Late-Night-Talker Jay Leno:König der Hunde

Amerikas populärster Talkmaster Jay Leno zurück

Jay Leno, erfolgreichster Late-Night-Talker der USA

(Foto: dpa)

Jay Leno ist mit seiner "Tonight Show" der erfolgreichste Late-Night-Talker der USA. Bald hört er auf. Wer erleben will, wie brillant der Komiker wirklich ist, muss an einem Sonntagabend in einen Club in Hermosa Beach kommen.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Das Publikum im Comedy & Magic Club ist nicht begeistert, für einen kurzen Augenblick ist es so still, dass man die Wellen des Pazifischen Ozeans hören kann. So ein Moment ist schrecklich für einen Komiker, der gerade einen Witz erzählt hat, den die Zuschauer ganz einfach nicht lustig finden. Der Mann auf der Bühne hat zerzauste graue Haare, die rote Krawatte hängt locker um seinen Hals, die oberen beiden Knöpfe des weißen Hemdes sind offen. Er sieht über seine Lesebrille hinweg ins Publikum, dann schüttelt er den Kopf und sagt mit heiserer Stimme: "Was für ein blöder Witz!"

Der Mann auf der Bühne ist James Douglas Muir Leno, besser bekannt als Jay Leno. Der 63-Jährige ist einer der prominentesten Komiker der Welt und Moderator der Tonight Show, einer Sendung, die seit 1954 auf dem Kanal NBC läuft und die er 1992 von Johnny Carson übernommen hat. 3,4 Millionen Amerikaner schalten werktags um 23.34 Uhr ein, damit ist Leno der erfolgreichste Late-Night-Talker des Landes. Trotzdem will er im nächsten Jahr mit der Tonight Show aufhören.

Wer wissen will, wie gut dieser Jay Leno wirklich ist, wie er tickt, warum er so erfolgreich ist, der muss an einem Sonntagabend in diesen Club kommen. Den gibt es seit 35 Jahren, zum ersten Mal stand Leno einen Monat nach Eröffnung auf der Bühne, seit Ende der 1980er-Jahre kommt er fast jeden Sonntag aus Beverly Hills nach Hermosa Beach. "Hier sitzt ein Querschnitt der amerikanischen Bevölkerung", sagt Leno, "in Hollywood kommen meist Leute aus dem Showbusiness, hier in Hermosa wollen ganz normale Menschen eine Comedyshow sehen." An der Wand hängt die Uniform von Kevin James aus King of Queens, daneben steht der Robin-Williams-Roboter aus Der 200 Jahre Mann, weiter sieht man die überdimensionierten Klamotten von Eddie Murphy aus Der verrückte Professor. Jeder Gast hat 30 Dollar Eintritt bezahlt und sich verpflichtet, mindestens zwei Sachen von der Karte zu bestellen. Ein Bier kostet sieben Dollar, ein T-Bone-Steak gibt es für 21 Dollar.

Wider die Comedy-Megalomania

Die Bühne ist keine vier Meter breit, die 250 Zuschauer sitzen jeweils zu sechst an Tischen. Sie trinken Bier oder Wein oder einen CMC Whiskey Sour. Irgendwann kommt einer auf die Bühne, erzählt ein paar Witze und kündigt dann recht unspektakulär den nächsten Komiker an. Er gibt ihm das Mikrofon, dann geht es weiter. Es ist die Antithese zur deutschen Comedy-Megalomania, in der Komiker Stadien füllen, um einen Eintrag im Guinness Buch der Rekorde zu bekommen.

Jay Leno ist wie immer der letzte Komiker des Abends, die unbehaglichen Momente gehören zum Programm: "Hier kann ich neues Material ausprobieren und sehen, was funktioniert und was nicht." Am Ende der 60 Minuten dauernden Vorstellung setzt er eine Lesebrille auf, zückt einen Packen Notizzettel und liest 20 Witze vor, die er gerne in der Tonight Show vortragen würde: "Man kann das nicht vor einem Spiegel üben, man braucht die Reaktion des Publikums. Es ist eine Trainingseinheit - da muss man durch." Also erleben, dass Witze nicht ankommen. An diesem Abend sind es mehr als die Hälfte, bei denen kaum jemand lacht.

Ein paar Dinge fallen einem Besucher schon auf, bevor Leno die Witze-Spickzettel in die Hand nimmt: Der Mann ist ein lebendes Lexikon der Aktualität. Wer tagsüber Skandalfotos eines Promis gesehen, einen Text über den Bürgermeister von San Diego gelesen oder von den süßen Tierbabys in einem Zoo in Kentucky gehört hat: Leno hat das auch. Er ist überaus schlagfertig, reagiert andauernd auf die Reaktionen des Publikums. "Ein Sportler kann auch nicht nur bei Spielen auf dem Feld stehen", sagt er, "er muss jeden Tag trainieren, nur so ist er fit für Auftritte." Wer gewohnt sei, dass die Menschen Bier verschütten, nicht lachen oder aufs Klo gehen, der lerne langsam, diese Elemente ins Programm einzubauen. Und: Leno ist einfach nur komisch.

Vorwürfe: rücksichtslos, egoistisch, karrieregeil

Als er noch nicht berühmt war, das war Ende der 70er-Jahre, trat er an 300 Abenden im Jahr in 300 verschiedenen Städten der USA auf. "Ich war wie ein Politiker im Wahlkampf", sagt er über diese Zeit. Nur habe er nicht um Stimmen gebettelt, sondern darum, dass die Menschen abends seine Show besuchen. "Ich habe den ganzen Tag Hände geschüttelt", sagt er. Es gibt eine Dokumentation aus dem Jahr 1992, die seine Aussagen bestätigt: Jay Leno im Auto, Jay Leno beim Händeschütteln, Jay Leno in Hermosa Beach.

Mittlerweile freilich ist Leno erfolgreich. Mit der Tonight Show verdient er derzeit nach einer Kürzung - mit der er Stellenabbau verhindern wollte - 15 Millionen Dollar pro Jahr. Seine Auftritte als Stand-up-Comedian verdoppeln das Einkommen. Er besitzt einen Fuhrpark, dessen Wert auf 50 Millionen Dollar geschätzt wird. Das Duell um die Einschaltquoten gewinnt er mit 3,4 Millionen Zusehern deutlich, sowohl gegen die direkten Konkurrenten David Letterman (2,8 Millionen) und Jimmy Kimmel (2,5 Millionen), als auch gegen die späteren Late-Night-Talker Jimmy Fallon (1,6 Millionen) und Craig Ferguson (1,4 Millionen).

Das Late-Show-Gewerbe wird mitunter mit einem Hundezwinger verglichen: Es wird gekläfft, gebellt und hin und wieder auch kräftig zugebissen. Die aktuellen Einschaltquoten zeigen, dass Leno der König der Hunde ist. Vielleicht ist es Zufall, dass seine Produktionsfirma Big Dog heißt. Vielleicht aber auch nicht. Nach den Olympischen Spielen 2014 wird Leno jedenfalls den Zwinger verlassen, er wird die Tonight Show an den 25 Jahre jüngeren Jimmy Fallon übergeben. "Es fühlt sich diesmal richtig an", sagt Leno.

Diesmal ist das entscheidende Wort in diesem Satz. Leno kann nämlich nicht nur kläffen und bellen, sondern auch zubeißen. Als er 1992 die Sendung von Johnny Carson übernahm, fühlte sich das für David Letterman überhaupt nicht richtig an. Leno hatte zwar in den fünf Jahren zuvor immer wieder den Gast-Moderator gegeben, doch Letterman war gesetzt als Nachfolger. Als Leno den Job bei NBC bekam, wechselte Letterman verärgert zu CBS und ist seitdem direkter Konkurrent.

Leno spricht nicht über die Vergangenheit

Und als er die Tonight Show im Jahr 2009 an Conan O'Brien übergab und eine neue Sendung eine Stunde früher übernahm, da fühlte es sich schnell für beide nicht richtig an. Die Einschaltquoten beider Sendungen waren nicht gut, nach nur neun Monaten bekam Leno die Tonight Show zurück, O'Brien verließ den Sender. Seitdem gilt Leno als besonders harter Hund in einem Geschäft, in dem es ohnehin nur harte Hunde gibt.

Genau das werfen ihm seine Kritiker vor: Er sei rücksichtslos, egoistisch und karrieregeil. Er sei deshalb so ehrgeizig umtriebig, weil er süchtig nach Ruhm und Geld sei. Leno selbst spricht nicht über die Vergangenheit und diese beiden prägenden Momente. Er wolle für eine reibungslose Übergabe sorgen und bis dahin gute Sendungen machen, sagt er.

"Er hat nicht einen Funken Hollywood in sich"

Burbank Studios, zwei Tage später: Die Leute vor dem Fernsehstudio sind unruhig. "Meinst du, wir sind rechtzeitig gekommen?", fragt Jenny Stone aus Tennessee. "Ob wir überhaupt ins Studio gelassen werden?" Sie absolviert wie die meisten hier das typische Los-Angeles-Touristenprogramm: Walk of Fame, Rodeo Drive, ein Foto mit dem Hollywood-Zeichen, Besuch einer Fernsehsendung. Es ist 14 Uhr, mehr als 300 Menschen warten darauf, ins Studio gelassen zu werden. Die Hälfte darf auf Holzbänken sitzen, die anderen stehen, gehen herum oder machen ein Foto mit einem Jay-Leno-Pappaufsteller. Um 16 Uhr beginnt die Aufzeichnung.

Der Jay Leno, der da auf die Bühne kommt, sieht nicht aus wie der Jay Leno von vor zwei Tagen. In die grauen Haare ist ein perfekter Scheitel gekämmt, vorne sieht man eine schwarze Strähne. In den Werbepausen kümmern sich drei Menschen um seine Erscheinung: einer um die Haare, eine um das Make-up und einer um die Kleidung. Es hat den Anschein, als gäbe es zwei Jay Lenos: den Fernsehprofi, der mehr als 4000-mal die Tonight Show moderiert hat. Und den Zwillingsbruder, der sonntags in den Comedy & Magic Club kommt.

Bei den Showteilen, die Leno kontrollieren kann, ist er grandios, sowohl beim Monolog zu Beginn - er erzählt übrigens drei Witze vom Sonntagabend, bei denen die Leute gelacht haben - als auch bei der Rubrik, in der er krude Anrufe bei Polizei und Feuerwehr veralbert. Zu Gast sind an diesem Nachmittag die Sängerin Kristin Chenowerth und der Schauspieler Josh Gad. Leno ist professionell und höflich, er hört geduldig zu, er unterbricht seine Gäste kein einziges Mal. Chenoworth berichtet davon, dass ein Steinchen ihrer Handyhülle in ihr Ohr gefallen sei. Gad erzählt, dass er als Kind einmal von seinen Eltern zu einem Hubschrauberflug in Kolumbien gezwungen wurde. Wirklich lustig ist das nicht.

Nur bedingt interessiert

Leno lacht, aber er wirkt nur bedingt interessiert. Kritiker legen ihm das als Ignoranz aus, doch vielleicht ist es eher so, wie es Mike Lacey beschreibt, der Besitzer des Comedy-Clubs in Hermosa Beach: "Er hat nicht einen Funken Hollywood in sich, obwohl er zu den bekanntesten Personen dort gehört."

Leno raucht nicht, er trinkt nicht, er ist seit 33 Jahren mit seiner Frau Marvis verheiratet. Er ist ein Workaholic, der nur vier Stunden pro Nacht schläft und der Burn-out einmal als Krankheit reicher Menschen bezeichnet hat. Der Park neben den Studios in Burbank ist nach seinem Vorgänger Johnny Carson benannt, vielleicht gibt es irgendwann eine Jay-Leno-Avenue. Wer ihn ein paar Tage beobachtet und ihm dabei zusieht, wie er zwischen zwei blöden Witzen ungläubig den Kopf schüttelt, der merkt, dass es nicht die Sucht nach Erfolg und Reichtum ist, die diesen Menschen antreibt, sondern die Angst, irgendwann nicht mehr arbeiten zu dürfen.

Genau deshalb will der große Hund von Februar an wieder ein streunender Köter werden, er will "zurück auf die Straße". Es ist nicht zu erwarten, dass er wie früher 300 Städte innerhalb eines Jahres besucht. Sicher ist jedoch: Am Sonntagabend, da wird Jay Leno im Comedy & Magic Club von Hermosa Beach Witze erzählen.

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