Lars Kraume im Porträt:Der Filmemacher, der das Publikum abstimmen lässt

Regisseur und Drehbuchautor Lars Kraume

Lars Kraume, 43, arbeitete als Fotograf und studierte Regie an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Beröom. Sein Abschlussfilm "Dunckel" gewann 2000 den Grimme-Preis, viele Preise folgten.

(Foto: dpa)

Lars Kraume hat das interaktive TV-Event "Terror - Ihr Urteil" gedreht. Kein gewöhnlicher Film, sondern ein Experiment, bei dem die Zuschauer entscheiden: schuldig oder unschuldig?

Von David Denk

Als Lars Kraume vor drei Jahren auf dem Rückflug aus den USA auf dem Laptop noch mal sein Drehbuch zu Der Staat gegen Fritz Bauer gelesen hat, war es ihm so peinlich, dass er inständig hoffte, sein Hintermann würde nicht mitlesen.

In New York hatte Kraume an einem Seminar von Drehbuch-Guru Robert McKee teilgenommen und kehrte beschämt über die Schwachstellen seines Skripts nach Berlin zurück. Beschämt und beseelt zugleich: "Es war einfach toll, nach 20 Jahren Berufserfahrung und 20 Filmen auf einen Schlag so viele frische, neue Ideen zu bekommen", sagt er.

Das Stirnrunzeln mancher Kollegen versteht er nicht: "In jedem anderen Job wäre eine Fortbildung völlig normal." Aber Kraume ist Regisseur und Drehbuchautor, und (Film-)Kunst gilt in Deutschland eben vorrangig als Resultat von Begabung, nicht von Arbeit. Alles soll mühelos wirken.

Heute kann Lars Kraume über seine Paranoia im Flugzeug lachen, denn Der Staat gegen Fritz Bauer wurde der bislang größte Erfolg seiner Karriere und mit insgesamt sechs Deutschen Filmpreisen ausgezeichnet, auch für das stark umgeschriebene Drehbuch von Kraume und Co-Autor Olivier Guez.

"Ohne das Seminar hätten wir unser Buch niemals so auf den Punkt bringen können", ist er überzeugt. Und das sei für die Akzeptanz beim Publikum wesentlich gewesen. "Dass ich mir diese Lust bewahrt habe, Film immer weiter zu studieren, mich selber infrage zu stellen, zu gucken, wie man es noch besser hinkriegt, darauf bin ich schon stolz."

"Für Experimente bin ich eigentlich immer zu haben"

Der 43-Jährige gehört zu den deutschen Filmemachern, die lieber Neues ausprobieren, im Kino wie im Fernsehen, als eine Erfolgsmasche zu Tode zu reiten.

Konsequenz ist eine Vielseitigkeit, die Kritiker bisweilen irritiert. "Für Experimente bin ich eigentlich immer zu haben", sagt Kraume und kann das durch eine Filmografie unterfüttern, in der ein Impro-Musikfilm wie Keine Lieder über Liebe genauso vorkommt wie die Science-Fiction-Dystopie Die kommenden Tage. Zudem hat er das Frankfurter Tatort-Duo Kunzendorf/Król erfunden.

Unter Experiment fällt auch seine jüngste Regiearbeit Terror - Ihr Urteil, das interaktive Fernsehevent von Produzent Oliver Berben nach einem Bühnenstück des Bestseller schreibenden Strafverteidigers Ferdinand von Schirach.

Schuldig oder unschuldig? Am Ende der TV-Gerichtsverhandlung stimmen die Zuschauer ab

Der Plot ist eine juristische Versuchsanordnung: Durfte der Kampfpilot Lars Koch (Florian David Fitz) ein Flugzeug abschießen, 164 Menschen töten, um 70 000 in einem Fußballstadion zu retten? Schuldig oder unschuldig? Am Ende der TV-Gerichtsverhandlung stimmen die Zuschauer ab - per Telefon- oder Online-Voting. Im Anschluss wird bei Hart aber fair diskutiert.

Es ist also kein gewöhnlicher Film. Für ihn lag die Herausforderung in einem künstlerischen Dilemma, erzählt Kraume: "Für Terror - Ihr Urteil ist elementar, was man als Regisseur sonst nie anstrebt: Neutralität."

Sein Metier sei ja die Manipulation des Zuschauers "durch die Entscheidungen, die wir fällen: Stelle ich die Kamera da oder dorthin? Caste ich diesen oder jenen Schauspieler? Ziehe ich ihm das Hemd an oder ein anderes?" Als Regisseur eine klare Absicht zu verfolgen, erleichtert die Arbeit, weil man auf ein Ziel zusteuert.

Viele beschäftigen ihn gern

Bei Terror - Ihr Urteil war das Ziel gewissermaßen, kein Ziel zu haben, der Zuschauer soll ja gerade nicht manipuliert werden, er soll sich frei entscheiden. "Man kann das natürlich nicht objektiv hundertprozentig richtig machen", sagt Kraume, "aber man kann versuchen, in den Entscheidungen, die man trifft, einen gewissen Ausgleich zwischen Figuren und Positionen zu schaffen".

Kraume und sein Kameramann Jens Harant hatten sogar überlegt, vier Kameras in die Mitte des Gerichtssaals zu stellen und einen Zufallsgenerator entscheiden zu lassen, wen man gerade im Bild sieht, die Idee dann aber verworfen, "weil es Kraut und Rüben geworden wäre". Kraume mag Experimente - aber nicht um jeden Preis. Sie müssen Sinn ergeben. Als Selbstzweck interessieren sie ihn nicht.

Aufgewachsen ist Lars Kraume als Sohn eines erfolgreichen Werbers im Frankfurter Taunusvorort Bad Homburg. Das hört und sieht man ihm an: Beim Gespräch auf einer Café-Terrasse im Berliner Westen ist er so entspannt wie eloquent, sein Outfit aus Sonnenbrille, weißem Hemd, Chinos und Segelschuhen erweckt den Anschein, als wolle er gleich noch auf eine Gartenparty.

Er ist mit dem Familien-Lupo da, den 80er-Jahre-Porsche hat er zu Hause gelassen. Ob er manchmal für einen Schnösel gehalten werde? "Jeder ist das Produkt seiner Biografie", antwortet Kraume. Und: "Nicht immer, aber relativ oft fühle ich mich ganz wohl mit mir selber. Mag sein, dass das auf einige schnöselhaft wirkt."

Lars Kraume ist viel beschäftigt - als Nächstes dreht er den dritten Teil seiner ZDF-Krimireihe Dengler -, weil viele ihn gern beschäftigen: "Ich komme einfach mit vielen Produzenten und Redaktionen gut klar, ohne willfährig zu sein."

Wer es sich selbst nicht leicht macht, kann Arbeitsverweigerung bei anderen nicht ausstehen

Er nimmt seinen Job ernst, ist ein Filmverrückter, der seinen Söhnen, acht und elf, Truffaut-Filme zeigt. Kraume, erzählen Kollegen, arbeitet konzentriert, achtet im Produktionschaos aber stets darauf, Optimismus und gute Laune zu verbreiten, "den Schwung zu behalten", wie er das nennt.

Es ist natürlich kein Zufall, dass das Team von Terror - Ihr Urteil aus vielen alten Bekannten besteht, aus Kameramann Harant und der Casterin Nessie Nesslauer, aus seinem "Fritz Bauer" Burghart Klaußner, aus Lars Eidinger und Jördis Triebel, mit denen er zuletzt den Kinofilm Familienfest drehte: "Ich habe auch schon am Set gestanden mit durchaus namhaften Schauspielern, die - man soll es nicht glauben - einfach nicht vorbereitet waren."

So ruhig, wie er das erzählt, ist er in der Situation eher nicht geblieben. Wer es sich selbst nicht leicht macht, kann Arbeitsverweigerung bei anderen nicht ausstehen.

Kraume drängt es, die Dinge beim Namen zu nennen, er ist analytisch, meinungsstark, schonungslos. Das branchenübliche Lamentieren überlässt er anderen. "Natürlich ist es möglich, in Deutschland eine romantische Komödie zu drehen, die so gut ist wie Harry und Sally", meint er. "Das hat nur noch keiner versucht. Ich hätte sie gesehen."

Das Genre würde ihn reizen. Eine Kinokomödie stand am Anfang von Kraumes Karriere, fast hätte sie auch mit ihr geendet: Viktor Vogel - Commercial Man war 2001 ein gewaltiger Flop. Kein Grund, es nicht noch einmal zu versuchen.

Terror - Ihr Urteil, ARD, 20.15 Uhr.

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