Süddeutsche Zeitung

Kündigung nach Klassik-Beitrag:Fack ju Mozart

Klassische Musik im Rundfunk ist zum Streitthema geworden. Eine Moderatorin hat in einem Beitrag namens "Ohne Mozart?" nach Gründen gesucht. Nun hat ihr der WDR gekündigt.

Von Helmut Mauró

Dass man es in öffentlichen Einrichtungen mit dem gesetzlich verbrieften Bildungs- und Kulturauftrag nicht mehr so genau nimmt, ist kein neues Phänomen. In Zeiten, da man Filme mit Fack ju Göhte bewirbt und die Namen Mozart und Beethoven bestenfalls für eine skurrile Gerontenkultur stehen und schlimmstenfalls für nationalistische, chauvinistische Hochkultur, ist das Normalität. Kultur und Bildung sind ja selber schon zu Schimpfwörter geworden. Die Musikjournalistin, WDR-Moderatorin und Zeit-Redakteurin Christine Lemke-Matwey hat die momentan aufkochende Diskussion um den Stellenwert klassischer Musik in den öffentlich-rechtlichen Medien in ihrem Artikel "Ohne Mozart?" in der Zeit vom 30. April aufgegriffen und nach Gründen gesucht.

Die Folgen hat sie prompt auch zu spüren bekommen. Nach ihrer letzten Live-Sendung Klassik-Forum in WDR 3 wurde ihr wegen "Illoyalität" gekündigt, berichtet die Neue Musikzeitung. Der WDR bestätigt auf Anfrage, dass Lemke-Matwey die Sendung nicht weiter moderieren wird.

In dem Artikel hat sie in ihrer hinreichend bekannten offenen Art jene Gründe benannt, die auf der Hand liegen. Dass nämlich inzwischen in fast allen Medien, und das gilt nicht nur für Rundfunkanstalten, die Generation der Nach-68-er am Ruder ist, die von dieser vor allem eines geerbt habe: "das militante Desinteresse an Hochkultur". Mit Bob Dylan lasse sich Staat machen, schreibt Lemke-Matwey, mit Mozart gehe das nicht mehr.

"Flächendeckend verrückt"

Was die Journalistin aber nicht sagt oder nicht wahrhaben will: Dass diese Nach-68-er zwar Dylan oder Mick Jagger höher bewerten als Mozart oder Beethoven, dass sie dies aber nie zugeben würden. Schon gar nicht, wenn sie in ihrer Eigenschaft als Programmverantwortliche jene Klientel ruhig halten wollen, die man früher ehrfürchtig und heute verächtlich als Bildungsbürger titulierte. Niemals hört man den Satz: Wir finden klassische Musik nicht mehr wichtig, sondern immer nur: Die Zukunft liege im digitalen Jugendfunk, in Online-Portalen, in der jeweiligen Zielgruppenunterhaltung.

Und weil diesbezügliche Programmschlachten immer heftiger ausgetragen werden und immer öfter die klassische Kultur und Musik zum Ziel haben, hat Lemke-Matwey die Frage gestellt, ob denn die ARD nun "flächendeckend verrückt" geworden sei. "Wo Zuhören nach Quote geht, liegt der Schluss nahe", schreibt sie. "Menschen aber, die über Gegenstände bestimmen, von denen sie nichts verstehen (wollen), sind so. Nicht nur im Radio." Das ist ja nun sachlich kaum zu bestreiten, aber darf man das so deutlich sagen? Beim WDR offensichtlich nicht.

"Gerade in 2014 sind wir besonders aktiv"

Lemke-Matwey will sich momentan nicht äußern. Und der WDR? Der sagt, er tue so unglaublich viel für klassische Musik, dass man die Vorwürfe gar nicht verstehen könne. Das stimmt für die Vergangenheit sogar, man denke nur an den Bereich Alte Musik. In einer Erklärung zum Fall heißt es nun, Lemke-Matwey zeichne ein "Zerrbild", ohne dem Sender die Chance für eine Reaktion zu lassen. Dies entspreche "nicht unseren Standards".

Aber es ging Lemke-Matwey ja keineswegs nur um den WDR.

Wie der Sender sich selbst sieht, teilt er auch mit: "Gerade in 2014 sind wir besonders aktiv", heißt es in der Erklärung. "Ob zum Beispiel das große medienpädagogische Dvorak-Experiment für Jugendliche oder die großflächige Übertragung des Eurovision Young Musicians-Wettbewerbs" - "Der WDR setzt sich nachweislich in hohem Maße für die Hochkultur ein." Aber sind das nicht genau die Abwehrphrasen, die die Musikjournalistin auf die Palme brachten? Weil diesen Beteuerungen dann doch - beim SWR, beim BR und anderswo - ganz andere Taten folgten?

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SZ vom 10.05.2014/ihe
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