Erst einmal zeigt Anne Reidt ein Foto ihrer neuen digitalen Kulturhalle. Die Leiterin der ZDF-Hauptredaktion Kultur tippt auf ihr iPad. Neben ihr deutet Bernhard Maaz auf dem Bildschirm sofort auf ein Gemälde an der Wand: Das Portrait der Sibylle von Cleve von Lucas Cranach dem Älteren. Das sei die erste Kunst gewesen, die ihm seine Eltern gezeigt hätten, erzählt der Generaldirektor der Bayerischen Staatsgemäldesammlung bei dem Treffen in seinem Büro in der Neuen Pinakothek München. Das Original hängt in Weimar, die Kopie in der neuen Kunsthalle von ZDF Kultur, einem lichtdurchfluteten Gebäude, von dessen Bau niemand etwas mitbekommen hat. Denn: Die Kunsthalle existiert nur virtuell. Am Mittwoch um 17 Uhr sollen die Räume eröffnen, durch die sich Besucher klicken können, und in denen nun auch Werke Cranachs hängen, die für die Öffentlichkeit unzugänglich eingelagert sind.
ZDF Kultur, das war einmal ein Spartensender. Im September 2016 stellte man ihn zugunsten des neuen digitalen Jugendangebots Funk ein, das die ARD gemeinsam mit dem ZDF betreibt. Nun sieht es so aus, als würde der Sender als "digitaler Kulturraum" wiederbelebt - auch mithilfe der Staatsgemäldesammlung. Oder? Anne Reidt widerspricht sofort: "Wir machen hier keinen neuen Fernsehkanal." Klar, der Rundfunkstaatsvertrag sieht keinen neuen Sender vor. Es gibt beim ZDF jetzt zwar eine Stabsstelle für "neue digitale Kulturpartnerschaften", aber kein Budget für Inhalte. Und Reidt korrigiert jeden, der vom neuen ZDF Kultur als "Kanal" spricht. Die offizielle Wortwahl ist, dass die Marke nun eine neue Rubrikenseite in der ZDF-Mediathek ist. Aber was genau heißt das?
Zwar kommt das Sammeln und Kuratieren aller Produktionen mit Kulturbezug von ZDF und 3 Sat zuerst. Zusätzlich soll es aber 15 neue, junge Webvideoformate geben. "Design und Strafe" zum Beispiel - eine Sendung, in der schlechtes Design erst erklärt, dann zerstört wird. Dazu soll es Videos geben über Frauen aus der Filmbranche, Tanz, Klassik, Theater und Gaming. Das erinnert an die Sammlung zahlreicher Youtube-Formate des Jugendangebots Funk - nur ist es bei ZDF Kultur so, dass die neuen Produktionen, anders als etwa beim Jugendangebot Funk, nicht exklusiv fürs Internet produziert werden.
Im Laufe des Jahres soll es auch eine virtuelle Ausstellung zum Thema Raubkunst geben. "Die Zuschauer können eine Restitution nachvollziehen", kündigt der Generaldirektor der Staatsgemäldesammlung Maaz an. Es geht um die "Bauernstube" von Ernst Immanuel Müller, das Gemälde wurde 2018 von der Bayerischen Staatsgemäldesammlung an die Nachfahren der Augsburger Familie Friedmann übergeben. "Wir stellen die Publikationsstrategie auf den Kopf", sagt Anne Reidt. Das ZDF baut sich erst seine eigene Ausstellung, über die es dann eine Dokumentation sendet. Für die Redaktion sei es nicht nur neu, kuratorisch tätig zu werden, das Vorgehen beeinflusse auch redaktionelle Abläufe, sagt Reidt: "Die Auseinandersetzung mit der Kunst ist viel intensiver als bei einem klassischen Fernsehbericht."
Nachdem Museumsdirektor Maaz die Vorhaben des ZDF auf Anne Reidts iPad gesehen hat, erfasst ihn der Eifer: Für das geplante Format "Geheimnis der Bilder", das Gemälden ebendiese per Mausklick entlocken soll, schlägt er Albrecht Dürers Selbstbildnis im Pelzrock vor. Die beiden philosophieren über das Werk als frühes Selfie, über die Geschichte von Porträts, die Möglichkeiten des digitalen Raums, die das Museum nicht bietet. Man ist sich nahe, Maaz spricht von einer gemeinsamen Verantwortung der Museen und des ZDF für die Ausstellungen im digitalen Kunstraum. Reidt widerspricht insoweit, dass die redaktionelle Hoheit weiter beim ZDF liege. Mit 35 Institutionen aus ganz Deutschland ist das ZDF für das Projekt verpartnert. "Die Chance ist", sagt Maaz, "dass man sieht, wie die verschiedenen Künste untereinander benachbart sind".