Jemand fehlt an diesem Mittwochabend in der TV-Runde von Sandra Maischberger: Jemand, der Ahnung hat. Eine Expertin für Verfassungsrecht etwa. Die hätte ganz nüchtern erklären können, warum sich das Bundesamt für Verfassungsschutz jetzt mit der AfD beschäftigt. Ist das ein außergewöhnlicher Fall? Wie ist das historisch einzuordnen? Wie steht der Rechtsstaat dazu? Ist das ungerecht gegenüber dieser Partei oder nicht?
So aber dürfen die Gäste die Sendung dazu nutzen, die Debatte mit Verdächtigungen, Halbwahrheiten und halbgaren Behauptungen zu überschwemmen. Sie machen die Sendung zu einer Plattform für skurrile Stimmungsmache. Nicht aber für Aufklärung und Erläuterung. Es ist schlimm teilweise. Hoffentlich schauen nicht viele zu.
Verfassungsschutzchef Haldenwang:"Anhaltspunkte" für demokratiefeindliche Bestrebungen der AfD
Bei zwei Teilgruppierungen der Partei sieht der Verfassungsschützer sogar "extremistische" Tendenzen. Die AfD spricht von "politischem Druck" und verweist auf die Absetzung des früheren BfV-Präsidenten Maaßen.
Die Sendung heißt: "Bedroht die AfD die Demokratie?" Anlass ist der Beschluss des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV), die Partei als Ganzes zum Prüffall zu erklären. Und den extremen Teil namens "Flügel" sowie die Jugendorganisation "Junge Alternative" zum Verdachtsfall. Letzteres ist entscheidend, weil in einem Verdachtsfall auch mit nachrichtendienstlichen Mitteln gearbeitet werden darf. Das kann für die Protagonisten unangenehm werden.
Die Maischberger-Redaktion hat offenbar Sportsgeist beweisen wollen: Sie hat gleich drei Gäste eingeladen, die die BfV-Beobachtung der AfD wüst ablehnen.
Erstens Alexander Gauland, Bundesvorsitzender der AfD. Der ist schon als persönlich Betroffener empört über den Verfassungsschutz: Er und seine Partei seien die Opfer eines politisch motivierten Angriffs, um eine Oppositionspartei "mundtot zu machen", sagt er.
Zweitens Jörn Kruse, ehemaliger Vorsitzender der Hamburger AfD-Fraktion, der die Partei nach den rechten Demonstrationen in Chemnitz verlassen hatte. Ein Aussteiger zwar, der Gauland zuweilen frontal angreift, weil dieser als Vorsitzender nichts gegen die rechten Umtriebe mache. Doch Kruse sagt auch: "Der Verfassungsschutz ist ein Spielball der Parteien."
Drittens der frühere ZDF-Moderator Wolfgang Herles, heute unter anderem Autor auf der rechts-konservativen Internetplattform Tichys Einblick. Herles macht gleich zu Beginn klar, wo er steht und auf welchem Niveau er zu argumentieren gedenkt. Das Vorgehen des Verfassungsschutzes sei eine Schwäche der Demokratie. Die echten Missstände im Land seien nicht die Vorgänge in der AfD, sondern die zu lange regierende große Koalition sowie ihrer politischen Inhalte, die alternativlos durchgewinkt würden.
Teils rassistische, diskriminierende und zu Gewalt aufrufende Sätze von AfD-Leuten wie Björn Höcke nennt er zwar "Unsinn". Damit müsse sich aber nicht der Verfassungsschutz beschäftigen.
Über diese Sendung können sich AfD-Anhänger mal nicht beschweren
Wie gesagt: Ein Verfassungsrechtler wäre hier dringend notwendig gewesen. Anhänger der AfD aber, die glauben, ihre Positionen würden in Talkshows zu wenig diskutiert werden, können sich über diese Maischberger-Sendung sicher nicht beklagen.
Als Gegenspielerin hat die Redaktion ausgerechnet Katja Kipping eingeladen, Parteivorsitzende der Linken. Die radikalen Teile ihrer Partei werden ebenfalls vom Verfassungsschutz beäugt. Die Behörde selbst würde sie lieber heute als morgen abschaffen. Auch sie ist folgerichtig gegen die Beobachtung der AfD. Gauland gibt das Bonmot sogleich zurück und verurteilte die Beobachtung der Linken durch das BfV. Eine illustre Runde ist das.
Auch hier wäre eine fundierte Einschätzung, wie und ob das zu vergleichen ist, schön gewesen. Aber Fehlanzeige.
Als Stimme der politischen Mitte sitzt CDU-Mann Herbert Reul in der Runde, Innenminister von Nordrhein-Westfalen. Doch er alleine kann dem Keifen und Klagen kaum etwas entgegensetzen. Nur einmal wird er etwas lauter: Als Gauland einige Aussagen von Björn Höcke mit der sogenannten geistig-moralischen Wende Helmut Kohls in den achtziger Jahren gleichsetzt. Reul verwahrt sich dagegen. Herles stimmt natürlich zu: "Das ist Unsinn."
Zum Glück sitzt Melania Amann in der Runde. Sie ist Journalistin des Spiegel, beschäftigt sich seit sechs Jahren mit der AfD und kennt den 436-Seiten-Bericht des BfV. Amann findet es richtig, dass die AfD beobachtet werde. Das Gesamtbild zeige eine Radikalisierung der Partei. Minderheiten, Muslime oder Flüchtlinge würden pauschal verurteilt und verbal erniedrigt. Der politische Gegner werde dämonisiert, Hass und Hetze über ihn ausgeschüttet. "Der Gegner wird als Volksfeind diffamiert. Wenn das nicht verfassungsfeindlich ist, weiß ich auch nicht", sagt Amann.
Der verdächtige "Flügel" der AfD ist eine Gruppierung um den thüringischen Landesvorsitzenden Höcke und Andreas Kalbitz, Chef und Spitzenkandidat der AfD-Brandenburg, sowie einem regen Netzwerk in Sachsen. Auch Gauland wird dem Kreis zugerechnet. Das Gutachten des BfV attestiert der Gruppe eine "völkisch-nationalistische Ideologie". Allein Höcke sind in dem Bericht etwa 50 Seiten gewidmet, 608 Mal kommt sein Name vor.
In der Sendung sind mehrere seiner Sätze zu hören, unter anderem, dass bei der Rückeroberung des Landes und der Rückabwicklung der Migration "menschliche Härten und unschöne Szenen" sich nicht immer vermeiden lassen würden. Woraufhin Gauland einwarf, er halte Höcke weder für einen Nazi noch einen Rassisten, sondern für einen Nationalromantiker, der eine das gewohnte Maß übersteigende Liebe zu diesem Land habe.
Ist Gauland ein Rassist? Amman: "Ich fürchte, ja"
Auf die Frage der Moderatorin, ob vielleicht Alexander Gauland ein Rassist sei, antwortete Melanie Amann: "Ich fürchte, ja. Das muss man so sagen." Gauland erwiderte, Staatsanwaltschaften hätten ihm bereits einen Freibrief erteilt, er dürfe das alles sagen. Es gab weitere Vorwürfe, Theorien, Abwertungen, für die man Faktenprüfer und Experten gebraucht hätte. Gauland wirft etwa dem BfV vor, die Veröffentlichung der Ergebnisse des Berichtes sei ein "grundgesetzwidriger Eingriff in die Parteihoheit".
Dabei hat der Verfassungsschutz sein Vorgehen bereits begründet: Seiner Meinung nach sei schon lange "öffentlich massiv über eine mögliche Einstufung der AfD als Beobachtungsobjekt spekuliert worden". Diese Spekulationen hat das BfV jetzt beendet. Das führe letztlich "zu einer Entlastung der Partei". Gauland dürfte das anders sehen.
Jörn Kruse verteidigt seine Ex-Partei. Darin würden viele vernünftige, konservative Menschen arbeiten. Herr Höcke werde viel zu hoch gehängt. Auf manchen Parteitagen aber können er und der "Flügel" gut 40 Prozent der Delegierten hinter sich bringen. Und in den kommenden Landtagswahlen in Thüringen im Oktober kämpft Höckes Mannschaft aussichtsreich um Platz eins.
Bedroht die AfD nun die Demokratie? In der Sendung gab es dazu viele Antworten. Aber zu wenige mit Substanz.