"Let's Dance" bei RTL:Tanzen können sie nicht, aber im Verbalsex sind sie groß

Let's Dance' 1st Show

Alle Teilnehmer der neunten Staffel von "Let's Dance".

(Foto: Getty Images)

Warum nimmt der gemeine Promi an der RTL-Show "Let's Dance" teil? Klar, Selbstfindung. Wenn auf dem Tanzparkett nur nicht die brutalen Regeln des Schulhofs gelten würden.

TV-Kritik von Johanna Bruckner

Die Pubertät und eine Let's Dance-Sendung haben drei Dinge gemeinsam: Es gibt viele Momente großer Peinlichkeit (und einige wenige voller Wunder), die Annäherung an das andere Geschlecht bereitet mitunter Schmerzen, und das Ganze könnte tendenziell schneller vorbeigehen. Sämtliches gilt nicht nur für die unmittelbar Betroffenen, sondern gleichermaßen für die Beobachter. Also für die Familien der Pubertierenden beziehungsweise die Zuschauer der RTL-Show. Glauben Sie nicht? Dann sei an dieser Stelle das Beweisstück A angeführt, ein Zitat von Alessandra Meyer-Wölden, Teilnehmerin der neunten Let's Dance-Staffel: "Woher kennt man mich? Man kennt mich hauptsächlich als Ex von Oliver Pocher und als Schmuckdesignerin. Es läuft bei mir."

So viel Selbstfindungssehnsucht war selten in einem Satz.

Alessandra firmierte in der Öffentlichkeit im Übrigen lange als "Sandy", doch den Spitznamen stieß sie irgendwann ab. Vermutlich in der Hoffnung, ernst genommen zu werden. Dass Namen eine Bürde sein können, muss auch Victoria Swarovski feststellen. Als sie sich ihrem Tanzpartner Erich vorstellt, antwortet der mit einem einzigen Wort: "Bling!"

Aber zurück zur Beweisführung, Momente großer Peinlichkeit. Fangen wir mit der Klassensprecher-Frisur von Moderator Daniel Hartwich an. Jury-Mitglied Joachim Llambi fällt dazu wenig Schmeichelhaftes ein. Hartwich selbst kommentiert wie folgt: "Ist es schon eine Frisur oder noch ein Scheitelhaufen?" Wenn doch nur jeder Jugendliche Menschen hätte, die ihm solche selbstironischen Konter einflüsterten - der Schulhof wäre ein besserer Ort.

"Ist er reifer geworden, gesetzter oder einfach nur pleite?"

Wobei auch auf dem RTL-Tanzparkett Hänseleien ausgesprochen werden. Da ist die harmlose Frotzelei, wie sie Moderator Hartwich an Vegan-Koch Attila Hildmann vorführt ("Möhrchen-Messias"). Da ist die Stichelei, die durchaus treffen könnte, wenn das Verbalopfer nicht Niels Ruf hieße und beruflich in Beleidigungen machen würde (Hartwich spekuliert über Rufs Teilnahmemotivation: "Ist er reifer geworden, gesetzter oder einfach nur pleite?"). Und da ist der Angriff auf die Männlichkeit, der durchaus schmerzhaft sein dürfte für einen Mann wie Popschlagersänger Michael Wendler, der sich als "Lyriker" vorstellt (Llambi über die Performance des Wendlers: "Vom Bauchnabel bis zur Leiste ist da Totentanz").

Wenn wir schon mal bei Unterleibsbefindlichkeiten sind, ist der Weg nicht weit zu schmerzhaften Momenten bei der Annäherung an das andere Geschlecht. Denn natürlich geht es beim Tanzen auch um das Spiel zwischen Frau und Mann, um Erotik, um "Sexyness", wie es Juror Jorge Gonzalez formuliert, der als Catwalk-Trainer der Klum'schen Modelschmiede Bekanntheit erlangte. Es ist eines der wenigen Worte, das man von ihm überhaupt versteht. Das macht aber nichts, denn Tanzen ist ja auch Fühlen. Damit haben Attila Hildmann und Niels Ruf so ihre Probleme, beide erreichen mit ihren Darbietungen nur schmale Punktzahlen. Dafür sind sie im Verbalsex ganz groß.

Hildmann: "Man glaubt nicht, wie sexy vegane Küche für Frauen ist." Ruf zu Moderatorin Sylvie Meis: "Was hast du eigentlich für 'ne Schuhgröße? Fünfunddreißigeinhalb? Da krieg' ich ja beide Füße gleichzeitig in den Mund." Der Mann hat eine schmutzige Fantasie - vielleicht bezeichnet ihn Jorge deshalb als "Bad Boy" und spricht das aus wie das deutsche Badezimmer.

Es gibt weitere Männer, die mangelndes Tanztalent mit markigen Sprüchen kompensieren, sie tun das aber auf eine so rührende Art und Weise, dass man ihnen am liebsten in die Wange kneifen würde. Ex-Fußballer Thomas "Icke" Häßler kündigt an: "Beim Tanzen mit dem Ball bin ich schon Weltmeister - jetzt hol ich mir den nächsten Titel." Und Ex-Beachvolleyballer Julius Brink verspricht gar: "Wenn meine Betonhüfte im Rhythmus tanzt, wird die Welt still stehen." Manchmal können einen die Einflüsterer von RTL auch in die Scheiße soufflieren. Zumal wenn die Leistung den geweckten Erwartungen nicht gerecht wird.

Das Netteste, was Icke Häßler und Tanzpartnerin über ihren langsamen Walzer zu hören bekommen? "Regina hat sehr gut geführt." (Jurorin Motsi Mabuse)

Heldenwerdung statt Erniedrigung

Damit hier kein falscher Eindruck entsteht: Es werden durchaus Komplimente verteilt. Let's Dance ist nicht DSDS, wo es vorrangig um Erniedrigung der Teilnehmer geht. Hier werden regelmäßig Heldenwerdungen erzählt, das ist der wohl wichtigste Grund für den anhaltenden Quotenerfolg des Formats. Aus einem "Körperklaus" kann in drei Monaten" eine "Tanzmaus" werden, wie es die Bild-Zeitung formulieren würde. Bereits in der ersten Ausgabe gibt es Kandidaten, die nicht nur die Punktrichter begeistern.

Eric Stehfest zum Beispiel, Darsteller der RTL-Soap Gute Zeiten, schlechte Zeiten. Oder "Fack ju Göhte"-Darstellerin Jana Pallaske, die den Worthülsen einer Sylvie Meis ihre wunderbar versponnene Ernsthaftigkeit entgegensetzt: "Ich will in jedem Tanz dieses Geschenk des Lebens zelebrieren." Und die dann im gelben Fransenfummel einen Cha Cha Cha aufs Parkett bringt, der einfach nur knallt.

Das ist so ein Wunder-Moment, der einen fast vergessen lässt, dass das hier die eine große RTL-Inszenierung ist. Fast. Nur Minuten später ist Nastassja Kinski in einem Einspieler zu sehen, die prominenteste Kandidatin dieses Jahres, vermutlich teuer eingekauft. Kurz darauf steht Kinski auf der Tanzfläche. Und man kommt nicht umhin, sich zu fragen, ob diese Frau niemanden hat, der sie davor bewahrt, diese Art von Öffentlichkeit zu suchen. Die extreme Schüchternheit der 55-Jährigen, die eher wirkt wie eine naive 16-Jährige, das offenkundige Unbehagen vor der Kamera: Es tut fast körperlich weh, das mitanzusehen.

Gehen muss am Ende ein anderer: Sportmoderator Ulli Potofski erhält von der Jury die wenigsten Punkte und wird von den Zuschauern rausgewählt.

230 Minuten sind da um - doch es bleiben Fragen offen. Wie kam der braune Fleck auf das hellblaue Hemd von Potofski? Was machte Kay One im Publikum, zwischen Familienmitgliedern des Swarovski-Clans? Und warum durfte Niels Ruf nicht erzählen, wie es zur Bar-Schlägerei mit Comedian Atze Schröder kam?

Aber vielleicht klärt sich das ja noch im Verlauf der Staffel - die Pubertät hat gerade erst begonnen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: