Magazintitel:Mit maximaler Erregung

Ein Bildband zeigt Magazintitel, die in den vergangenen Jahrzehnten an deutschen Kiosken lagen. Was er über die Leserschaft verrät.

Von Bernd Graff

Die Titelbilder von Magazinen und Illustrierten sind so etwas wie optische Geschmacksverstärker. In ihrer ikonografischen Bedeutung sind sie kaum zu fassen. Denn einerseits müssen sie wie alle anständigen Bilder verstanden werden können, also etwas zeigen, was man (wieder-)erkennt. Andererseits ist das Titelbild spätestens seit Beginn des 20. Jahrhunderts nicht bloß dekorative Abbildung, kein Frontispiz oder Schmuckbild wie beim klassischen Buchdruck, sondern ein bedeutender Teil des Magazin-Marketings.

Titelbilder buhlen im Zeitschriftenständer um Aufmerksamkeit. Ein höchst dissonanter Chor ist das, doch darum will (und muss) jede Ausgabe neu und sensationell sein, versucht, auf unerhörte, nie gesehene Schätze in ihrem Inneren zu verweisen, will als das einzig lohnende Spektakel in diesem Überbietungskampf des Spektakulären erscheinen.

In dieser prekären Balance zwischen Erkennen und Enthüllen versuchen die Periodika, Woche für Woche, Monat für Monat auf den jeweiligen Punkt des aktuellen Diskurses zu kommen, auf das also, was die Menschen gerade bewegt, ihnen wichtig erscheint, sie umtreibt. Stimmungen spielen da oft eine größere Rolle als die nüchterne, gar unaufgeregte Dokumentation des Gegebenen. Diffuse Ängste, überspitzter Humor in der Karikatur finden hier ihren Niederschlag, aber auch Lust, Sehnsüchte und Aversionen. Gefühle also, die sogar den Realismus eines einzelnen Fotos zur Metapher für den Pulsschlag der Zeit machen. Das Bild von Neil Armstrong auf dem Stern-Titel von 1969 nach der Landung auf dem Mond ist dafür ein gutes Beispiel, aber auch der "Kniefall" Willy Brandts in Warschau ein Jahr später auf dem Spiegel-Titel. "Zonen-Gabys" erste Banane auf der Titanic macht sich schon 1989 über die Wiedervereinigung lustig.

So werden Zeitschriften-Cover in der Rückschau auch zu Sinnbildern von erlebter Zeitgeschichte, sie dokumentieren die Umbrüche in einer Gesellschaft ("Wir haben abgetrieben" auf dem Stern 1971), sind Wegmarken von Veränderung ("Kulturrevolution" in China bei der Bunten 1966) und Fortschritt ("Friedensbewegung" 1981). Eine solche, natürlich nicht vollständige Rückschau leistet der von Philipp Hontschik betreute Band: "Titelseiten, die Geschichte schrieben" für die Bundesrepublik Deutschland - für die alte vor 1989 mehr noch als für die wiedervereinigte neue danach. Denn gerade im immer schon hart umkämpften Medienmarkt des kapitalistischen Westens mussten sich die Blätter anstrengen, ihre Auflagen gegenüber der Konkurrenz zu halten oder gar zu steigern. Darum überbieten sich die Magazine der alten BRD mit Exklusiv-Stories, die sie auf ihren Titeln ankündigen.

Manche, wie "Hitlers Tagebücher" (Stern, 1983), sind Rohrkrepierer, manche wie "Bedingt abwehrbereit" (Spiegel, 1962) stellen Demokratie und Staatsorgane auf die Probe, manche wie der "Uwe Barschel"-Titel des Stern 1987 und der "Gladbeck"-Titel der Bunten (1988), testen die Grenzen dessen, was man in Medien zeigen darf. Und die allerallermeisten spielen optisch aufreizend mit Sex, Drogen und Rock 'n' Roll, also mit den je aktuellen Celebrities aus Sport und Unterhaltung. John Lennon prangt 1968 psychedelisch auf dem Stern, Hannelore Elsner träumt 1972 auf Jasmin, Boris Becker und Steffi Graf siegen 1988 noch einmal auf der Bunten, Lady Dianas Tod wird 1997 betrauert, Michael Jacksons Tod zwölf Jahre danach, beide auf dem Stern. Dazu gibt es sehr viel anonymes nacktes Frauenfleisch in den Siebzigern, das, 1978 angestrengt von Emma, gegen den Stern zur ersten Sexismus-Klage in der BRD führte. Damals rechtfertigten sich die männlichen Magazin-Herausgeber damit, dass doch jeder gerne "knackige Pos" betrachten würde. Heute könnte so etwas nicht mehr shitstormfrei die Druckerei verlassen.

Magazintitel: Titelseiten, die Geschichte schrieben. Zeitschriftencover 1949 bis heute von Philipp Hontschik, Prestel Verlag, München, 2019.

Titelseiten, die Geschichte schrieben. Zeitschriftencover 1949 bis heute von Philipp Hontschik, Prestel Verlag, München, 2019.

(Foto: Verlag)

Hinzu kommt bei den Magazinen immer auch politisches Zeitgeschehen: Wiedervereinigung, RAF, der 11. September 2001, Bundespräsidenten-Rücktritt 2012, Umweltzerstörung und Terror in Paris 2015 sind nur Beispiele. Wenn man aber die Geschichte der Republik anhand von Titelseiten Revue passieren lässt, dann ergibt sich kein stringentes Bild unserer Mentalität, kein einheitliches Mosaik unserer Nachkriegsgeschichte. Man erkennt vielmehr Ausschläge eines Fiebers, das offenbar dramatische Halluzinationen verursachen muss: Der Patient - wir - leidet an maximaler Erregung, doch sein Wahn findet nirgends Halt, kann sich nie fokussieren. Die Sensationen und Skandale, aber auch Erkenntnisse und Gewissheiten einer Woche sind spätestens mit den nächsten aufregenden Magazin-Titeln verpufft und längst vergessen.

Titelseiten, die Geschichte schrieben. Zeitschriftencover 1949 bis heute von Philipp Hontschik, Prestel Verlag, München, 2019.

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