Süddeutsche Zeitung

Prozess:Die "Lindenstraße" als Sackgasse

  • Im kommenden März endet nach fast 35 Jahren die Vorabendserie "Lindenstraße". 70 Mitarbeiter verlieren ihre Jobs.
  • Einige von ihnen klagen nun gegen die Produktionsfirma, die Geißendörfer Film- und Fernsehproduktion KG (GFF).
  • Sie sind verärgert, dass der Misserfolg der Serie nun auf die Beschäftigten abgewälzt wird.

Von Carolin Gasteiger und Hans Hoff

Was Trostlosigkeit angeht, kann es der Saal III des Kölner Arbeitsgerichts mit der Atmosphäre so mancher Folge der üblicherweise arg problembeladenen Vorabendserie Lindenstraße aufnehmen. Die Ausstattung des Saals ist von nützlicher Tristesse, sieben Rundleuchten werfen fahles Licht auf die Gesichter der Klagenden, die allesamt wenig glücklich wirken an diesem Mittwochmorgen. Es sind drei Menschen, die seit Jahren für die Lindenstraße arbeiten, sie wollen hier dafür kämpfen, dass sie nicht am Jahresende arbeitslos werden, dass die Kündigungen, die von der Geißendörfer Film- und Fernsehproduktion KG (GFF) im April ausgesprochen wurden, für ungültig erklärt werden. Sie wollen nicht einsehen, dass sich die GFF, die jahrelang von ihrer Leistung profitiert hat, einfach ihrer Dienste entledigt, nur weil die ARD beschlossen hat, die Lindenstraße im kommenden März auslaufen zu lassen.

Als Handlungsstrang in der Lindenstraße wäre dies sicher einer der erfolgreicheren. Ein Arbeitgeber enttäuscht seine langjährigen Arbeitnehmer. Trauer, Wut, Enttäuschung. Auch die drei, die hier sitzen, um an diesem Mittwochmorgen mit der GFF zu streiten, fühlen sich alleingelassen.

Hans W. Geißendörfer, der große Linke des deutschen Films und Erfinder der Lindenstraße, hätte das sicher opulent inszenieren können: wütende Angestellte, schreiend, mit Schildern in der Hand auf der Straße, Sprechchöre, was einem eben einfällt, wenn die Empörung groß ist. Vielleicht wären auch Eier geflogen.

Die Serie gab sich nicht nur auf dem Fernsehbildschirm stets einen familiären Anstrich. Auch am Set, berichten Mitarbeiter, hieß es immer: "Wir sind für euch da".

Hat eine Serie mit solch einem Anspruch nicht moralisch eine besondere Fallhöhe?

Für die Zuschauer bemühte man sich, gemeinsam, in der Serie immer auch ein wenig politisch zu sein. "Wie keine andere Serie spiegelt die Lindenstraße deutschen Alltag und deutsche Realität wider", heißt es auf der GFF-Homepage. Vom Atomausstieg über HIV und Hartz IV bis hin zu den Pegida-Märschen, all das beschäftigte bislang 34 Jahre lang die Figuren.

Oft ging es um das, was auch die Bevölkerung in der realen Bundesrepublik umtrieb. Man pflegte gerne das Linksliberale, Vater Beimer als bekennender Sozi, Doktor Dressler als eher liberaler Arzt. Erfinder Hans W. Geißendörfer sagte einmal über sich: "Der deutsche Zustand bin ich." Hat eine Serie mit solch einem Anspruch nicht moralisch eine besondere Fallhöhe, wenn es um soziale Fragen, um den Umgang mit Menschen geht?

Im Saal III gibt es kein Geschrei, und es fliegen auch keine Eier. Stattdessen wird kühl und zügig erörtert, wie es um die anstehenden Fälle steht. "Bürgerliche Rechtsstreitigkeit" steht draußen an der Tür. Da ist sie nun also angekommen, die gern auch mal aufmüpfige Lindenstraße.

In den Erörterungen geht es vor allem um das Berufsrisiko, das jene tragen, die für eine Fernsehserie arbeiten, deren Zukunft immer davon abhängt, ob die Quoten stimmen, ob der ausstrahlende Sender weiter zahlt für neue Folgen. Bei der Lindenstraße ging das lange gut. Sehr lange. Seit die sonntägliche Seifenoper im Dezember 1985 erstmals auf Sendung ging, wurden die Verträge immerzu verlängert. Fast schien es, als werde die Familiensendung auf ewig laufen.

Aber dann beschloss die ARD im Frühjahr wegen mangelhafter Quoten und zu hoher Kosten, dass aus der Lindenstraße eine Sackgasse wird. Unter Zuschauern hat das eine eher kleine, aber vehemente Gruppe von Fans auf den Plan gerufen: Im Januar protestierten 200 Liebhaber der Serie für den Erhalt, eine Onlinepetition fand knapp 10 000 Unterzeichner. Beides vergeblich. Nun sehen etliche der 70 Mitarbeiter ihr vorläufiges berufliches Aus kommen. Ein Dutzend von ihnen hat sich entschlossen, dagegen zu klagen. Einer von ihnen ist Gerd Kuck.

Er arbeitet seit 1999 als Außenrequisiteur, seit 2005 hat ihn die GFF befristet für die Lindenstraße angestellt. Immer wieder wurde sein Vertrag verlängert. Doch jetzt muss sich der 60-Jährige einen neuen Job suchen. Die Art und Weise, wie die Serienmacher mit ihm und seinen Kollegen umgehen, findet er ungerecht. Kuck fragt, warum man nicht überlegt habe, seinen Vertrag nach 15 Jahren Mitarbeit zu entfristen. Ihn ärgert, dass der Misserfolg der Serie nun auf die Beschäftigten abgewälzt wird. Dementsprechend herrsche am Set beim Dreh der letzten Folgen gerade keine gute Stimmung. Und die Geißendörfers seien für Gespräche nicht mehr greifbar.

Dem widerspricht Hana Geißendörfer, die vor ein paar Jahren die Geschäftsführung von Vater Hans W. übernommen hat, ganz vehement. Sie sei, wenn sie nicht vor Ort in Köln sei, telefonisch stets erreichbar, sagt sie auf SZ-Anfrage: "Bis dato steht keine Terminanfrage an." Zudem habe sie nach der Entscheidung für das Aus der Lindenstraße "mit allen Mitarbeitern persönlich kommuniziert."

"Wir sind traurig, dass die Arbeitsplätze vieler Filmschaffender, die hier jahrelang hervorragende Arbeit geleistet haben, aufgrund der Einstellung der Serie wegfallen. Wir hoffen aber, dass sich aufgrund der gegenwärtigen sehr guten Marktsituation für erfahrene Medienschaffende schnell alternative Beschäftigungsmöglichkeiten ergeben", führt sie weiter aus.

Im Saal III ist auch Thema, ob es Möglichkeiten gibt, altgediente Mitarbeiter der GFF für anstehende Projekte zu engagieren. Im Gespräch ist eine von der GFF entwickelte Serie namens Souls, die der Bezahlsender Sky bereits angekündigt hat und zu der sich auch Hana Geißendörfer in einem Interview schon optimistisch geäußert hat. Beide Wortmeldungen waren aber offenbar vor allem PR-Gebimmel.

"Als Produzentin muss ich für jedes neue Projekt schauen, wie ich das Team genau zusammenstelle"

"Wir hoffen, dass Souls mit Sky realisiert werden wird, der Vertrag ist aber noch nicht unterzeichnet, die Finanzierung noch nicht gesichert", sagt Hana Geißendörfer. Wenn es zur Realisierung komme, freue sie sich, auf ein bewährtes Team zurückgreifen zu können. Eine Hoffnung für die geschassten Lindenstraßen-Mitarbeiter aber keimt da nicht. "Als Produzentin muss ich für jedes neue Projekt schauen, wie ich das Team genau zusammenstelle, denn eine High-End-Serie oder eine Kinoproduktion brauchen einen ganz anderen Stab als eine Lindenstraße", sagt sie. Es dürfe zudem nicht vergessen werden, betont sie, dass in der Filmbranche der für eine Produktion benötigte Stab immer nur für die Dauer der Produktion befristet beschäftigt werde. "Wenn die Produktion endet, enden auch die Arbeitsverhältnisse." Das sei auch bei einer derart lang laufenden Serie nicht anders.

Naturgemäß sieht das Gerd Kucks Anwalt ganz anders: Fenimore von Bredow kritisiert vor allem, dass die GFF befristete Verträge in Reihe abgeschlossen habe. Immer wieder für ein paar Jahre und dann noch mal für ein paar Jahre. Die Ausrede, dass Anstellungen immer nur produktionsbezogen möglich seien, lässt er nicht gelten. "Jedes Bauunternehmen arbeitet genauso wie die GFF", sagt er und stellt eine rhetorische Frage dazu: "Was macht die GFF besser als ein Bauunternehmen?"

Das Urteil, das am Mittwochnachmittag schließlich fällt, nennt Gerd Kuck kein schönes: Alle drei Klagen hat das Gericht abgewiesen. Am kommenden Sonntag läuft im Ersten die 1733. Folge der Lindenstraße. Sie heißt: "Absturzgefahr".

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Quelle:
SZ vom 19.09.2019/qli
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