Letzte Harald-Schmidt-Show auf Sat 1:Vom Ende der Ironie

Harald Schmidt lässt ein letztes Mal bei Sat 1 die Puppen tanzen, bevor er sich zum Bezahlsender Sky verabschiedet. Dabei macht er wieder mal alles anders als man es im TV normalerweise macht, und wird prompt falsch verstanden. Immerhin: Er holt die Zuschauer ab - mit seinem Jaguar, persönlich.

Ruth Schneeberger

Mit der letzten Sendung von Harald Schmidt bei Sat 1 am gestrigen Donnerstag wird viel darüber debattiert, dies sei das Ende der Late-Night-Shows in Deutschland. Das mag so sein. Aber immerhin ist das nur ein Fernsehformat. Was eigentlich schwerer wiegt: Es scheint Deutschland eine Mentalität abhanden gekommen zu sein, die das Verstehen und auch das Mögen eines Phänomens wie Harald Schmidt voraussetzt.

Harald Schmidt verlässt Sat 1. Sein Publikum dort war eher klein, doch dafür recht treu.

Harald Schmidt verlässt Sat 1. Sein Publikum dort war eher klein, doch dafür recht treu.

(Foto: dapd)

Man mag von Ironie halten was man will, aber immerhin ist sie eine Form der Geisteshaltung. Um Dinge in ihr Gegenteil zu verkehren, muss man sie erst mal verstanden haben. Die Ironie und das strikte Durchhalten einer ironischen Haltung befördern das Durchdringen auch komplexer Sachverhalte, weil sie immer fordern, dass man sie komplett durchdenkt. Nur mal kurz gedanklich anklicken, das funktioniert nicht.

Das ist einer der Gründe, warum Harald Schmidt immer schon ein vergleichsweise kleines Publikum um sich scharte, dafür war dies aber eine relativ treue Fangemeinde. Entweder man mag die Ironie und ihre verstärkenden Schwestern Sarkasmus und Zynismus, oder man mag sie eben nicht. Was nicht immer nur daran liegen muss, dass man sie nicht versteht. Manchmal aber schon.

Zum Abschied spritzig

Wenn nun, nach einer ziemlich spritzigen letzten Show im öffentlichen Fernsehen, Harald Schmidt von einem Kritiker der Welt schon exakt zwei Stunden nach Sendeschluss im Netz dafür kritisiert wird, seine Pointen seien "altbacken, die Stand-Ups ideenlos, die Gags und Sprüche flach" gewesen, dann stimmt das einfach nicht. Und wenn derselbe Kritiker berichtet: "Schmidt ist ein Entertainer der Vergangenheit. Er will Schabernack treiben, den aber kaum mehr jemand versteht. Neue Entwicklungen interessieren den 54-Jährigen offensichtlich nicht, was er auch in der letzten Sendung zugab - und sich dafür feierte." Und wenn er im folgenden die Gags nur zur Hälfte wiedergibt - dann gibt er damit unfreiwillig zu, dass er Schmidt womöglich noch nie verstanden hat.

Die letzte Sendung triefte nur so von Anspielungen unterschiedlichster Couleur. Von seinem Abgang bei Sat 1 zu seiner neuen Show, deren erster Gast wohl Sky Dumont sein müsse (weil er den neuen Sendernamen bei Sat 1 nicht nennen will), über die Frage an Studiogast Ulrich Meyer, ob er wisse, wer nun seinen Platz einnehme (Meyer hatte zuvor über die Medien verkündet, womöglich übernehme er den Platz durch einen Ableger seiner "Akte"-Sendung), über das Staunen über einen neuen Film mit Veronica Ferres, gedreht von Helmut Dietls Sohn (Helmut Dietl war derjenige, der die Ferres mit "Rossini - oder die mörderische Frage, wer mit wem schlief" 1997 groß raus brachte, nachdem sie an diversen Schauspielschulen gescheitert war, was einige ihm heute immer noch übel nehmen), bis zu der tragikomischen Politsatire, in der Olli Dittrich mitspielt, und der Frage, ob es einen sehr ähnlichen Film in diesem Jahr im Kino nicht schon mal gegeben habe ("Ich schreib's Dir nachher auf einen 'Zettl'") - undsoweiterundsofort. Alles ziemlich lustig.

Wenn man es denn versteht und die Zusammenhänge und Querverbindungen erkennt, die Schmidt - der liest, was ihm unter die Finger kommt, und immer auf Höhe der aktuellen Meldungen ist - im schnellen Schlagabtausch mit unterschiedlichsten Gesprächspartnern abfeuert. Nicht jeder kann da mithalten. Weshalb es in der Harald-Schmidt-Show, egal auf welchem Sender, auch immer von der Gästeauswahl abhing, ob und wie Schmidt an diesem oder jenem Abend zündete. Und oft von seiner eigenen Form und Laune.

Einmal pro Woche würde reichen

Das ist ähnlich wie bei Helge Schneider, einem anderen großen deutschen Entertainer, der ebenfalls, mal aus Prinzip und mal aus Launigkeit, die Erwartungen des Publikums in ihr Gegenteil verkehrt - und etwa eine halbe Stunde lang "Strafjazz" spielt anstatt zum tausendsten Mal "Katzeklo", wie von ihm erwartet. Auch er wird von Kritikern oft unterschätzt, weil missverstanden. Und auch er wird immer öfter müde, seine Show durchzuziehen. Nicht, weil das Prinzip nicht mehr funktionieren würde. Sondern weil sich das Publikum geändert hat.

Aber beide Entertainer brauchen die Bühne. Schmidt lebt darin. Kein Mensch versteht, warum er unbedingt dreimal in der Woche noch auf Sendung gehen muss. Einmal würde reichen - und ihm womöglich besser zu Gesichte stehen. Privat mag Harald Schmidt wohl wirklich schwierig sein. Auf der Bühne wird er immer noch geliebt - wenn auch von einer schrumpfenden Fangemeinde. Ob das mit dem Bezahlfernsehen funktionieren wird, steht auf einem anderen Blatt. Wenn nicht: Schmidt wird immer eine Bühne finden. Weil er sie braucht. Ob das Publikum das in der Masse mitmacht, ist ihm relativ egal. Finanziell dürfte er längst ausgesorgt haben. Es geht ihm um sein Ego.

Zeichen eines größeren Wandels

Ob das nun Neid verursacht angesichts einer über die Jahrzehnte nicht immer gleichbleibenden Performance und so mancher Aktion, die man im Fernsehen einfach niemals machen darf, wenn man nicht Schmidt heißt und den bis zu einem bestimmten Punkt unangreifbaren Intellekt drumherum baut (z.B. Moderieren im Dunkeln oder auf Französisch): Viele Kritiker fühlen sich, wenn nicht schon vorher, dann nun verstärkt durch seinen Rauswurf bei Sat 1, bemüßigt, eine Erklärung nach der anderen zum Ende des Entertainers im öffentlichen TV auszuspucken.

Je galliger, desto wirksamer, scheint oft die Devise zu sein, und man wundert sich: Nur einen Tag bevor Schmidt seinen neuen Arbeitgeber bekannt gab, ätzte sein ehemaliger Sidekick und Redaktionsleiter Manuel Andrack im Spiegel-Interview noch darüber, Schmidt werde nie wieder irgendwo eine Anstellung finden: "Wer soll den denn noch nehmen?" Anschließend beeilte man sich, online dessen prompt widerlegte Einschätzung neu einzuordnen.

Über Harald Schmidt zu schreiben und zu urteilen, ist ja auch nicht immer ganz leicht. Schließlich geht es immer noch um die intelligenteste humorige Form von Satire im deutschen Fernsehen, abseits des klassischen Kabaretts. Oliver Welke probiert in der "Heute-Show" im ZDF recht erfolgreich ähnliches, und er ist womöglich der einzige, der das annähernd intelligent und witzig macht. Aber er benötigt dazu eine sehr deutliche Mimik als Hilfsmittel, und viele künstliche Pausen, um klarzumachen: Hier darf jetzt gelacht werden, das war lustig. Oder eben ironisch. Das ist für ein Massenpublikum einfacher zu verstehen.

Zahlreiche Nachrichtenportale (so auch wir) sind deshalb auch auf die vermeintliche Meldung aufgesprungen, Harald Schmidt wolle der "kommende FDP-Vorsitzende von Berlin-Mitte" werden. Die FDP greift das natürlich dankbar als Wahlkampfhilfe auf. Zum Start seiner Karriere, auf ihrem Höhepunkt und noch vor ein paar Jahren wäre es kaum möglich gewesen, eine Schmidt-typische ironietriefende Aussage in einem Interview für bare Münze zu nehmen - oder sich zumindest darüber nicht ganz sicher zu sein. Inzwischen aber ist der Medienbetrieb sehr viel schneller geworden, nicht nur die Möglichkeiten, auch die Notwendigkeiten, auf alles und jeden zu reagieren, vielfältiger. Da kann man schon man den Überblick verlieren. Wie auch, im Privaten, über den Gesamtzustand einer sich immer schneller verändernden Welt.

Schmidt aber setzt, indem er Ironie als ständiges Kommunikationsmittel verwendet, darauf, dass Sprecher und Hörer wissen, dass sie bestimmte Überzeugungen teilen, man spricht in der Rhetorik von "geteilten Wissensbeständen". In der Regel basiert das Verstehen von Ironie darauf.

Kaum noch Zeit, genau hinzuhören

Wenn er nun in seiner letzten Sendung bei Sat 1 sich von der "Sommerpause" in Form eines strahlend gelb gewandeten und mit Blümchen dekorierten Olli Dittrich abholen lässt wie ein Kind im Rollwägelchen, wenn er den aufblasbaren Sat-1-Ball mitnimmt, weil man ja nie weiß, wie der Sommer wird, wenn er über die vorgezogene Sommerpause als Folge der "bösen Klimaerwärmung" witzelt, dann macht er damit eigentlich überdeutlich, dass er sich aus einem Kindergarten verabschiedet.

Immer schon hat er den Medienbetrieb und seine Auswüchse selbst auf die Schippe genommen und sich durch seine Aktionen außen vor gestellt. Nun ist er fast ganz draußen - weil er in die neue und schneller zu rezipierende Medienlandschaft nicht mehr passt. Man hat eben kaum noch Zeit, genau hinzuhören. Und genauso gut informiert zu sein wie ein hochdotierter Schmidt, der den ganzen Tag wenig anderes machen muss als informiert zu bleiben.

Zu recht schrieb ein Kritiker des Stern noch am Vortag der letzten Sendung, als Schmidt-Fan hätte man sich selbst immer dazurechnen können zur "Durchblicker-Gilde". Weil er die "Codes der Gebildeten" bediene. Dass man ihm nun aber "böse" sein müsse, dass er durch seinen Abgang aus dem Free-TV dieses Wissen "über uns selbst" für immer mitnehme, ist Quatsch. Man kann nun eben sein eigenes Ego und das von Schmidt nicht mehr gratis streicheln (lassen), sondern man muss dafür bezahlen. Vorerst.

Denn Schmidt wird damit nicht für immer von der Free-TV-Bühne verschwinden. Er wird nur - mal wieder - neue Wege finden. Die ständige Forderung etwa an ihn, er müsse sein Publikum "besser abholen", hat er in seiner letzten Show bei Sat 1 gekonnt umgesetzt - ironisch, versteht sich. Indem er ein Rentnerehepaar in seinem Jaguar persönlich zu seiner Show kutschierte, freundlich plaudernd auch über sein Privatleben, das er sonst strikt abschirmt von der Öffentlichkeit. Auch schon wieder ein ironischer Seitenhieb - für den, der versteht. Genau wie die in seiner Show feierlich inszenierte Verabschiedung vom gebührenfinanzierten "Sonnendeck".

Der Anfang von etwas neuem

Außerdem hat Schmidt, abseits der Andeutungen, zusätzlich immer eine sehr zotige Form der Ironie gepflegt, für das Massenpublikum. Wenn er "Klassiker des Herrenwitzes" von einem ausgebildeten Sprecher vortragen lässt, also Witze der alleruntersten Schublade mit dem überheblich-gemächlichen Gestus eines Vertreters des arrivierten Kulturbetriebs konterkariert, dann kann das beiden Arten von Zuschauern gefallen: Denen, die darin Ironie erkennen, und den anderen. Muss es aber nicht.

Und womöglich markiert das Ende von Harald Schmidts Karriere im Gratis-TV zwar auch das endgültige Ende der zum Ausklang des vergangenen Jahrtausends noch gern überall und öffentlich zur Schau getragenen Ironie. Doch es ist zugleich ein Anfang von etwas neuem: Dass Schmidt nun zu einem Bezahlsender wechselt, ist längst nicht mehr so abwegig wie es noch vor ein paar Jahren hätte erscheinen können. Die Medienlandschaft verändert sich eben immer schneller.

Ausgerechnet Schmidt, dem dann 55-Jährigen, könnte mit seiner neuen Show im Herbst der Anfang von etwas gelingen, was die Zukunft wohl für uns alle bereithält: Die Verbindung von Internet und TV, die Zuschneidung des persönlichen Medienverhaltens auf persönliche Interessen - und womöglich auch die Bereitschaft, für angeblich kostenlose (doch in der Tat nur querfinanzierte) Inhalte auch mal persönlich zu zahlen, anstatt eine diffuse Masse dafür aufkommen zu lassen. Das könnte nun gerade ein Harald Schmidt zumindest anstoßen, der angeblich so Ewiggestrige. Was für eine Ironie.

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