Nur mal so zu Erinnerung: Der "Eurovision Song Contest" (ESC), das war bisher nach weitgehend übereinstimmender Meinung eine der allerschlimmsten Trash-Veranstaltungen. Ein wirrer, paneuropäischer Wettstreit, bei dem zwischen als Monster verkleideten Schraddelrockern (Lordi: "Hard Rock Hallelujah") und übergewichtigen Damen, die auf lavarot gefärbten Bühnen die Arme gen Himmel reckten (Marija Šerifovic: "Molitva") nur gewinnen konnte, wer frei von Scham war. Deutschland, immer eifrig dabei, hat nur ein einziges Mal gewonnen, 1982, mit einem der schlimmsten Lieder der Wettbewerbsgeschichte (Nicole: "Ein bisschen Frieden"). Doch vorbei. Wenn es nach den heimischen Medien geht, wird 2010 alles anders - ach: grandios! "LML" (Lena Meyer-Landrut) da sind sich alle Experten einig, ist die beste Kandidatin aller Zeiten. Aber stimmt das? Zehn Expertisen, zehn Übersetzungen.
Die Expertise: "Sie gilt als wohlerzogene Tochter aus gutem Hause und damit als ideale Identifikationsfigur. (...) Ist hier eine neue Sehnsucht nach Bürgerlichkeit erkennbar?" (ttt - titel, thesen, temperamente)
Die Übersetzung: Endlich dürfen auch wir gebührenfinanzierten Fernsehfeuilletonisten mal zugeben, dass wir nicht nur das eigene, todernste Zeug zwischen Nachtstudio und Philosophischem Quartett gucken. DSDS-Menowin und all die anderen, nun ja, gewöhnlichen Castingshow-Gestalten waren ja nichts, wozu wir, als Zuschauer mit Abitur, uns bekennen konnten. Die waren vielleicht ganz unterhaltsam, aber bitte: viel zu prollig. Fragen Sie gar nicht erst, was aus einem jungen Menschen, der keine Vorstrafen hat und drei Sätze gradeaus sprechen kann, gleich eine Identifikationsfigur macht, zumal eine "bürgerliche".