Ukraine:Besitzer feuert Redaktion

Ukraine: Der Amerikaner Brian Bonner (re.) war seit ihrer Gründung vor 26 Jahren Chefredakteur der "Kyiv Post" - bis vorige Woche.

Der Amerikaner Brian Bonner (re.) war seit ihrer Gründung vor 26 Jahren Chefredakteur der "Kyiv Post" - bis vorige Woche.

(Foto: Volodymyr Petrov/AP)

Ende einer Zeitung: Der Unternehmer Adnan Kivan entlässt die Journalisten der angesehenen ukrainischen "Kyiv Post".

Von Florian Hassel

Es fielen eindeutige Worte, als die Kyiv Post im Frühjahr 2018 einen neuen Eigentümer bekam. Adnan Kivan, syrischstämmiger Immobilienunternehmer und Multimillionär aus der ukrainischen Hafenstadt Odessa, versprach, sich nicht in die Berichterstattung der in Kiew erscheinenden Zeitung einzumischen. "Ohne journalistische Unabhängigkeit gibt es keine Demokratie", sagte der neue Besitzer am 30. März 2018. Am 8. November aber war es jetzt mit der Politik der Nichteinmischung vorbei: Besitzer Kivan feuerte kurzerhand die gesamte Redaktion, offenbar, weil die zu sehr auf ihre Unabhängigkeit pochte.

Die Kyiv Post ist eine Wochenzeitung mit gerade 50 Angestellten und einem Jahresbudget von gut einer Million Euro; sie hat außerhalb der ukrainischen Hauptstadt weder Büros in der Ukraine noch im Ausland. Doch ihr Einfluss wuchs in den 26 Jahren seit ihrer Gründung ständig: Die jeden Freitag erscheinende Zeitung und ihre tagesaktuelle Internetseite sind nicht nur für Diplomaten, Geschäftsleute und andere Ausländer in Kiew und der Ukraine die wichtigsten Informationsquellen, sondern auch für alle, die sich in Europa oder den USA für das interessieren, was in der Ukraine geschieht.

Die "Kyiv Post" pflegte angelsächsische Journalismus-Standards und erschien auf Englisch

Ihr Nahezu-Informationsmonopol verdankte die Kyiv Post sowohl der Tatsache, dass sie unter ihrem angesehenen Gründungschefredakteur, dem Amerikaner Brian Bonner, auf Englisch publizierte, als auch ihren am angelsächsischen Journalismus orientierten Standards. Einzigartig in der Ukraine, in der Medien - wie in Russland und anderen Ländern der Region - entweder als staatliche Propagandasender dienen, Oligarchen gehören und deren Interessen bedienen oder mit so geringem Budget arbeiten, dass inhaltlich gekaufte Artikel häufig sind.

Die Kyiv Post aber berichtete unter fünf ukrainischen Präsidenten, in zwei Revolutionen und einem fortdauernden Krieg mit Russland nicht nur unabhängig über politische Manöver und Manipulationen, sondern auch über das Unwesen der Oligarchen, über Korruption und Präsident Wolodimir Selenskij - und mit der eigens geschaffenen Rubrik "Reform Watch" über ausbleibende oder gar sabotierte Reformen, etwa im Schlüsselbereich Justiz.

Zuletzt widmete die Kyiv Post Generalstaatsanwältin Irina Wenediktowa mehrere Artikel: Die Juristin verdankte ihren Job offenbar vor allem der Tatsache, dass sie Selenskij im Wahlkampf half und Anfang 2020 bereit war, einen für des Präsidenten Geschmack zu unabhängigen Generalstaatsanwalt abzulösen. Wenediktowa fällt seitdem vor allem dadurch auf, dass sie brisante Ermittlungen auf Eis legt oder gar nicht erst aufnimmt.

Die Redaktion erfuhr über Facebook, dass Kivan eine ukrainische Version mit anderen Leuten aufbaut

Kyiv-Post-Besitzer Kivan gehört auch der Fernsehsender Kanal 7, der weder durch Unabhängigkeit noch durch große journalistische Ambitionen auffällt. Die Kyiv Post dagegen bringt ihrem Besitzer Prestige, doch er braucht auch tiefe Taschen. Brian Bonner, der die Zeitung seit 1995 leitete, sagte der Columbia Journalism Review (CJR), sie habe seit 2009 Verluste geschrieben. Eigentümer Kivan habe sieben Millionen Dollar in die Zeitung gesteckt und sich von drei Eigentümern, die er als Chefredakteur erlebte, am wenigsten in die Redaktion eingemischt.

Doch unabhängiger Journalismus macht in der Ukraine Probleme. Chefredakteur Bonner zufolge sah Tycoon Kivan "den Ärger, den eine wirklich unabhängige Zeitung in seinem Besitz" bringt, nicht voraus. Zudem sei dieser Ärger offenbar zu einer Gefahr für Kivans andere Geschäfte geworden. Den nun gefeuerten Journalisten zufolge beschwerte sich Kivan "wiederholt über Druck durch die Behörden als Resultat der Berichterstattung der Kyiv Post". Militärspezialist Ilia Ponomarenko zufolge soll Kivan nach den kritischen Artikeln über Generalstaatsanwältin Wenediktowa besonders "unglücklich" gewesen sein. Adnan Kivan ließ einen Fragenkatalog der SZ bislang unbeantwortet.

Am 14. Oktober fiel die Redaktion aus allen Wolken: Olena Rotari von Kivans Fernsehsender Kanal 7 verkündete auf Facebook, sie bereite eine ukrainische Ausgabe der Kyiv Post vor - und stelle dafür eine komplette Redaktion ein. Die bereits bestehende Redaktion mit Chefredakteur Bonner wusste nichts davon - und befürchtete, Kivan werde den von ihr aufgebauten guten Namen nutzen, um auf Ukrainisch und Russisch "eine Replikpublikation zu schaffen, die Artikel veröffentlichen würde, die dem Interesse des Eigentümers dienen sollen".

Als die bisherige Redaktion darauf bestand, die Oberhoheit über die neuen geplanten Versionen zu erhalten, habe sie Kivan am Montagmorgen gefeuert und ihre Zugänge zum Redaktionsserver gesperrt. Mit einer knappen Mitteilung auf der Kyiv-Post-Webseite erklärte Kivan die Zeitung "für kurze Zeit" geschlossen, er hoffe, sie "eines Tages größer und besser wiederzueröffnen". Am 11. November erklärte Kivan, es gebe einen neuen Generaldirektor, dieser werde einen neuen Chefredakteur ernennen, unter dem jeder der bisherigen Journalisten weiterarbeiten könne.

Die alte Redaktion aber erklärte, sie würde nur unter einem neuen Eigentümer zur Kyiv Post zurückkehren - oder selbst die Zeitung übernehmen, die Kivan 2018 für schätzungsweise gut 3,5 Millionen Dollar gekauft hatte. Den Journalisten zufolge verweigerte Kivan indes einen Verkauf. Die Journalisten "glauben nicht, dass es weiterhin eine unabhängige Kyiv Post geben wird" - und gaben am Donnerstag bekannt, sie würden versuchen, eine "neue Publikation" aufzubauen.

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