"Maischberger" zum Gesundheitswesen:Kliniken in der Krise, Kranke in Gefahr - bei uns doch nicht!

Maischberger zum Gesundheitswesen

Die ehemalige Ärztin Maike Manz (Mitte) kam zu selten zu Wort. Lobbyist Gerald Gaß dagegen zu oft.

(Foto: WDR/Max Kohr)

Ein Lobbyist bekommt viel Bühne und eine ausgestiegene Ärztin zu wenig: Die Diskussion über Profitgier und Fehlanreize im Gesundheitswesen gerät zur Farce.

TV-Kritik von Werner Bartens

Nur mal angenommen, man würde nach Jahren in der Inneren Mongolei zurück auf dem heimischen Sofa "Maischberger" in der ARD sehen, Staunen und Schrecken nähmen kein Ende. Schließlich wurden ungeheure Dinge in der Talkrunde am Mittwochabend angesprochen: Krankenhäuser ordnen die Gesundheit der Patienten dem Profit unter. In Deutschland wird zu oft und oftmals unnötig operiert. Manchen Ärzten geht es vor allem ums Geld. Der Personalmangel in der Pflege gefährdet das Wohl der Kranken.

Man muss schon lange auf Expedition oder gar verschollen gewesen sein, um von diesen Missständen noch nichts gehört zu haben. Das angesehene Fachmagazin British Medical Journal hat bereits 2002 im Themenheft "Too much medicine" vor überflüssigen Eingriffen und Untersuchungen gewarnt. Und 2011 wurde von mehreren internationalen Fachgesellschaften die Initiative "Choosing wisely" gegründet (auf Deutsch: "Klug entscheiden"), die eine Top-5-Liste der unnötigen Behandlungen in jeder medizinischen Disziplin auflistet. Sachverständige im Gesundheitswesen bezeichnen Überdiagnostik und Übertherapie längst als eine der größten Gefahren für Patienten.

Umso absurder mutete die Diskussion an, in der Sandra Maischberger ihren Gästen tapfer zu entlocken versuchte, welche Bedrohung eine zuvorderst ökonomisch motivierte Medizin für die Patienten darstellt. Aber wieso überhaupt Bedrohung? Gerald Gaß, Chef der Deutschen Krankenhausgesellschaft und damit des größten Lobbyvereins der Kliniken, relativierte und verniedlichte geschmeidig die Fehlanreize im System, sprach von Einzelfällen und dass er den Problemen nachgehen werde, wenn tatsächlich etwas dran sein sollte.

Karin Maag führt zwar den Titel gesundheitspolitische Sprecherin der Unionsfraktion, würde bei der hypothetischen Erhebung Diese-Politikerin-ist-mir-unbekannt aber bestimmt weit vorne liegen. Die CDU-Frau hatte wenig zu sagen, war aber irgendwie dafür, wobei unklar blieb, für was, so dass die Redaktion kapitulierte und als Bauchbinde die Zuschreibung wählte: "Verteidigt das Gesundheitssystem".

Das konnte man von Maike Manz nicht behaupten; für sie hätte das Insert "Verzweifelt am Gesundheitssystem" gepasst. Die ehemalige Chefärztin der Geburtshilfe hatte ihre Stelle im Dezember 2018 gekündigt. Für sie waren die Zustände im Beruf nicht mehr tragbar, sie hielt das Ungleichgewicht zwischen betriebswirtschaftlichen Anforderungen und ihrem ärztlichen Gewissen nicht mehr aus. Manz redete klar und machte deutlich, dass es nun mal nicht zu einer guten Medizin passt, wenn Ärzte früh lernen, Erlöse erwirtschaften zu müssen, ihr ärztlicher Anspruch aber dem Nutzen der Patienten verpflichtet ist. Wenn der Arzt zum Verkäufer wird, hat die Gesundheit verloren.

Von Manz hätte man gerne mehr gehört. Sie erklärte prägnant und ehrlich, dass es wohl jeder Arzt schaffen könne, einen Patienten zu einer Untersuchung oder Operation zu überreden. Spätestens der anbiedernde Satz "Bei meiner Frau würde ich jetzt auch einen Kaiserschnitt machen", führt jede Schwangere, die eigentlich eine natürliche Geburt wollte, in den OP-Saal.

Längst entkräftete Mythen werden aufgewärmt

Manz kam leider zu selten zu Wort, was auch daran lag, dass Stern-Redakteur Bernhard Albrecht und Fernsehmoderator Eckart von Hirschhausen immer wieder aufgefordert wurden, zu erklären, warum die Profitgier der Kliniken den Patienten schade. Leider war Albrecht erkältet und Hirschhausen wollte hauptsächlich die Kommunikation in der Klinik verbessern.

Letzteres ist ein ehrenwertes Anliegen, Ersteres bedauerlich. Die doppelte Unpässlichkeit führte dazu, dass vieles ungenau oder missverständlich war, der Laie verwirrt zurückbleiben dürfte und Krankenhaus-Lobbyist Gaß längst entkräftete Mythen aufwärmen konnte, wonach die Operationszahlen nur so stark steigen, weil die Menschen immer älter werden. Zudem sei er sowieso überzeugt, dass keinem Patienten etwas aufgeschwatzt werde.

Sogar der Tatsache, dass in vielen Kliniken aus Gewinnsucht komplexe Operationen oder Behandlungen vorgenommen werden, obwohl die Ärzte kaum Erfahrung damit haben, konnte Gaß mit dem Hinweis auf "Mindestmengen" begegnen, ohne dass ihm widersprochen wurde. Dabei sind diese Mindestmengen lächerlich gering. Die Behandlung extrem untergewichtiger Frühgeborener ist beispielsweise schon erlaubt, wenn die Klinik 14 solcher Fälle im Jahr versorgt. Bei einigen komplexen Operationen liegt die Grenze bei 25 Eingriffen - nicht für den einzelnen Operateur, sondern für die gesamte Klinik. Dass es bei so wenig Übung häufiger zu Komplikationen und Todesfällen kommt, ist dutzendfach nachgewiesen worden, trotzdem ändert sich nichts.

Um der Runde mehr Praxisnähe zu geben, wurde kurz vor Schluss Krankenschwester Jana Langer dazugebeten; was in etwa der Rolle entspricht, die der Pflege im Gesundheitswesen zukommt. Langer hatte vor zwei Jahren einen Brandbrief an Angela Merkel geschrieben und gewarnt, dass der Aufenthalt in der Klinik zur tödlichen Falle werden könnte, wenn Patienten nur als Wirtschaftsfaktor gesehen werden und sich nichts am Personalmangel ändert. Eine treffende Einschätzung, die aber inmitten der Verleugnungsrituale des Herrn Gaß und dem Zahlenwirrwarr der anderen wenig Gehör fand. Überrascht hätte sie aber wohl auch nur jene, die mehrere Jahrzehnte in der Inneren Mongolei verbracht haben.

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