In der Selbstwahrnehmung Frankreichs sind Eros und Esprit, in freier Übersetzung Sex und Geist, seit je verschwistert. Als ein Beispiel für diese enge Verwandtschaft erinnern sich ältere Zeitgenossen mit nimmerwelker Nostalgie des Männer-, pardon, Herrenmagazins Lui, dem zwar der amerikanische Playboy zum Vorbild diente, das aber eine so unverwechselbar pariserische Anmutung hatte, jenes Flair also, das irgendwie den erstrebenswerten Charakter des "gewissen Etwas" darstellte. Kurz, trotz sehr ähnlicher Zutaten und Zubereitung unterschieden sich Playboy und Lui wie ein Fastfood-Hamburger vom Steak haché, den ein Sterne-Koch serviert.
Durchaus möglich, dass sich bei diesem Urteil die verblassende Erinnerung einmischt, denn der Lui in seiner klassischen Gestalt, der im November 1963 von dem Modefotografen Daniel Filipacchi lanciert wurde, verschwand bereits 1987. Danach wurde der Titel zwar dreimal neu gestartet, aber keiner dieser Versuche konnte den Erfolg des Originals wiederholen. Das vorerst endgültige Aus des Lui, der seit 2001 zu einem Pornomagazin verkommen war, kam 2006.
" Lui wird die Mädchen ausziehen statt die Jungens anzuziehen"
Im September 2013 will der Schriftsteller und ehemalige Werbetexter Frédéric Beigbeder, der auch in Deutschland mit seinem Roman "Neununddreißigneunzig", einer beißenden Abrechnung mit der Werbebranche bekannt wurde, an den einstigen großen Erfolg anknüpfen; mit dem Versprechen, einen Lui zu machen, der Männer wie Frauen interessieren soll. Das neue Magazin soll ab dem 5. September zum Preis von 2,90 Euro an den Kiosken ausliegen. Das ist ein psychologisch kalkulierter Preis, mit dem Beigbeder glaubt, 100 bis 150 tausend Exemplare des monatlich erscheinenden Blatts absetzen zu können.
Neben Namen und Preis setzt Beigbeder für den Erfolg des neuen alten Titels vor allem auf das Konzept, das er mit Blick auf die französische Ausgabe des amerikanischen Magazins GQ mit dem Satz beschreibt: " Lui wird die Mädchen ausziehen statt die Jungens anzuziehen." Das Versprechen ist kess, aber, da es Beigbeder macht, zielt es sicherlich nicht auf die vordergründige Erfüllung voyeuristischer Erwartungen, sondern auf ein in der Summe raffiniertes Soufflé aus Bildern und Texten.
Rund 40 der 200 Seiten des Hefts sind zwar für Fotografien vorgesehen, das sonst aber der Veröffentlichung intellektuell wie literarisch anspruchsvoller Beiträge gewidmet sein soll. Beigbeder jedenfalls ist sich gewiss, dass diese Mischung die Erfolgserwartungen erfüllt. Aus seiner früheren Tätigkeit in der Werbung vertraut er auf die dabei gewonnene Erfahrung: "Die Leute wissen so lange nicht, was sie wollen, bis man ihnen etwas vorschlägt. Niemand wird von einem Magazin überrascht, das aufgrund von Marketing-Untersuchungen konzipiert wurde."
Beigbeders Bilderblatt wird auf große Konkurrenz stoßen
Solcher Optimismus scheint in Frankreich wohlfeil zu sein, denn laut Statistik gehören - auf den Monat umgerechnet - 97 Prozent der Franzosen zu den Konsumenten von Magazinen. Das Land steht in diesem Pressesegment sogar an der Spitze in Europa. Ob dieser Zuspruch auch dem neuen Lui zugute kommt, wird sich weisen, denn auch mit seinem anspruchsvollen Konzept wird Beigbeders Bilderblatt auf große Konkurrenz stoßen. Schon jetzt ist dieses Segment mit den Magazinen Stylist und GQ besetzt; Elle Man sowie französische Ausgaben von Vanity Fair und Harper's Bazaar sind in Vorbereitung.
In diesem Wettbewerb wird sich Lui nur durchsetzen können, wenn er nicht nackter, sondern frecher, witziger, geistreicher ist als die amerikanischen Übernahmen. Eine andere Unwägbarkeit ist, dass der alte Lui in der verklärten "Goldenen Zeit" der Siebzigerjahre seine großen Erfolge feierte, als Frankreich noch nicht vom Bewusstsein einer tiefen Krise geplagt wurde. Das könnte aber auch die Chance für den neuen Lui im alten Geist sein, der mit einem Feuerwerk aus Erotik und Esprit die gedrückte Stimmung aufhellt.