Magazine:Die neuen Gründer

Trotz Krise entstehen wieder Magazine, oft abseits der großen Verlage. Wer dauerhaft Erfolg haben will, braucht eine Nische, Geduld und Geld.

Simon Feldmer

Ideen sind eine schöne Sache, aber als Geschäftsgrundlage sind nur wenige gut und viele eher schlechter geeignet. Oft werden sie aus der Not geboren, weil jemand beruflich in der Sackgasse gelandet ist. Einige davon versprechen immerhin eine Menge Spaß. Und dann gibt es noch die sogenannte Schnapsidee.

Buchproduktion bei GGP Media

Von der Rolle: An Ideen für Magazingründungen mangelt es nicht. Für den Erfolg braucht es aber mehr als das.

(Foto: dpa/dpaweb)

Einen Geistesblitz dieser Art hatte vor nicht allzu langer Zeit Udo Röbel an einem Züricher Biertisch. Röbel, einst Chefredakteur der Bild-Zeitung, saß dort mit Uwe Dulias, einst stellvertretender Chefredakteur der Bild-Zeitung.

Beide berieten den Schweizer Ringier-Verlag in Boulevard-Fragen, wollten jedoch nachhaltigere Spuren hinterlassen. Wenige Monate davor hatte das Cover der amerikanischen Vanity Fair mit Leonardo DiCaprio und dem Eisbären Knut auf einer Eisscholle viel Aufsehen erregt. Und während draußen die Schweizer Gletscher schmolzen, kam Röbel die Idee: Man müsste mal ein Klima-Magazin machen.

Während der frühere Bild-Chef, der zu dieser Zeit schon unter die Roman-Autoren gegangen war und die Hemden lieber salopp über der Jeans statt in der Anzughose trug, bereits am nächsten Morgen die Finanzierungsfrage deutlich klarer sah, ließ seinen ehemaligen Kollegen Dulias die Idee nicht los.

Keine Leserflut für den Klimawandel

Er überzeugte Geldgeber von dem Projekt, stellte ein paar Journalisten ein und präsentierte im November 2008 sein Klima-Magazin: 150 Seiten für 4,80 Euro. Die Anzeigenseiten für die erste Ausgabe kamen sinnigerweise unter anderem von Autokonzernen. Ein neues Magazin war geboren, ohne Großverlag im Rücken, finanziert aus Eigenmitteln. Der Inhalt: seichte Texte für eine bessere Welt. Um den Vertrieb kümmerte sich der Axel Springer Verlag.

Ein Jahr später war Schluss, weil das Geld ausging. Mit ein bisschen Abstand zündet sich Röbel, der das Projekt als Berater begleitet hatte, in einem Café in der Nähe des Hamburger Rathauses die nächste Marlboro an und sagt: "Der Klimawandel ist das große Thema. An ein eigenes Magazin dazu glaube ich nach wie vor."

Ob die Welt darauf noch warten kann? Welches Thema einerseits ausreichend groß, andererseits speziell genug ist, um ein Magazin zu tragen, das Leser und Anzeigenkunden findet - darüber machen sich trotz steigender Internetnutzung noch immer viele Leute Gedanken. Überraschend ist das schon, denn in den vergangenen zwei Jahren brachen die Anzeigenumsätze der deutschen Magazine ein.

Die Bruttowerbeausgaben der Unternehmen für Publikumszeitschriften lagen 2007 bei 4,147 Milliarden Euro; 2009 waren es noch 3,447 Milliarden. Aber dafür, muss man sagen, ist der Gründergeist der Branche noch immer recht ausgeprägt.

Auf der Jagd nach der zündenden Idee

Große Verlage, ambitionierte Einzelkämpfer, Quereinsteiger - viele sind auf der Suche nach zukunftsfähigen Zeitschriften-Ideen. Dass die Jobs bei großen Magazin- und Zeitungstiteln der Republik auch aufgrund des Strukturwandels in den Medien mittlerweile dünn gesät sind, dürfte den Ideenreichtum fördern.

Auch Thomas Friemel wurde erst in einer Karriere-Sackgasse zum Aufbruch motiviert. Bis zum stellvertretenden Chefredakteur der Hamburger Morgenpost war es für ihn nach oben gegangen. Nach Chefredakteursposten bei den Titeln Matador und Player, die beide schließlich eingestellt wurden, fand er sich jedoch irgendwann in der Kundenmagazin-Abteilung einer Fachverlagsgruppe wieder.

Stellenanzeigen aus dem Internet sollte er da für ein junges Karrieremagazin so aufbereiten, dass man nicht gleich einschläft. Richtiggehend angekotzt habe ihn das, sagt Friemel heute. Er ging zu einem Coach, der ihm zur Kündigung riet.

Selbst ein Magazin zu gründen sei damals nicht auf seinem Horizont gewesen, behauptet Friemel. Jetzt sitzt er in einer umgebauten Schiffsschrauben-Fabrik in Hamburg-Altona und konferiert per Internet mit dem Graphikteam in Berlin, um die dritte Ausgabe des Wirtschaftsmagazins Enorm auf die Bahn zu bringen. "Wirtschaft für den Menschen" haben Friemel, 42, und Kompagnon Alexander Dorn, 43, als Unterzeile gewählt.

Es geht um sozial verankertes Unternehmertum, um das schwer greifbare Feld der Nachhaltigkeit. Das hört sich gut an - und sieht mit seinem aufgeräumten Layout auch ganz gut aus. Die Geschichten drehen sich um Biolandwirte in Österreich oder Handy-Apps, die "direkt im Laden das ökosoziale Sünden- oder Leistungsregister von Produzenten scannen".

Internet-Millionäre wollen auch mal was zum Anfassen

Dennoch hätten Friemel und Dorn ihren Neustart nicht auf die Beine stellen können ohne David Diallo, ein mit dem Internetportal MyPhotobook.de reich gewordener Investor. Diallo finanzierte die ersten Ausgaben vor, die jeweils an die 150.000 Euro gekostet haben. Gerade mal ein einziger festangestellter Redakteur ist aktuell drin im Budget.

In der Produktionsphase füllt sich das Büro, und die fünf Schreibtische sind mit freien Mitarbeitern besetzt. Eine Million Euro, sagt Enorm-Geschäftsführer Dorn, seien insgesamt einkalkuliert, um inklusive der englischen Ausgabe in die schwarzen Zahlen zu kommen. Gerade laufe die zweite Finanzierungsrunde.

Mit anderen Worten: Es müssen Geldgeber her. Allein durch den Verkaufspreis von 7,50 Euro und einen Anzeigenmarkt, in dem theoretisch auch Energieriesen und Lebensmitteldiscounter ihre Botschaften unterbringen dürfen, trägt sich Enorm noch nicht. Um die 10.000 Exemplare, berichten die Magazin-Gründer, hätten die ersten beiden Ausgaben verkauft, plus 2000 verkaufte Abos.

Der Rest der 80.000 Stück hohen Druckauflage wird über Bordexemplare und durch sogenannte controlled circulation in Umlauf gebracht, also über Netzwerke, Kongresse, eigene Verteiler. "Wenn man seine Zielgruppen klar eingrenzen kann, ist dieser Weg effektiver als teure Werbekampagnen, für die wir aber auch kein Geld haben", sagt Friemel.

Herumtollen auf der grünen Wiese

Das hat am Anfang fast niemand, der glaubt, eine gute Idee für eine neue Zeitschrift zu haben. Dass sich Journalisten gern für kreativ halten, nutzen aber auch etablierte Zeitschriftenverlage. Sie veranstalten Ideenwettbewerbe vor allem mit einem Ziel: Man will demonstrieren, dass der Verlag mehr kann, als Printmarken wie Brigitte oder Bild um Spezialausgaben zu verlängern oder den nächsten Klatsch-Titel auf den Markt zu werfen.

Die Resonanz ist groß. Gruner+Jahr (Stern, Geo) erhielt im Rahmen des Ideenwettbewerbs "Grüne Wiese" mehr als 300 Konzepte. Ergebnis: Ein Food-Titel namens Beef, der saftige 9,80 Euro kostet und Männern erklärt, wie man zu Hause Fisch und Fleisch räuchert, dazu ein Karrieremagazin namens Business Punk.

Im Axel Springer Verlag ist in diesem Jahr zum zweiten Mal der Ideenwettbewerb Scoop gelaufen. 1200 Konzepte für journalistische Projekte wurden eingereicht. Gewonnen hat zwar eine Web-Plattform namens Talk to the Enemy, die im Herbst starten soll und das ambitionierte Ziel hat, die Debattenkultur zu fördern.

Die Mehrzahl der Ideen, sagt Marc Thomas Spahl, Direktor der Axel Springer Akademie und Scoop-Verantwortlicher, drehe sich aber nach wie vor um Print-Konzepte. "Zeitschriften üben noch immer eine große Faszination aus", sagt Spahl. Sogar im Burda-Verlag (Focus, Bunte) hat man das Stammgeschäft in diesem Jahr wieder als Spielwiese entdeckt - nach einer Zeit, in der Verlagseigner Hubert Burda Geld gern in digitale Welten pumpte. Vor allem die Rückkehr von Philipp Welte in den Vorstand beförderte hier offenbar einen Sinneswandel.

Neu entflammte Liebe für Papier

Welte hatte einst gemeinsam mit Chefredakteurin Patricia Riekel das Leute-Magazin Bunte zu Bestmarken getrieben, wechselte dann aber zu Springer. Heute sagt Welte: "Das Unternehmen hat seine Strategie weiterentwickelt und differenziert." Neben dem profitablen digitalen Geschäft konzentriere man sich wieder verstärkt auf die publizistische Tradition des Hauses.

Ein zweistelliger Millionenbetrag floss in diesem Jahr in die Entwicklung von Zeitschriftenkonzepten; heraus kam unter anderem das eher billig anmutende Klatschheft Chatter. Spricht Welte heute über Magazine, sagt er Sätze, die man lange von einem Zeitschriften-Manager nicht mehr gehört hat. Ein "faszinierendes und äußerst stabiles Geschäft" sei das. Er schwärmt von der "großen Lebendigkeit in den Zeitschriftenregalen".

Das Wiederaufflammen der Liebe zu Print bedeutet auch ein gutes Geschäft für Marktforscher. Bringt ein Verlag wie G+J beispielsweise ein Magazin wie Nido für die urbane Elternschaft auf den Markt, wird jeder Blickwinkel, aus dem man Leser ansprechen könnte, ausgeleuchtet. Daneben sind die Start-ups, die auf eine gute Idee statt auf Sinus-Milieus setzen, fast ein belebendes Element.

Das Magazin 11 Freunde, jüngst von G+J übernommen, machte einst aus der Fankurve heraus das gediegene Fußball-Fachsimpeln zum Verkaufsschlager. Das Hamburger Missy-Magazine bereitet schon im zweiten Jahr popkulturelle Themen für Frauen auf. Mit dem Kunstmagazin Dare oder dem Hochglanz-Titel Quality des Qvest-Gründers Constantin Rothenburg bemühen sich zwei Zeitschriften um Leser, die den etwas elitären Blick auf die Gesellschaft schätzen.

Markenbau und Geldverbrennung

Im vorigen Jahr kaufte die Anzeigen- und Verlagsleiterin Katarzyna Mol ihrem Arbeitgeber G+J den Frauentitel Emotion ab. Nun versucht sie, das lange darbende Magazin nach vorne zu bringen. Im Gegenwert einer "schicken Hamburger Altbauwohnung" habe sie sich dafür verschuldet, sagt Mol. Nach einigen Startschwierigkeiten soll es vorangehen, mit "eigenwilligen, bekannten Frauen" auf dem Titel und "intelligenten Geschichten".

Warum dieses Risiko? In einem großen Verlag dürften Flaggschiffe wie Brigitte oder Stern vieles ausprobieren, und die jüngeren, kleineren Titel müssten sich am Kiosk bewähren, bevor sie spannende neue Felder betreten dürften, sagt Unternehmerin Mol. Sie wolle nun aus Emotion eine Marke machen. Das Heft ist im Konzept neben Seminaren und Kongressen ein Baustein von vielen.

Oft ist das Magazin-Machen für Einzelkämpfer ein spaßbringendes Hobby, meist allerdings lange ein Zuschussgeschäft. Wie teuer es sein kann, es mit einer Zeitschrift überhaupt so weit zu bringen, dass sie kein Geld mehr verbrennt, weiß mittlerweile auch Vijay Sapre.

Mit dem Verkauf seines Autoportals mobile.de an Ebay wurde der frühere Hamburger Werbetexter reich, mit seinem Versuch, einen Teil des Geldes in sein Kochmagazin Effilee zu gießen, allerdings in den vergangenen zwei Jahren noch nicht recht glücklich. Er habe es sich einfacher vorgestellt, sagt Sapre. Knapp unter 10.000 Exemplare, davon an die 2000 im Abo, verkauft er mittlerweile. Weniger als erhofft. Anders gesagt: weniger als er bräuchte, um das Projekt rentabel zu machen.

Es sei mittlerweile so viel Geld in Effilee geflossen, dass es auch bei ihm persönlich an die Substanz gehe. Nun hofft Sapre auf den baldigen Durchbruch - oder einen investitionswilligen Partner.

Die Madonna der Magazingründer

Um zu verstehen, was für ein Kraftakt dahintersteckt, bis ein neues Magazin im Kiosk zwischen Stern und Manager Magazin liegt, muss man am Hamburger Speersort im Zeit-Haus mit dem Aufzug in den zweiten Stock fahren. Dort sitzt Gabriele Fischer an ihrem Schreibtisch und freut sich ungemein, dass sie mittlerweile sogar einen hässlichen Vogel auf den Titel packen kann, wenn sie eine Ausgabe ihres Wirtschaftsmagazins Brand Eins dem Wirtschaftsfaktor Tier widmet.

Die Chefin ist so etwas wie die Wallfahrts-Madonna für Magazin-Gründer. "Viele waren mit ihren Business-Plänen hier", sagt sie. Sie betrachte die Ideen wohlwollend, doch eine neue Zeitschrift auf den Markt zu bringen, sei eben nicht so einfach.

Fischer wagte vor mehr als zehn Jahren den Sprung. Der Spiegel-Verlag hatte gerade seinen Plan, mit Econy ein neues Wirtschaftsmagazin zu etablieren, nach nur zwei Ausgaben wieder aufgegeben. Econy-Chefredakteurin Fischer glaubte weiter an die Idee, dass Wirtschaftsberichterstattung mehr sein kann als Unternehmensreports.

Über Umwege und dank diverser Geldgeber schaffte sie es, mit dem Titel Brand Eins in einem eigenen Verlag weiterzumachen, an dem sie heute noch zehn Prozent der Anteile hält.

Die Verkaufszahlen entwickelten sich langsam, aber stetig, erst vor vier Jahren schrieb Brand Eins keine Verluste mehr. Mittlerweile ist der Titel bei fast 100.000 Exemplaren pro Ausgabe angekommen, im Einzelverkauf ist er das erfolgreichste Wirtschaftsmagazin. "Die schönste Idee ist ohne Markt nichts", sagt Fischer.

Um ihn zu finden, müsse man von der ersten Ausgabe an Qualität liefern. Aber eine gute Redaktion koste Geld. Und wer hat das heutzutage - und dazu die Sehnsucht nach Geschäften in der good old economy? Immerhin, meint Fischer, gebe es inzwischen einige Menschen, die im Internet reich geworden sind und nun gerne auch in etwas Haptisches investieren würden. Etwas zum Anfassen sozusagen.

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