Lokaljournalismus:Unter Rabauken

Lokaljournalismus: Dünner besiedelt ist keine andere Region in Deutschland: Das Redaktionsgebäude des Nordkuriers in Neubrandenburg, im Osten Mecklenburg-Vorpommerns.

Dünner besiedelt ist keine andere Region in Deutschland: Das Redaktionsgebäude des Nordkuriers in Neubrandenburg, im Osten Mecklenburg-Vorpommerns.

(Foto: imago)

Ein Lokalblatt berichtet über einen Jäger. Der wehrt sich, und plötzlich ist das Land in Aufruhr. Der Streit um den "Nordkurier" ist zu einem Lehrstück über die Verwundbarkeit der Pressefreiheit geworden.

Von Thomas Hahn

Lutz Schumacher, der Chefredakteur der Tageszeitung Nordkurier in Neubrandenburg ist selbst gespannt, wie es weitergeht in diesem Irrsinn, der um ihn herum ausgebrochen ist. Vorerst weiß er nur, dass die Geschichte um das sogenannte Rabauken-Urteil des Amtsgerichts Pasewalk noch nicht ausgestanden ist. Redakteur Thomas Krause soll 1000 Euro Geldstrafe wegen Beleidigung zahlen, weil er einen Jäger in der Überschrift eines Artikels "Rabauken-Jäger" genannt hat. Nordkurier-Anwalt Malte Nieschalk hat Berufung eingelegt. Und als wäre der Stress nicht schon groß genug, droht jetzt auch Schumacher ein Verfahren. Sein Kommentar im Nordkurier zum Rabauken-Urteil hat dem Staatsanwalt in Neubrandenburg nicht gefallen. Er hat Strafantrag gestellt, die Staatsanwaltschaft in Stralsund prüft den Anfangsverdacht der Beleidigung.

Ein kurzer Bericht über die umstrittene Aktion eines Jägers hat eine Affäre mit Strahlkraft ausgelöst. Wie konnte es dazu kommen? "Das frage ich mich auch", sagt Lutz Schumacher, "aus meiner Sicht gibt es keinen Grund dafür."

Dieser Streit um die richtige Wortwahl, den der Nordkurier gerade aushalten muss, ist in der Tat längst keine bloße Provinzposse mehr, auch wenn er sich im Osten Mecklenburg-Vorpommerns abspielt, in einer Region, welche die am dünnsten besiedelte in ganz Deutschland ist. Er veranlasst Landespolitiker aller Farben dazu, auf den hohen Wert der Pressefreiheit hinzuweisen. Er führt dazu, dass kritische Rechtsexperten Post vom Rostocker Generalstaatsanwalt bekommen. Und er beschäftigt Journalisten im ganzen Land.

Der Konflikt ist zu einem Lehrstück über die Verwundbarkeit der Pressefreiheit gewachsen. Er steht für eine neue Qualität im Kampf gegen unliebsame Berichterstatter. Es reicht scheinbar nicht mehr, den Presserat anzurufen, die Beschwerdestelle der Verleger- und Journalisten-Verbände. Es ist auch nicht mehr gut genug, zivilrechtlich vorzugehen. "Der ganze Kanon der presserechtlichen Ansprüche wird erst gar nicht versucht", sagt Anwalt Nieschalk. Stattdessen kommt sofort die Strafanzeige zum Einsatz, die große Keule sozusagen, die Journalisten davon abhalten könnte, kritisch zu berichten. "Geradezu unterhört" findet Nieschalk den Vorgang.

Ein seltsamer Fall: Irgendjemand hätte irgendwann mal nachgeben müssen

Was ist passiert? Anfang Juni 2014 kursierte auf Facebook ein Foto, welches das Interesse der Nordkurier-Redaktion weckte. Das Foto zeigte ein Auto, das auf der Bundesstraße 109 kurz vor der Abzweigung Neuendorf fuhr und an der Anhängerkupplung ein totes Reh hinter sich her über die Fahrbahn schleifte. Der Nordkurier recherchierte, fand heraus, dass der zuständige Jagdpächter für den ungewöhnlichen Kadaver-Transport verantwortlich war und berichtete darüber, ohne den Namen des Jägers zu veröffentlichen. Die allgemeine Empörung über das Bild und den Jäger war groß. Redakteur Thomas Krause rief bei dem Jäger an, er fuhr sogar zu seinem Haus. Aber der Jäger selbst war nicht zu bekommen. Und am 3. Juni erschien dann Krauses Artikel mit dem Titel: "Rabauken-Jäger erhitzt die Gemüter".

Nun empörte sich der Jäger, forderte von der Redaktion erfolglos eine Unterlassung und reagierte: mit einer Beschwerde beim Presserat und einer Strafanzeige wegen Beleidigung. Um den Begriff Rabauken-Jäger sei es dabei nicht allein gegangen, sondern um mehrere Bezeichnungen aus der Nordkurier-Berichterstattung, sagt Anwalt Fromut Heinz. Vor allem um die Bezeichnung "fieser Wildschleifer", außerdem habe es so viele Angaben zur Person gegeben, dass Ortskundige auf den Namen des Jägers hätten kommen können. "Für uns war die Grenze zur Schmähkritik in Verbindung mit der Identifizierbarkeit überschritten", sagt Heinz, "deshalb haben wir die Strafanzeige gestellt."

Der Presserat sprach eine Missbilligung wegen der Nordkurier-Berichterstattung aus. Wichtigster Grund: dass Leser den Jäger hätten identifizieren können. "Eine sibyllinische Entscheidung", sagt Nieschalk. Das Strafverfahren hingegen wurde zweimal eingestellt, weil die Staatsanwaltschaft zunächst keine Anhaltspunkte für eine verfolgbare Straftat sah. Aber der Jäger bestand auf einem Verfahren. Die Generalstaatsanwaltschaft gab dem statt. Und Nieschalk wollte keine Einstellung gegen Auflagen. "Es geht ums Prinzip", sagt er.

So kam es zum Prozess. Und zu dem Urteil der Amtsrichterin, das den Redakteur Krause 20 Tagessätze à 50 Euro kosten soll: "Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft an den Angeklagten, er habe sich durch Bezeichnung des Geschädigten als ,Rabauken-Jäger' (...) der Beleidigung (...) strafbar gemacht, ist zutreffend." Die 14-seitige Urteilsbegründung führt als ein Argument den Umstand an, dass der Jäger in dem Artikel "erkennbar dessen Gegenstand" sei.

Chefredakteur Schumacher kommentierte im Nordkurier: Gericht wie Staatsanwaltschaft hätten die Meinungsfreiheit "verschludert", der Staatsanwalt begegne der Presse mit "Schaum vor dem Mund". Und weiter: "Dieses Land hat zwei Diktaturen hinter sich und leider auch eine entsprechend fürchterliche Justizgeschichte. Die beiden über die freie Presse herfallenden Juristen haben daraus nichts gelernt." Aus dem Text leitet die Staatsanwaltschaft in Neubrandenburg ihren Strafantrag ab.

Die Flammen schlagen zu hoch in diesem seltsamen Fall aus der Provinz. Irgendjemand hätte irgendwann mal nachgeben müssen. Jetzt geht ein beklemmendes Signal von ihm aus. Es ist tatsächlich der Eindruck entstanden, als könnten Journalisten in Deutschland schon mit einem scharfen Kommentar gegen die Staatsanwaltschaft Probleme von ebendieser bekommen. Und die Geldstrafe gegen den Nordkurier-Redakteur Krause findet Malte Nieschalk auch schwerwiegender, als sie auf den ersten Blick wirken mag. Wie kritisch schreiben Redakteure in bestimmten Zeitungen noch, die feststellen, dass schon ein etwas hemdsärmeliger Stil auf die Anklagebank führt? "Damit ist das erreicht, was wir nicht wollen", sagt Nieschalk: "die Schere im Kopf."

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