Live-Übertragung:Kamera läuft!

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Zum ersten Mal seit dem Verbot von Filmaufnahmen 1964 wird ein BGH-Urteil gefilmt. Das Thema: Werbeblocker. Springer sieht darin eine Gefahr fürs Geschäftsmodell von Online-Medien. Die Argumente überzeugten das Gericht nicht.

Von Wolfgang Janisch

Die Kameras sind auf dem Vormarsch, das gilt nun auch für den Gerichtssaal. Zum ersten Mal seit dem Verbot von Filmaufnahmen im Gerichtssaal im Jahr 1964 durfte an diesem Donnerstag die Urteilsverkündung eines deutschen Gerichts gefilmt werden (wenn man einmal vom Bundesverfassungsgericht absieht, dass seine Urteile seit 1998 TV-öffentlich verkündet). Das gilt fortan für die Verkündungen (nicht für die Verhandlungen) aller fünf Bundesgerichte, und der erste Zivilsenat des Bundesgerichtshofs bestritt die Premiere gleich am ersten Geltungstag des neuen Gesetzes. Ausgerechnet zu einem Thema, das ebenfalls mit den Umbrüchen in der Medienwelt zu tun hat: Es ging um die sogenannten Werbeblocker, die den ohnehin vom sinkenden Anzeigengeschäft geplagten Medienhäusern erhebliche Probleme bereiten: Einmal bei den Internetnutzern installiert, sind sie dazu in der Lage, die Anzeigen auf den Nachrichtenportalen auszufiltern.

Der BGH hat diese Werbeblocker nun für zulässig erklärt. Deren Betreiber hegten nämlich keine "Verdrängungsabsicht" gegen die Medienhäuser, schon deshalb nicht, weil ihr Modell ja die Funktionsfähigkeit der Nachrichtenportale voraussetze. Zwar würdigte der BGH, dass hier auch die Pressefreiheit eine Rolle spiele. Unter dem Strich war aus Sicht der Richter aber ein Argument entscheidend: Die Verlage könnten sich gegen die Blockade zur Wehr setzen, indem sie Internetnutzer, die sich eines Werbeblockers bedienten, vom Zugang zu ihrer Website ausschlössen. Dass dies möglich sei, habe das Oberlandesgericht Köln im konkreten Fall festgestellt.

Die Argumente von Springer überzeugten das Gericht nicht

Geklagt hatte der Springer-Verlag, und zwar gegen das Computerprogramm "Adblock Plus", dessen Betreiber, die Eyeo GmbH, einen Mechanismus ersonnen hat, den man so umschreiben könnte: Man errichtet eine Sperre und verkauft dann Eintrittskarten. Zuerst werden Werbeanzeigen mithilfe einer sogenannten Blacklist ausgefiltert. Das funktioniert deshalb, weil redaktionelle Inhalte und Werbung technisch voneinander getrennt auf die Nachrichtenportale eingespielt werden. In einem zweiten Schritt bietet AdBlock Plus Unternehmen dann die Möglichkeit, sich von der Blockade ausnehmen zu lassen, indem sie auf eine "Whitelist" gesetzt werden - in der Regel gegen Umsatzbeteiligung. Das OLG Köln hatte diese spezielle Version eines Blockers noch als "aggressive geschäftliche Handlung" beanstandet, doch auch dieses Argument überzeugte den BGH nicht.

Springer sieht in solchen Werbeblockern eine Gefahr für das Geschäftsmodell von Online-Medien, die eben auch von Werbeeinnahmen leben. Auch die Süddeutsche Zeitung hatte in einem anderen Verfahren gegen Werbeblocker geklagt. Das Vorgehen von AdBlock Plus sei "ausschließlich destruktiv" und "völlig inakzeptabel", kritisierte Rechtsanwalt Thomas Winter in der Verhandlung. "Noch bevor das Medienprodukt das Auge des Betrachters erreicht, wird es verändert." Sein Kollege Cornelius Lehment sieht den "Kernbereich der Pressefreiheit" bedroht. "Ich kann mir keinen unmittelbareren Eingriff in die digitale Welt vorstellen." Springer will den Fall vors Bundesverfassungsgericht bringen, sagte Lehment am Rande der Verhandlung.

AdBlock-Anwalt Axel Rinkler hielt dem entgegen, Springer sei in der digitalen Welt doch sehr erfolgreich unterwegs. "Wir haben zu der behaupteten Gefährdung keine belastbaren Zahlen bekommen." Onlinewerbung sei inzwischen so ausufernd geworden, dass der neue Chrome-Browser von Google einen eingebauten Werbeblocker enthalte.

Und der historische Moment? Es muss sich erst noch zeigen, ob höchstrichterliche TV-Auftritte wirklich zur Regel werden. Der BGH-Senatsvorsitzende Thomas Koch brachte die Premiere leicht angespannt, aber unfallfrei über die Bühne. Die anderen Senate sind aber noch abwartend. Ein Strafsenat, der am selben Tag ein Urteil verkündete, hatte keine Kameras zugelassen - obwohl es um die Messerattacke einer selbsternannten IS-Kämpferin auf einen Polizisten ging.

© SZ vom 20.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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