Süddeutsche Zeitung

Medienkolumne Abspann:Wenn Mendelssohn, dann Motörhead

RBB Kultur mischt jetzt auch Pop und Filmmusik unter Bach und Beethoven. Aber wo bleiben Rap und Metal?

Von Peter Richter

Vor ein paar Wochen hat das Kulturradio vom Rundfunk Berlin Brandenburg sein musikalisches Profil verändert und mischt jetzt auch Jazz, Filmmusik und, wie man sagt, niveauvollen Pop unter das gewohnte Programm. Das bestand einst aus Klassik von Albéniz bis Zelenka. Seitdem ist, wie man sich vorstellen kann, ganz schön was los in Berlin und Brandenburg. Im Tagesspiegel schimpfte der für klassische Musik zuständige Redakteur Frederik Hanssen über "Glutamat für die Ohren". Er ging so weit, die neue Anmutung mit der von Klassik Radio zu vergleichen, was eine arge Schmähung ist und sein sollte. Denn das Klassik Radio ist ein im Privatfunk ausgestrahlter Badeschaum, aus dem gelegentlich die Stimme eines Hypnotiseurs hervorblubbert, meist mit dem Befehl: "Entspannen Sie schön!" Die Leserbriefseiten zeigten, dass er mit der Ansicht nicht allein war.

Scharfe Antwort dieser Tage nun jedoch von Thomas Schmidt-Ott, einem Mann mit der Expertise, dass er die musikalische Untermalung von Tui-Kreuzfahrten verantwortet sowie selbst ein - übrigens gelbes - Cello spielt. Schmidt-Ott sagt, es gehe vielmehr um "Frischzellen für die Ohren", was da unter einer neuen Musikchefin unternommen werde, außerdem gehe es darum, die Hörerschaft zu verjüngen und in einem gewandelten Medienumfeld neue Wege zu gehen und dergleichen.

Möglich, dass "Motörhead" die Hörerschaft verjüngt hat, wenn auch durch Herzinfarkte der Älteren

Während die einen es also kulturlos finden, wenn im ehemaligen Klassikprogramm nun Filmmusiken, filmmusikartige New Classics oder Instrumentalversionen von Queens "Bohemian Rhapsody" eingespielt werden, finden andere das frisch und mutig. Dabei ist es in Wirklichkeit nur zaghaft. Wirklich mutig wäre es, jetzt den entscheidenden Schritt zu gehen: Wo bleibt in diesem Musikmix der niveauvolle Metal?

Beispielgebend war da einst die Folge von "Klassik-Pop-et-cetera" im Deutschlandfunk, in die der Musiker Lemmy Kilmister eingeladen war, denn der eröffnete die Sendung selbstbewusst mit der Rubrik "et-cetera", nämlich seiner eigenen Band Motörhead. Möglich, dass schon das damals die Hörerschaft verjüngt hat, und wenn es durch Herzinfarkte der Älteren war. Aber inzwischen ist Kilmister selber tot und ein Klassiker. Das Wacken Open Air wird von Menschen aller Altersklassen besucht, und auch auch die müssen Rundfunkbeitrag bezahlen, bekommen aber kaum etwas dafür außer vorhersagbaren Krimis, Corona-Talks und Schlagern.

Dabei würde es auch den Moderatoren helfen, denn die Brücken zwischen den gar nicht so verschiedenen Welten bauen sich oft von ganz allein: Kirchentonarten bei Schütz und bei Slayer, Klangästhetik des Drachentötens bei Wagner und bei Manowar. Oder: erst Vivaldis Jahreszeiten, und wenn der "Sommer" vorbei ist, kommt "Sommer vorbei" von Zugezogen Maskulin ("Vom Himmel brennt die gelbe Sau!"), deren aktuelle Platte immerhin ein Cover von dem Maler Daniel Richter ziert. Denn nicht nur Metal fehlt völlig im Kulturradio, auch niveauvoller Gangsta-Rap, bzw. linke Gangsta-Rap-Persiflagen. Andere können so was. WFMU aus New Jersey spielt bei helllichtem Tag sogar Mouse on the Keys aus Japan oder den Urmenschenrock von Cromagnon und galt trotzdem und gerade deswegen schon oft als bester Sender der USA.

Noch mutiger wäre nur, alle drei oder vier Sätze eines klassischen Konzerts konsequent auszuspielen. Aber das traut sich schon lange keiner mehr.

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