Süddeutsche Zeitung

Kunstzeitschrift:Kluger Begleiter

Das richtige Gespür für die Szene: Die Zeitschrift "Art" feiert 40. Geburtstag - und überzeugt noch immer mit zurückhaltender Expertise, vielen Serviceangeboten und bildstarken Geschichten aus der Kunstwelt.

Von Gottfried Knapp

Vierzig - und kein bisschen ältlich. Die Kunstzeitschrift Art hat zum 40-jährigen Bestehen ein Jubiläumsheft herausgebracht, das die in den Jahrzehnten erarbeiteten Qualitäten eindrucksvoll widerspiegelt und den Stammleser zu einer herzlichen Gratulation animiert. Viele Konkurrenzblätter hat man kometenhaft aufsteigen und stillschweigend wieder verschwinden sehen. Art aber, die Kunstzeitschrift mit dem vergleichsweise unauffälligen, für Hardcore-Avantgardisten vielleicht ein wenig langweiligen Programm, hat sich halten können, weil die Redaktion für ganz unterschiedliche Themen und Stile offen geblieben ist, ja den eigenen Horizont im Lauf der Jahrzehnte noch deutlich geweitet hat.

Was Art 1979 von den damals existierenden Kunstzeitschriften unterschied, lässt sich an der Titelstory des ersten Heftes ablesen. Die Redaktion hatte sich für einen Künstler entschieden, der mit seinen Bildwerken Aufmerksamkeit erregte, aber keineswegs von allen Kunstfreunden geschätzt wurde: Fernando Botero. Der Maler war mit einem vergleichsweise schlichten Darstellungskonzept weltberühmt geworden. Alle Figuren, die er malte, sahen aus, als seien sie prall aufgepumpt, was besonders bei nackten Frauenleibern, die wie gefüllte Gummischläuche auf Sofas herumlagen, Effekt machte.

Boteros spielerische Methode der Realitätsveränderung wurde damals von einigen Galerien und Museen gepriesen, vom größeren Teil der Kunstkritiker aber belächelt. Mit dem Bekenntnis zum "Maler der dicken Figuren" hatte sich Art 1979 also ein ganzes Stück vom Avantgarde-Kanon entfernt. Doch ein Fehlgriff war die Wahl keineswegs, wie der Ausblick auf die bis heute andauernde Erfolgsgeschichte Boteros zeigt, mit der das Jubiläumsheft beginnt.

Art möchte mit Artikeln und Fotostrecken, Kolumnen und Service ein breites Publikum erreichen. Die Redaktion hat also versucht, allen Bewegungen gerecht zu werden, die sich in den bildenden Künsten und den Museen abzeichnen, es durfte weder zeitliche noch thematische Grenzen geben. Auf dem Gebiet der zeitgenössischen Kunst hatte Art seinen Lesern manches zu bieten, was andere Magazine nicht leisteten: Bei internationalen Großereignissen wie der documenta oder der Biennale in Venedig gibt Art seinen Lesern Einführungen mit auf den Weg. Diese klug resümierenden Ausstellungsführer, die man beim Rundgang bequem mit sich tragen kann, lassen die monströs unhandlichen offiziellen Kataloge wie Foltergeräte erscheinen.

Mit seinem über die Jahre gewachsenen voluminösen Serviceteil ist Art zum Vorbild für viele andere Publikationen geworden. Zu loben ist, dass die Redaktion auf die Verlockungen der mächtigen Galerien- und Sammlerszene nie mit entsprechend gefälligen Artikeln reagiert hat. Auch darin unterscheidet sich Art von anderen Zeitschriften. Am schönsten lässt sich der Wandel der vergangenen 40 Jahre an den enorm gewachsenen Bildstrecken ablesen. In den Achtzigerjahren haben noch Texte das Layout dominiert. Heute verstecken sich die Texte in üppigen Bilderfolgen, ja der Fototeil wird zur zentralen Botschaft. Aus der von Autoren geprägten Zeitschrift von einst ist also ein Bildermagazin geworden, das auf anregende Weise durch die aktuelle Kunstszene führt. Das dürfte Zukunft haben.

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Quelle:
SZ vom 25.11.2019
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