Magazine für Flüchtlinge:Wie sie die Welt sehen

Cameo

Ein Heft als Fotoreportage: das Magazin "Cameo" aus Hannover.

(Foto: oh)

Über Flüchtlinge wird viel berichtet. Die Magazine "Heimfocus" und "Cameo" lassen sie selbst zu Wort kommen. Sie haben einiges zu erzählen.

Von Kathrin Hollmer

In Äthiopien wartete Addis Mulugeta jeden Morgen auf den nächsten Anruf. Hatte der Journalist in der Zeitung kritisch über die Regierung geschrieben, rief noch am selben Morgen jemand aus dem Ministerium an. "Die haben die Handynummern von allen Journalisten", sagt Mulugeta. "Sie rufen an und fragen, von wem die Informationen stammen."

Der 32-Jährige war oft dort vorgeladen, mehrmals wurde er verhaftet und bedroht, bis er Ende 2009 aus Äthiopien floh und nach Deutschland kam, am Ende landete er in Würzburg. Als Journalist arbeitet er immer noch. Aber die Anrufe haben aufgehört.

Mulugeta ist Chefredakteur des Würzburger Magazins Heimfocus . Sitz der Redaktion ist die Küche von Eva Peteler, 59, Herausgeberin und einziges weiteres Mitglied des Teams.

Heimfocus gehört zu einer kleinen, aber größer werdenden Bewegung, die Flüchtlinge selbst berichten lassen will, statt nur über sie zu berichten, sie vom Objekt zu Gestaltern macht. Ganz ähnlich, aber noch konsequenter versucht das zum Beispiel auch das Cameo Magazin, das zwei Fotografiestudenten aus Hannover gegründet haben.

Die ersten Ausgaben von Heimfocus entstanden in einem kleinen Zimmer in einer Würzburger Asylbewerberunterkunft. Dort hat Mulugeta im März 2010, an seinem ersten Tag in der Stadt, Peteler kennengelernt, die früher Ärztin war und sich nun um Flüchtlinge kümmert.

Zur Zielgruppe gehören nun auch Einheimische

Er erzählte ihr von seiner Idee: einem Magazin von und für Flüchtlinge. Sie besorgte den Laptop. Mit Maneis Arbab, einem Grafiker aus dem Iran, mit dem sich Mulugeta sein Zimmer teilte, begann er mit der ersten Ausgabe. "Mir gab diese Arbeit Hoffnung und Kraft", sagt er. "Viele, die seit Jahren in der Unterkunft leben, haben das verloren."

Die erste Ausgabe erschien im August 2010, seitdem kommt alle drei Monate eine neue dazu. Die ersten beiden Magazine enthielten vor allem Informationen für die 450 Flüchtlinge in der Unterkunft auf Englisch und Deutsch. Aber in den vergangenen Jahren hat sich Heimfocus komplett verändert. Heute sind fast alle Artikel auf Deutsch, die Zielgruppe sind nicht mehr Flüchtlinge, sondern Einheimische, die sich für sie interessieren oder engagieren.

Die Autoren sind nur noch zu einem Teil Flüchtlinge, neben Mitarbeitern von Hilfsorganisationen und Kirchen, Studenten und Politikern. "Viele Flüchtlinge können nicht schreiben, vor allem nicht auf Englisch oder Deutsch. Oder sie trauen sich nicht", sagt Mulugeta.

Wie eine große Fotoreportage

Das Cameo Magazin aus Hannover dagegen ist seinem Konzept, ausschließlich die Sicht der Flüchtlinge abzubilden, bislang treu geblieben. Im Herbst 2014 erschien das Magazin zum ersten Mal. Für jede Ausgabe leben die Fotografiestudenten und Gründer Julius Matuschik, 28, und Sebastian Cunitz, 31, jeweils eine Weile in einer anderen Flüchtlingsunterkunft. Sie porträtieren die Bewohner, fotografieren Zimmer und Mobiliar schnappschussartig, so wie die Bewohner ihre Umgebung auch sehen - am Ende ist jede Ausgabe wie eine große Fotoreportage.

Für die erste Ausgabe haben sie sich eine Weile in einem Hotel eingemietet, in dem minderjährige Flüchtlinge leben. "Als wir die Fotos gemacht haben, haben wir gespürt, dass die allein nicht reichen, um die Situation der Flüchtlinge vermitteln", sagt Matuschik.

Minimalistisch designt

Darum ließen sie die Flüchtlinge Briefe schreiben. Das Magazin zeigt sie im Original, übersetzt sie aber auch. Die Flüchtlinge erzählen von täglichen Bauchschmerzen, weil sie keine Möglichkeit zum Kochen haben und unterwegs essen müssen, von Türstehern vor der Disko, die sie wegen ihrer Hautfarbe wegschicken, von Dankbarkeit und dem Gefühl, unsichtbar zu sein.

Das Magazin, das auf Ausstellungen, in ausgewählten Buchhandlungen und online verkauft wird, ist jünger und moderner in der Aufmachung als Heimfocus, minimalistisch designt, vor allem das Cover, das nur aus Schlagworten besteht: "Bad oder Dusche, WC, Telefon, Internet, Kabel-TV, Minibar, teilweise mit Balkon. Warten."

Eben ist die zweite Ausgabe erschienen, die Auflage hat sich auf 1000 Stück verdoppelt. Von Heimfocus erschien im September bereits die 22. Ausgabe, die Auflage liegt bei 2500 Stück. In Petelers Hausflur stapeln sich die Hefte, sie liegen kostenlos im Rathaus, der Stadtbücherei und in Buchhandlungen in Würzburg aus, außerdem kann man das Magazin im Netz herunterladen. Die Relevanz hat das Magazin mit den Jahren nicht verloren, aber es hat sich in eine andere Richtung entwickelt.

"Viele haben auf der Flucht etwas erlebt, das erzählt werden sollte", sagt Mulugeta. "Die Öffentlichkeit braucht die Begegnung mit Flüchtlingen." Die hat Heimfocus geschaffen, auch mit wöchentlichen Treffen zwischen Einheimischen und Flüchtlingen. "Dort waren erst wenige Deutsche. Nun kommen immer mehr und alle gehen aufeinander zu", sagt Peteler.

Immer mehr Texte

2010 waren Flüchtlinge in den Medien kaum präsent. Das hat sich geändert. "Zwei Drittel der Hefte verschicken wir heute bundesweit, und uns werden immer mehr Texte angeboten", sagt Peteler. Mit Mulugeta entscheidet sie, welche Artikel gedruckt werden. Bei der Auswahl sind sie großzügig, aber: "Texte, die den Aufnahmestatus eines Flüchtlings beeinflussen sollen, sind tabu", sagt Peteler: Diese Geschichten könnten sie nicht überprüfen.

Seit Mulugeta sein BWL-Studium abgeschlossen hat und in einer Agentur arbeitet, erledigt Peteler die meiste redaktionelle Arbeit. Sie kümmert sich um Spenden und Versand, sammelt Artikel, lektoriert, übersetzt. Mulugeta schreibt, fast wie früher. Nur das Thema hat sich geändert: "In Äthiopien leben Flüchtlinge aus Eritrea und Somalia, aber ich habe erst durch meine eigene Erfahrung zu dem Thema gefunden", sagt er. "Ich glaube, ich kann anders auf Flüchtlinge zugehen als ein Journalist, der mal einen Tag in die Unterkunft kommt."

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