Süddeutsche Zeitung

"Maischberger" zu eskalierter Corona-Demo:Die Justizministerin verpasst ihren Moment

Wie lassen sich Bilder wie die vom Wochenende vor dem Bundestag verhindern? SPD-Ministerin Lambrecht verweist auf das Maskengebot, das künftig auf Berliner Demos gelte - Moderatorin Maischberger reagiert mit Sarkasmus.

TV-Kritik von Christoph Koopmann

Es hätte Christine Lambrechts Moment werden können an diesem Mittwochabend im Fernsehstudio von Sandra Maischberger. Doch just als sie anhebt zu ihrer womöglich zentralen Aussage, da kommt etwas dazwischen. Mitten im Satz rauscht der Ton, die Moderatorin ruft "Hups" und der Rest des Satzes geht unter in allgemeiner Verwirrung.

Gerade wollte die Bundesjustizministerin in Maischbergers ARD-Talk erklären, wie sie denn zu reagieren gedenke auf das, was am Wochenende in Berlin passierte. Seit Teilnehmer der Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen zu Dutzenden die Treppen des Reichstagsgebäudes erklommen und schwarz-weiß-rote Flaggen schwenkten, wird schließlich fleißig debattiert über den richtigen Umgang damit.

"Diese Bilder, die da um die Welt gegangen sind, die sind verheerend", sagt Ministerin Lambrecht also. Zwar seien nur wenige Menschen beteiligt gewesen an der Aktion, "aber es ist ja ein Signal". Und Lambrecht sagt: "Es wurde versucht...", Rauschen, Hups, vorbei die Spannung. Lambrecht gibt sich ungerührt: "Es wurde versucht, zu suggerieren, man könne diese Demokratie aus den Angeln heben." Man hätte das schon als starkes Statement, als klare Positionierung der Justizministerin werten können. Und Lambrecht schaut so ernst, als hätte sie noch ein paar gewichtige Sätze folgen lassen wollen. Hätte da nicht auch noch jemand aus dem Off ein "Hallo?" ins Studio gebrummt.

Als sie sich zurechtzufinden schien, kam die Pandemie dazwischen

Man könnte das Gefühl bekommen, dass immer irgendetwas dazwischenkommt bei Christine Lambrecht. Nach Annegret Kramp-Karrenbauer ist die SPD-Politikerin das dienstjüngste Kabinettsmitglied, gerade etwas mehr als ein Jahr ist sie Ministerin. Just als sie sich im Frühjahr dieses Jahres zurechtzufinden schien im neuen Amt, als sie im Kampf gegen Kindesmissbrauch und Hasskriminalität schärferes Vorgehen verkündet hatte, da kam ihr diese Pandemie dazwischen. Und Pandemien, das dürfte mittlerweile bekannt sein, sind die Zeiten der Kanzlerinnen, Gesundheits-, Finanz- und Wirtschaftsminister.

Ein bisschen so läuft es auch am Mittwoch, schon vor der Tonpanne. Eigentlich sollte sich die traditionell themenreiche Sendung, die sich recht unbescheiden "Maischberger. Die Woche" nennt, um Lambrecht und die Demonstranten drehen. Nur verkündete am Nachmittag die Kanzlerin, dass die Vergiftung des russischen Regierungskritikers Alexej Nawalny mittlerweile gesichert sei, und so beginnt auch die Sendung nicht mit Lambrecht, sondern mit Russland.

Etwas verspätet darf die Justizministerin dann doch zum Zwiegespräch mit Maischberger Platz nehmen und bekommt erst einmal ein paar recht passable Vorlagen serviert von der Moderatorin. Ob sie derzeit ähnlichen Hass erlebe wie Gesundheitsminister Jens Spahn, der im Zuge der Corona-Proteste jüngst arg beschimpft wurde? In dieser Dimension nicht, aber schon auch, ja. Ob die Demonstranten "Covidioten" seien, wie SPD-Chefin Saskia Esken neulich sagte? Nein, die Protestierenden hätten teils auch nachvollziehbare Gründe für ihren Frust.

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Da wird es langsam interessanter. Es wäre immerhin leicht zu sagen, mit den selbsternannten Querdenkern müsse man gar nicht erst groß diskutieren. Aber Lambrecht sagt: "Man muss selbstverständlich ins Gespräch kommen mit denen, die sachliche Argumente vorbringen." Nur sei ihre Geduld eben am Ende, wenn jemand behaupte, Deutschland sei noch immer besetzt. Oder wenn jemand sage, die Welt sei von Echsen gesteuert. Sandra Maischberger präzisiert: "Angela Merkel ist eine Echse." Da fürchtet man reflexartig um die Talkmasterin, aber nur kurz.

Schnell befragt sie die Justizministerin weiter, wie sie im Umgang mit den Demonstranten eine Balance finden will zwischen Zuhören einerseits und Grenzen setzen andererseits. Das anfängliche Demo-Verbot, das Berlins Versammlungsbehörde erlassen hatte, findet Lambrecht "zumindest nachvollziehbar", schließlich seien bewusste Verstöße gegen die Corona-Bestimmungen angekündigt gewesen. Das Berliner Verwaltungsgericht allerdings fand das nicht so nachvollziehbar und kippte bekanntermaßen das Verbot. "Wir sind eine funktionierende Demokratie, und dazu gehört auch, dass man Entscheidungen vor Gericht überprüft", sagt Lambrecht dazu nur.

Überhaupt, die Sache mit der Politik und den Gerichten. Gesundheitsminister Jens Spahn hat zuletzt noch einmal bekräftigt, dass manche Corona-Beschränkung aus dem Frühjahr rückblickend sicher diskussionswürdig war. Lambrecht aber mag ihrem Kabinettskollegen da nicht wirklich zustimmen.

Dabei wurden und werden noch immer zahlreiche Einzelmaßnahmen von Gerichten kassiert, vor ein paar Tagen zum Beispiel das stadtweite nächtliche Alkoholverbot auf den Straßen und Plätzen Münchens. Da sagt Lambrecht, das Gericht habe nur die Gültigkeit für das gesamte Stadtgebiet bemängelt, aber Verbote an "Hotspots" erlaubt. Auf Maischbergers Frage, ob da nicht vielleicht grundsätzlich etwas im Argen liege, wenn die Justiz überhaupt so oft eingreife, erwidert Lambrecht: "Es gab aber auch viele Dinge, die Bestand gehabt haben." Dafür erntet die Ministerin nur Maischbergers berüchtigtes Lächeln, das mit "süffisant" nur unzureichend beschrieben wäre.

"Das Versammlungsrecht ist ein hohes Gut"

Wenn dieses Lächeln aufblitzt, dann bedeutet das für Maischbergers jeweiligen Gast in der Regel nichts Gutes, erst recht nicht, wenn es noch einmal aufscheint. Zum Beispiel, als Maischberger von Lambrecht wissen will, wie man "solche Bilder" wie die vom Wochenende künftig verhindern könnte. "Berlin hat reagiert", sagt Lambrecht, schließlich gelte nun bei künftigen Demos Maskenpflicht.

Da unterbricht Maischberger. "Mit Verlaub, in Zukunft dürfen die Reichsbürger dann mit Mund-Nasen-Schutz direkt vor dem Reichstag demonstrieren?" Lambrecht bleibt zwar vage, aber das Argument nimmt man ihr ab: "Das Versammlungsrecht ist ein hohes Gut." Man müsse jedoch prüfen, "wo in Zukunft Demonstrationen stattfinden und welche Vorkehrungen dafür zu treffen sind". Das ist auch schon das Konkreteste, was sich die Justizministerin nach dem zwischenzeitlichen Tonaussetzer entlocken lässt.

Dabei übertrafen sich Kommentatoren seit Samstag mit Ideen, wie weitere Bilder von Protestierenden auf den Treppen diverser Verfassungsorgane zu verhindern seien. In den vergangenen Tagen wurde so viel über befriedete Bezirke, Bannmeilen und -kreise, über Barrikaden und Gräben gesprochen, dass einem ganz sperrig zumute werden konnte in Deutschland, immerhin Land der Hecken und Gartenzäune. Nichts dergleichen aber von Christine Lambrecht.

Auf ein mögliches Verbot der Reichskriegsflagge und ihr artverwandter Fahnen spricht Maischberger sie erst gar nicht an. So bleibt es am Ende bei eher sanften Appellen der Justizministerin. Allerdings ist es auch schwer, an diesem Abend bei Maischberger mit klaren Parolen zum Thema Corona zu glänzen, erst recht im Vergleich zu einem Gast der vergangenen Woche: Der hieß Markus Söder.

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