskussionsrunde bei Sandra Maischberger den Islam und ließ den Sendungstitel rein rhetorisch wirken: "Die Islamdebatte: Wo endet die Toleranz?"
Allein diese Frage! Als wäre die Toleranz gegenüber 4,4 bis 4,7 Millionen Menschen so langsam ausgereizt. Jetzt ist es auch mal gut! Millionen integrierte Muslime, die Deutschland als ihre Heimat sehen oder gar hier geboren wurden, dürften angesichts dieser Suggestivfrage auf dem Sofa rot angelaufen sein. Vor Wut, Enttäuschung, vielleicht auch Fremdscham. Ehrlich, ARD?
Talkshows können beeinflussen, was Leute denken
In der Sendung sagt CDU-Ministerin Julia Klöckner an einer Stelle: "So wird Integration nie gelingen." Das hätte auch als Unterzeile für die Sendung gepasst. Oder als Bauchbinde, als Maischberger allen Ernstes fragte, wie bedrohlich ein muslimischer Präsident in Europa sei. Das sollte vermutlich eine Anspielung auf Erdoğan sein. Doch wer diese Frage so stellt, verkennt, dass selten die Religion einen politischen Zündler definiert und treibt. Sie ist, wenn überhaupt, ein vorgeschobener Grund, um Machtinteressen durchzusetzen.
Talkshows können beeinflussen, was Leute denken und sollten aus diesem Grund sorgsam mit der Wahl von Thema und Titel sein. In dieser Woche bewies die ARD dabei kein besonders gutes Händchen. Frank Plasberg provozierte am Montag bei "Hart aber fair" bereits mit der Frage, ob Flüchtlinge überhaupt integriert werden könnten. Am Mittwoch sollte Maischberger im Anschluss an die Spielfilm-Adaption von Michel Houellebecqs "Unterwerfung" über das darin vorkommende dystopische Gesellschaftsbild diskutieren (in "Unterwerfung" verwandelt sich Frankreich unter einem muslimischen Präsidenten in einen islamistischen und demokratiefeindlichen Staat).
Talkshows und Populismus:"Selbst wenn die AfD nicht in Talkshows sitzt, sind ihre Inhalte omnipräsent"
Frank Plasberg will Alexander Gauland nicht mehr einladen. "Richtig" sagt der Politikberater Johannes Hillje. Das Problem sei aber, dass Sendungen zum Teil längst die Positionen der AfD übernommen hätten.
An sich ein hehres Anliegen. Aber mit ihrer Formulierung gab die Maischberger-Redaktion einer differenzierten Debatte keine wirkliche Chance. Ganz davon abgesehen, dass sie selbst vom Thema ablenkte, indem sie den Titel kurz vor der Sendung noch einmal änderte.
Usprünglich sollte die Ausgabe unter der Frage "Sind wir zu tolerant gegenüber dem Islam?" laufen. Ein Schelm, wer denkt, die Redaktion habe einen drohenden Shitstorm abwenden wollen. Um eines klarzustellen: Beide Themen - Flüchtlinge bei Plasberg und der Islam bei Maischberger - sind es wert, diskutiert zu werden. Aber in beiden Fällen suggerierte schon der thematische Zuschnitt, wie die Diskussion verlaufen würde. "Im Fall der Sendungstitel lautet die Assoziierungskette: Flüchtlinge, Integrationsunvermögen, Unsicherheit", erklärt der Politik- und Kommunikationsberater Johannes Hillje den sogenannten Framing-Mechanismus am Beispiel Plasberg.
Ein bisschen mehr Gespür für die aktuelle Stimmung hätte den Maischberger-Verantwortlichen gutgetan. Ihr Vorgehen war im besten Fall gedankenlos, im schlimmsten Fall kalkuliert provokant. Harsche Kritik und Häme im Netz folgten prompt - trotz oder vielleicht gerade weil der Titel in letzter Minute minimal entschärft wurde.
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Man hätte schließlich auch fragen können: Wie real ist unsere Angst vor dem Islam? Oder: Ist diese Angst übertrieben? Vielleicht auch: Wie übertrieben ist unsere Angst? Mit ein paar einfachen sprachlichen Kniffen hätte leicht eine ganz andere Sendung daraus werden können. Aber so war die Prämisse von vornherein: Islam und Deutschland - wir haben ein Problem.
Der Imam, der Klöckner nicht die Hand geben wollte
Ähnlich provokant und unversöhnlich verlief dann auch die Diskussion. Klöckner verteidigte vehement die Rechte der Frauen ("Das ist ein krudes Geschlechterbild") und ließ dafür jegliches Verständnis für die islamische Religion sausen. In der türkeistämmigen Soziologin Necla Kelek fand sie in ihrer Islamkritik eine Gleichgesinnte ("Der Islam ist eine Herrenreligion"). Beide beharkten sich zwischendrin so lautstark mit Haluk Yıldız, Vorsitzender der Migrantenpartei BIG, dass Maischberger die Diskutanten nur mit Mühe wieder einfangen konnte.
Gut, dass Bettina Gaus in der Runde saß. Die taz-Journalistin war kurzfristig für die bayerische SPD-Vorsitzende Natascha Kohnen eingesprungen - sie war das Beste, was Maischberger und der Sendung passieren konnte. Sie halte all das für eine "überflüssige, symbolisch aufgeladene Debatte", sagte sie, als es ausufernd lang darum ging, wie verwerflich es nun gewesen sei, dass ein Imam CDU-Frau Klöckner nicht die Hand geben wollte. Wenn manche Punkte als Symbole dienten und Misstrauen schürten, da beginne Islamophobie, so Gaus. Es sei gefährlich, wenn unmenschliche Praktiken, die es auch in anderen Kultur- und Religionskreisen gäbe, auf den Islam reduziert würden, wie etwa die Beschneidung bei jungen Mädchen und Frauen.
Oft, wenn die Runde sich in Debatten über Details verlor, betonte Gaus, sie wünsche sich mehr Lebensnähe. Vor allem im Vergleich zu ihrem Journalistenkollegen Jan Fleischhauer vom Spiegel brachte Gaus verständliche Argumente - und Ruhe in die aufgeladene Diskussion. Leider konnte Gaus allein die Sendung nicht retten.
Um Vorurteile und falsche Denkrichtungen zu schüren, brauchen Talkshows gar nicht erst die AfD. Denn wie über Themen gesprochen und diskutiert wird, können sie ganz gut allein versemmeln. "Manchmal erscheint es mir, als gebe es mehr Islam-Experten als Muslime", monierte BIG-Mann Yıldız an einer Stelle. Wie war das noch mal mit der Lebensnähe?