Lügenpresse-Debatte:Journalismus als Schlachtfest

Lesezeit: 4 min

Wofür ist die Pressefreiheit da? Gewiss nicht dafür, Machtgelüste von Politikberichterstattern zu befriedigen. Eine Streitschrift versucht sich an einer Versachlichung der Debatte um die "Lügenpresse".

Von Heribert Prantl

Es gibt eine lange Tradition von Beamtenverachtung in Deutschland. Sie beginnt schon bei Bismarck; von ihm stammt der Satz: "Um eine Staatsverwaltung in tüchtigem Gang zu halten, müssten alle drei Jahre einige Minister, einige Generale und ein Dutzend Räte füsiliert werden; man müsste alle Beamten mit dem fünfzigsten Lebensjahr wegjagen."

Die überkommene Beamtenverachtung wird neuerdings in Deutschland durch eine Journalistenverachtung ersetzt, die zuletzt bei den Pegida-Demonstrationen in dem Schlachtruf "Lügenpresse, halt die Fresse" kulminierte. Der frühere FAZ- und heutige Verschwörungsjournalist Udo Ulfkotte hat dazu ein ziemlich wirres und widersprüchliches, aber aufsehenerregendes Buch mit dem Titel Gekaufte Journalisten veröffentlicht. Der verheißungsvolle Titel hat dazu geführt, dass das Buch viel verkauft worden ist.

Nun versucht der emeritierte Politologe Thomas Meyer (er ist SPD-Mitglied und stellvertretender Vorsitzender der Grundwertekommission der SPD, des Weiteren Chefredakteur der Zeitschrift Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte), die Journalismus- und Journalistenkritik auf eine seriöse Ebene zu heben. Bei Suhrkamp ist sein Traktat über Die Unbelangbaren erschienen, womit er die politischen "Alpha-Journalisten" meint, denen er vorwirft, dass sie sich als "Ko-Politiker" verstehen, die im politischen Geschäft mitmischen wollen.

Diese angeblich Unbelangbaren will Meyer künftig belangen - wenn auch nicht so recht deutlich wird, wie das geschehen soll. Sie sollen sich jedenfalls irgendwie verantworten müssen, und zwar nicht nur dann, wenn sie Gesetze verletzen, sondern auch dann, wenn sie Kampagnen betreiben mit einer "manisch-selbstgefälligen Lust an der Inszenierung" und wenn sie in ihren Texten die "destruktive Selbstüberschätzung" pflegen.

Sind Journalisten Ko-Politiker, die im politischen Geschäft mitmischen wollen?

Politischer Journalismus, so wie Meyer ihn sich vorstellt, soll Folgendes bieten: "treuhänderische Information über das politische Geschehen sowie die Orientierung durch Kommentare, die sachlich formuliert und als Meinungsäußerungen gekennzeichnet sind". Darunter fallen dann gewiss nicht Stücke wie jenes, das Dirk Kurbjuweit unter dem Titel "Ansichten eines Clowns" kurz vor der Bundestagswahl 2013 im Spiegel über den SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück publiziert hat.

Das ist ein Text, der Meyer besonders erzürnt. Er nennt in seiner Philippika Kurbjuweit zwar nicht namentlich, dessen Text ist aber für Meyer das große Exempel dafür, wie Journalisten Politiker "erbarmungslos in die Pfanne" hauen. Der Artikel sei "öffentliche Schlachtung". Meyer hätte den Autor dafür gern irgendwie belangt - ebenso wie Marietta Slomka vom ZDF für "unsinnige minutenlange Drangsalierung" des SPD-Chefs Sigmar Gabriel per Interview im Heute-Journal, das "die Form eines strengen und tadelnden Verhörs" angenommen habe.

Gewiss lässt sich darüber streiten, ob Journalisten sich "die Rolle des Psychoanalytikers" anmaßen und ob sie, wie Meyer das den "Alphajournalisten" an anderer Stelle vorwirft, auch "gleichzeitig die Rollen von Staatsanwälten, Zeugen und Richtern" übernehmen dürfen. Aber es hätte seiner Journalismuskritik gutgetan, wenn sie sich nicht in der Beschreibung zweier sozialdemokratischer Fälle (dazu kommt dann noch der Fall Christian Wulff) erschöpft hätte. Meyers Kritik liest sich wie eine mitleidsheischende Schimpferei bei der Vorstandsrunde im Willy-Brandt-Haus. Es schadet der Meyer'schen Kritik am selbstgefälligen Habitus von Journalisten, dass er diese Kritik sozialdemokratisiert. Da ist ein SPD-Herz wund und aufgescheuert.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema