Medienkolumne "Abspann":20 Kolumnen für einen van Gogh

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"Scene de rue a Montmartre (Impasse des deux freres et le moulin à Poivre)" 1887 von Vincent van Gogh gemalt, wurde für13 Millionen Dollar versteigert. Ein Klacks verglichen mit dem, was gerade NFT-Kunstwerke erzielen. (Foto: STEPHANE DE SAKUTIN/AFP)

Das neue heiße Ding auf dem Kunstmarkt nennt sich NFT. Jetzt hat ein New Yorker Journalist seine eigene Kolumne in NFT verwandelt und für 560 000 Dollar versteigert.

Von Alex Rühle

Vincent van Gogh war ein Maler, der impressionistische, nicht fungible Token schuf. Falls Sie nicht firm sind in Kunstgeschichte, Token sind Spielsteine. Fungibel bedeutet austauschbar. Ein 100-Euro-Schein ist austauschbar gegen zwei 50-Euro-Scheine, der Wert bleibt derselbe. Genau das unterscheidet ihn von einem Van-Gogh-Gemälde, das eben nicht austauschbar ist gegen zwei Kunstwerke von irgendjemand anderem, sagen wir einfach mal Mike Winkelmann. Das leuchtet ja schon deshalb ein, weil van Gogh Straßenszenen und Pappeln in Frankreich gemalt hat, während Winkelmann eher in Digitalien tätig ist: Unter dem Künstlernamen Beeple postet der Amerikaner seit 2007 täglich ein virtuelles Bild auf der Plattform Tumblr.

So. Jetzt mal Schluss mit Quatsch und ernsthaft. Non- fungible Token, kurz NFT, sind der letzte Schrei auf dem Kunstmarkt. Der vorletzte Schrei war von Edvard Munch, dieser jetzt ist kompliziert zu erklären. Es geht darum, dass man digitalen Objekten eine Art Wasserzeichen aufprägt, wodurch man beweisen kann, dass man der alleinige Besitzer des jeweiligen Objekts ist. In Zeiten des Internets und der beliebigen Vervielfältigung ist das natürlich Gold wert - plötzlich gibt es wieder so was wie Originale. Jack Dorsey, der Gründer von Twitter, hat kürzlich seinen allerersten Tweet als NFT verkauft - für knapp drei Millionen Dollar. Die Künstlerin Krista Kim versteigerte ein Haus, das nur als virtuelle Präsentation existiert, für 500 000 Dollar. Als die kanadische Sängerin Grimes einige digitale Werke auf die Plattform Nifty Gateway stellte, nahm sie damit innerhalb von 20 Minuten rund sechs Millionen Dollar ein.

Die NFT-Collage "Everydays - The First 5000 Days" erzielte fast 70 Millionen Dollar

Als Mike Winkelmann von dem großen NFT-Hype hörte, sagte er, "This is ridiculous", kreierte aus all den Bildern seiner täglichen Reihe die Collage "Everydays - The First 5000 Days" und versteigerte das Ganze vor zwei Wochen für knapp 70 Millionen Dollar. Wodurch sich das Verhältnis zu van Gogh plötzlich dramatisch umdreht: Dessen "Scène de la Rue Montmartre" wurde in dieser Woche für gerade mal 13 Millionen Euro verkauft, das heißt, momentan muss man viereinhalb van Goghs auf den Markt werfen, um sich danach einen digitalen Winkelmann leisten zu können.

Der New-York-Times-Journalist Kevin Roose dachte sich nun, kann ich auch, und bot seine aktuelle wöchentliche Kolumne kurzerhand als NFT an. Oder als Meta-NFT: Er schrieb einen Text, in dem er die NFT-Technik genauso erklärte wie den sagenhaften Auktionshype um NFT-Bilder, -Musikdateien oder -Comics. Dann erklärte er, wie er den eigenen Text in ein NFT verwandelt hatte, was ich nun leider nicht korrekt wiedergeben kann, weil mein Technikverständnis ungefähr mit dem von van Gogh konkurrieren kann. Jedenfalls bot er den Text beziehungsweise dessen NFT-Avatar Anfang dieser Woche zur Versteigerung an und versprach, die Einnahmen an "The Neediest Cases" zu spenden, eine karitative Einrichtung, die der New York Times angegliedert ist. Am Mittwoch ersteigerte ein Mensch, der sich während der Auktion @3fmusic nannte, die Kolumne für 560 000 Dollar.

Das ist nun erstens eine gute Nachricht für den Journalismus: Schon 20 Kolumnen sind plötzlich so viel wert wie ein van Gogh. Zweitens ist es uns in der Kürze der Zeit leider nicht gelungen, aus diesem Text ein NFT zu kreieren (ehrlich gesagt hätte die Zeit vielleicht schon gereicht, ich habe nur immer noch keinen blassen Schimmer, wie man so was macht). Sie können aber trotzdem gerne was an den SZ-Adventskalender spenden.

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