Leben in New-York:O-fucking-kay

Radha Blanks Film "The Forty-Year-Old Version" ist die heitere, fantastisch gefilmte und unbedingt gegenwärtige Abrechnung einer schwarzen Frau mit New York, ihrem unausweichlichen Alter, der elenden Gentrifizierung und allen falschen Versprechungen.

Von Bernd Graff

Es hat New-York-Filme von New Yorkern gegeben, sicher. Auch in Schwarz-Weiß. Spike Lees She's Gotta Have It und Woody Allens Manhattan sind da vor allem als Großartigkeiten zu nennen. Ihr ästhetisierendes Schwarz-Weiß macht New York zum Paradigma für all jene Menschen, die heiter, aber leider stolpernd dabei sind, einfach nur zu leben. Wo sollte es in dieser extremen Stadt auch leicht zu haben sein, das "gute Leben"? Hier liegt es gewiss nicht auf der Straße, und doch kann man es eigentlich nur hier finden. Gewissermaßen, wo wir gerade so nett plaudern, findet die popkulturelle Eroberung New Yorks im schwarz-weißen Film ihre Entsprechung in Paul Simons Einsamkeitshymne "The Boxer": Der Fight ist eigentlich verloren, aber der Kämpfer im Boxer bleibt. So gesehen hätte Martin Scorsese seinen Taxi Driver in Schwarz-Weiß filmen müssen.

Eine aufrecht strauchelnde Superheldin ist diese Frau. Und sie entdeckt: Sie kann rappen

Man muss diese starke Haltung "against all odds" auch in der bewunderungswürdigen Radha Blank vermuten. Denn sie hat gerade, also im Jahr 2020, einen Schwarz-Weiß-Film über eine schwarze Frau in New York auf dem komplizierten Weg zu sich selbst gedreht - sie hat die stimmige und unbedingt gegenwärtige Figur einer solchen aufrecht strauchelnden Superheldin erfunden und selbst dargestellt, wohl wissend, dass sie damit im Schatten von einigen Big Shots der Filmgeschichte steht. Im Schatten von Riesen, gewiss, doch Radha Blank kann ihnen mit ihrer bittersüßen, vor allem komischen Geschichte, die in berückend ruhigen Bildern erzählt wird (Kamera: Eric Branco), unbedingt das Wasser reichen.

Der Titel ihres Regie-Debüts The Forty-Year-Old Version rekurriert ironisch auf einen anderen: The 40-Year-Old Virgin von Judd Apatow aus dem Jahr 2005. Doch Radha Blank, die für diesen autobiografisch gefärbten Film auch das Drehbuch geschrieben, ihn produziert und die Hauptrolle gespielt hat, drehte keine klamaukige Komödie. Es ist die Geschichte einer schwarzen Künstlerin aus Harlem, die in ihren späten Zwanzigern mal zu den ausgezeichneten Talenten gehörte, sie galt als kommende Bühnenautorin, als Theater-Avantgarde. Diese Karriere droht nun, gute zehn Jahre später, irgendwo im Sande zu verlaufen. "Man hat lange nichts mehr von ihr gehört", heißt es gehässig an einer Stelle. Die "40-Jahre-Version" ihres Ichs ist ein Schatten hoffnungsfroher Aufbrüche. Mit Schauspielunterricht hält sich Radha, die auch im Film so heißt, nun über Wasser, ein Improvisationskurs, in dem sie auf lauter rebellischen Nachwuchs trifft. Doch all das: die eigene Erfolglosigkeit und Stagnation, die in den Kids gespiegelte, entschwundene Jugend und ein nicht mehr versteckbares Alter, das keine Talente, nur vorzeigbare Erfolge akzeptiert, dazu ein desaströses, der Nicht-Karriere geopfertes Privatleben stürzen Radha in eine tiefe Identitätskrise. Und dann stirbt ihre Mutter.

Das ist die triste Lage. Doch Radha ist eine humorvolle, selbstironische Frau, man erlebt sie bei ihrem tapfer-sinnlosen Versuch, im irren New York die Ruhe zu bewahren. Doch wächst allmählich in ihr die Panik, dass es wohl nichts mehr werden wird aus der Karriere als Big-Apple-Bohemian.

Darum erlebt Radha die Nachbarschaft nun, als ob darin Facetten ihres aus den Fugen gebrachten Innenlebens personifiziert wären: Die Old Lady ist ihr schlechtes Gewissen, der Stadtstreicher wirkt wie die Projektion ihres eigenen Scheiterns, in der Schauspielklasse erkennt sie Talente, die wohl wie ihr eigenes kraftvoll verpuffen werden. Bleibt Archie (Peter Kim), ihr Jugendfreund und auch weiterhin hinreißend bemühter Agent. Doch auch der erklärt sie irgendwann frustriert zu Ramsch. Doch uneingestanden fehlt ihr die Mutter. Als ihr Bruder anruft, der Nachlass müsse geregelt werden, kann sie nicht mal abheben.

Ihre Sprachmusik wird zum Soundtrack dieses durchgentrifizierten Lebens

Doch dann entdeckt Radha die Sprachartistin in sich wieder: Sie kann rappen. Spontan und aus dem Stegreif heraus rappen, kann das, was um sie herum passiert, sofort und treffend in eine Atem raubend schnelle, pointierte, witzige, gebundene Sprache bringen, kann die Wirklichkeit mit ihren eigenen, rhythmisierten Worten wieder zum Tanzen bringen. Hinter dem Rücken ihres erfolglos umtriebigen Agenten will sie nun ein Mixed Tape mit eigenen Songs aufnehmen. Für den Zuschauer ein großes Glück. Und komisch. So kündigt die Künstlerin einen ihrer neuen Songs einerseits sehr erwachsen, sehr diskursbewusst und New-York-woke mit sperrigen Worten an: "Es geht in meinem Song um den Erotizismus weißer Blicke auf das Leid der Schwarzen." Um dann zu rappen: "Yeah, it's poverty porn! Yo, you like that shit, I can add some more. If I want to get on, I'll write some poverty porn."

Diesen Song spielt sie im wolkig verkifften Wohnzimmer des Musikers "D" ein (Oswin Benjamin). Er ist der unbewegte Beweger der Beats, seine unterkühlte Professionalität kann man auch als mangelnde Empathie interpretieren. Doch Radhas Metier ist nun die Musik, der zum Klingen gebrachte Slang der Großstadt. Neben dem zu ruhigeren Szenen eingespielten, nach wie vor betörenden Jazz von Dizzy Gillespie, dessen haushohes Harlemer Mural in den Stadtszenen auftaucht, wird ihre Sprachmusik zum Soundtrack dieses durchgentrifizierten New Yorker Lebens, das nur noch zu haben ist, wenn man es sich leisten kann. In einer Szene wird ein Battle-Rap von vier Frauen gezeigt, ein Krieg der gebundenen Worte, der jeden hiesigen Poetry-Slam zum Wattebauschpusten degradiert. Es ist, wie es darin heißt, in New York niemals "Okay, okay"! Es ist nur "O-fucking-kay!"

Radha Blanks Filmpersona hält souverän die schwierige Balance zwischen absurder Komik, subtiler Wut und beklemmender Trauer - und dem starken Willen, doch immer weiter zu machen. Nirgends so faszinierend wie in dieser Szene, die von nun an zu den schönsten der Filmgeschichte gezählt werden muss. "D", der Turntable-Gott, der seine Mutter ebenfalls gerade verloren hat, fragt Radha: "Hast du jemals versucht, mit ihr zu reden?" Gemeint ist ihre Mutter. "Nein. Was soll ich ihr auch sagen?" Dann beatboxt "D" einen Rhythmus und reimt dazu: "Mama, may I, Mama, may I? May I tell you how much I miss you? They pray this adult shit, but if you were here I'd kiss you." Und Radha führt den Song weiter: "I wonder sometimes, are you the person feeding these rhymes, and if I am not creating art am I committing a crime? I just be missing you like ... wishing you were here instead of out there somewhere." Mehr muss sie nicht sagen. Ihr Film hat zu Recht den diesjährigen Wettbewerbspreis des Sundance Film Festival in der Kategorie Beste Regie gewonnen.

The 40-Year-Old Version läuft auf Netflix.

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