Maischberger-Talk zu Köln:German Angst is back

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Sandra Maischberger posiert in der Kulisse ihrer neuen Talksendung "Maischberger". (Foto: dpa)

Die Sendung von Sandra Maischberger soll politischer werden. Doch Istanbul und IS, Asyl und Angst sowie Silvester in Köln - das ist zu viel für 75 Minuten.

TV-Kritik von Oliver Klasen

Wenn Demokratie vom Streit lebt, ist es dann ein schlechtes Zeichen für eine politische Talkshow, wenn sich CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer und der Grünen-Innenpolitiker Volker Beck einig sind? Normalerweise sind die beiden, was ihre Weltsicht betrifft, so weit auseinander wie - sagen wir - musikalisch David Bowie und Helene Fischer.

Doch an diesem Abend sagt Scheuer gleich am Anfang: "Ich bin ja bei Herrn Beck" und das gilt in zweifacher Hinsicht, nämlich bei der Frage nach der besten Strategie gegen das Morden des IS und bei der Frage, ob die Münchener Polizei angesichts der Terrordrohung an Silvester richtig reagiert hat.

"Menschen bei Maischberger" hieß die Sendung früher. Jetzt heißt sie nur noch "Maischberger", wurde von Dienstag auf Mittwoch verlegt und ist nicht mehr der Unterhaltungs-Abteilung des WDR zugeordnet. Folgerichtig will die Redaktion - frei nach Willy Brandt - mehr Politik wagen. Das ist den Zuschauern offenbar zumutbar, weil in der ARD von einstmals fünf nur drei Talkshows übriggeblieben sind und also die Gefahr gebannt ist, dass ständig der liebe Wolfgang Bosbach von der CDU auf irgendwelchen Studiosesseln sitzt.

Maischberger schafft keine Ordnung im Wust der Angst-Themen

"Übergriffe in Köln, Terror in Istanbul - Angstrepublik Deutschland" heißt das Thema. "Wenn Sie sich unsicher fühlen, dann sind Sie in bester Gesellschaft", sagt Sandra Maischberger gleich am Anfang. Die German Angst, jenes vermeintlich hierzulande typische und besonders starke Gefühl der Sorge um die Zukunft, das besiegt zu sein schien, ist mit aller Macht zurück.

Es sind auch ein bisschen viele Alarmmeldungen gerade und alles hängt scheinbar mit allem zusammen. Der IS trägt den Terror nach Europa, tötet in Paris und in Istanbul, führt gleichzeitig Krieg in Syrien und Irak. Unter anderem deshalb flüchten die Menschen nach Deutschland, genau wie diejenigen, die in Eritrea vor Bevormundung fliehen oder in Marokko keine Perspektive mehr sehen. Angela Merkel sagt: "Wir schaffen das", aber einige Hundert von mehr als einer Million Neuankömmlingen haben in Köln und anderen Städten Frauen sexuell missbraucht. Schlimm genug, was aber natürlich Wasser auf die Mühlen von Pegida und Co ist., die jetzt noch besser gegen Flüchtlinge hetzen können. Dabei nutzen sie Argumente, die früher auch von Feministinnen kamen, während die sagen, dass sexueller Missbrauch nicht alleine ein Problem muslimischer Gesellschaften ist. Puh.

Es ist sehr ehrenwert, dass Maischberger Ordnung in all die Debatten bringen will, die in den vergangenen Tagen so oft durcheinandergingen. Die Gästeauswahl - zwei Politiker, zwei Experten, eine Journalistin, ein Vertreter der Muslime in Deutschland, eine betroffene Frau aus Köln - ist halbwegs ausgewogen. Doch nach 75 Minuten bleibt der Eindruck: Maischberger hat sich verhoben. Musste sich verheben.

Im ersten Teil der Sendung geht es um den Terror der Extremistenmiliz, den Aiman Mazyek, der Vorsitzende des Zentralrates der Muslime, gerne "sogenannter Islamischer Staat" nennen will. Der aus London zugeschaltete Terrorismusexperte Peter Neumann referiert, was wir wissen und was wir nicht wissen über das Attentat von Istanbul, das in Deutschland mit einer seltsamen Resignation aufgenommen wird. Anschließend entwickelt sich eine wenig zielführende Diskussion darüber, ob die Anschlagsgefahr in Deutschland durch das Eingreifen in den Syrien-Krieg nun gestiegen sei oder nicht. Das habe wohl nur einen "minimalen Impact", sagt Neumann. Aha.

Beim Thema Köln wird die Sendung menschlich - und gewinnbringend

Das Thema Köln wird eingeleitet durch einen Einspielfilm, in dem einigen Medien, auch der SZ, vorgeworfen wird, sie hätten bei der Darstellung der Ereignisse in Köln die journalistische Distanz fallen lassen. Danach dauert es mehr als 20 Minuten, bis Michelle zu Wort kommt, eine 18-jährige Studentin, die eine Betroffene aus der Silvesternacht ist. Sie steigt nicht in die politischen Debatten ein, sondern erzählt einfach, wie es war vor dem Hauptbahnhof.

"Man denkt, es ist sicher in Deutschland", sagt sie. Zuerst habe es nur voll, aber nicht bedrohlich bewirkt, aber dann seien da "ohne das jetzt böse zu meinen, plötzlich nur noch Ausländer" gewesen. "Nach 30 Sekunden waren wir umzingelt und konnten nirgendwo mehr hin." Auch ihre Gruppe, elf Personen, "immerhin die Hälfte Jungs", habe sie nicht schützen können. Die jungen Männer seien gezielt weggeschubst worden und es sei "kein Ansprechpartner von der Polizei" da gewesen. Die Hand ihrer Freundin festzuhalten sei ihr dann wichtiger gewesen, als sich vor den Übergriffen zu schützen.

Es ist nicht die erste Schilderung aus den Reihen der Frauen, die in Köln angegriffen wurden. Trotzdem ist sie gewinnbringend, weil klar wird, warum die Zahl der Anzeigen erst nach und nach auf bislang mehr als 600 gestiegen ist. Anfangs hätten die Polizisten kaum nach den sexuellen Übergriffen gefragt und vier ihrer Freundinnen hätten auf eine Anzeige verzichtet, sagt Michelle. Erst "weil das Thema jetzt in den Medien ist", sei ihnen bewusst geworden, dass sie ernst genommen werden. "Aber hätte es nicht von Anfang an wichtig sein müssen?", fragt Michelle.

Die Darstellung der jungen Frau markiert nur eine kurze Politikpause in der Sendung. Es bilden sich danach gewissermaßen zwei Streitpärchen: Zentralratschef Mazyek und Chantal Louis, die bei der Frauenzeitschrift Emma als Redakteurin arbeitet, zanken über das Frauenbild im Islam. Louis prangert eine "große Frauenfeindlichkeit in Teilen des migrantischen Milieus" an, spricht von Vergewaltigungen in Ägypten, in Afghanistan und in Saudi-Arabien. Mazyek keilt zurück: "Was interessiert mich Saudi-Arabien?". Das Narrativ vom "testosterongesteuerten muslimischen Mann" sei nichts als ein "Ammenmärchen" und im Übrigen verbiete der Islam Alkohol und so ziemlich alles, was die Täter von Köln getan haben.

Und zwischendrin entwickelt sich doch noch ein milder Disput zwischen Grünen-Politiker Beck und Scheuer. Der CSU-Mann fragt, warum man denn so viele Algerier und Marokkaner und damit auch die Probleme ins Land geholt habe. Nach bayerischer Väter Sitte rühmt er dann noch die Verdienste seiner Christsozialen. In München gebe es eben eine "Deeskalation durch Stärke", die die Kollegen in Köln offenbar nicht hinbekämen.

Beck findet das "sehr billig" und weist Scheuer auf den Widerspruch hin, dass dieser sich über "zu viele Männer unter den Flüchtlingen" beklage, aber den Familiennachzug verhindern wolle.

Wertvolle Einzelgedanken - aber keine Synthese

Dem Experten Christian Pfeiffer, der lange das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen geleitet hat, obliegt es, zumindest in Ansätzen den Motiven der Täter nachzuspüren. Das seien "Verlierer, die von einer Machokultur geprägt sind". Den Frust, der sich in ihnen aufgestaut habe, weil sie "kein Geld haben und auch kaum Chancen, an welches zu kommen", habe sich an Silvester in Gewalt entladen.

Aber was tun? Es gebe Hoffnung, dass die Machokultur mit der Zeit schwächer wird, sagt der Kriminologe. Bei jungen Türken in Deutschland, die er befragt habe, sei die Zustimmung zu Aussagen, die eine Überlegenheit des Mannes gegenüber Frauen stützen, zwischen 1998 und heute um 30 Prozentpunkte gefallen. Grünen-Politiker Beck wirft dann noch ein, dass die Machokultur auch in Deutschland ziemlich lange ziemlich dominant war und die Vergewaltigung in der Ehe erst 1997 unter Strafe gestellt wurde.

Es sind dies alles wertvolle Einzelgedanken. Es gelingt Sandra Maischberger aber nicht mehr, sie zu einer Art Quintessenz zusammenzuführen. So bleibt das unangenehme Gefühl, dass alles mit allem zusammenhängt, bestehen und man ertappt sich dabei, dass man "Menschen bei Maischberger" doch ganz gerne mochte.

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