Süddeutsche Zeitung

"Fuller House" bei Netflix:Eine schrecklich moderne Familie

"Fuller House" ist eine zeitgemäße Version der beliebten Sitcom aus den Achtzigern - aber nur, was das Setting angeht. Fast alle Mitglieder der Familie Tanner sind wieder dabei.

TV-Kritik von Nadja Schlüter

Das Ganze ist ein Trick. Der Trailer zur Serie Fuller House tut so, als ob sie alle wieder da wären: Danny, Jesse, Joey, die nervige Kimmy, die Schwestern Steph und DJ, die der kleinsten Schwester Michelle auf die Mailbox quatschen. Das wird, so denkt der Zuschauer, das ganz große Wiedersehen mit der Familie Tanner! Die Sache ist: Es stimmt nicht. Zum Glück!

Fuller House ist die Fortsetzung der amerikanischen Sitcom Full House (1987-1995) um drei Männer, die gemeinsam drei Mädchen großziehen. Im Spin-off ist Tochter DJ frisch verwitwet (so wie damals ihr Vater Danny) und allein mit drei Söhnen (so wie damals ihr Vater mit drei Töchtern). Um zu helfen, ziehen ihre Schwester und ihre beste Freundin Kimmy bei ihr ein (so wie damals Dannys Schwager Jesse und sein Kumpel Joey). So weit, so abgepaust. Und so langweilig. Denn der Plot spiegelte damals Umbrüche in der amerikanischen Gesellschaft: Patchwork-Familien und den Bruch mit konservativen Geschlechterrollen. Aber eine gute Sitcom funktioniert über Aktualität, nicht über Nostalgie. Um die Tanners würdevoll ins Heute zu retten, musste also mehr passieren.

Die Produzenten - die gleichen wie damals - wissen das natürlich. In Folge 1 wird ein "Weißt du noch"-Feuerwerk abgefeuert: Alle alten Charaktere haben ihren Auftritt und es gibt einen Seitenhieb auf die Olsen-Zwillinge, die sich damals die Rolle der Michelle teilten und als einzige nicht in der Fortsetzung mitspielen. Aber ab Folge 2 wird Fuller House zu einer eigenen Serie aus dem aktuellem Amerika.

Da wäre Kimmys Tochter Ramona, halb Argentinierin, die erst mal nicht bei den Tanners einziehen will - denn die seien "die weißeste Familie Amerikas". Kein Sitcom-Autor würde heute noch eine rein weiße, heterosexuelle, mittelständische Familie ins Fernsehen schicken. Also braucht Fuller House mindestens diese eine Latina und mindestens einen Seitenhieb auf die "Whiteness" der Tanners. Ansonsten hängen die Kinder zu viel am Smartphone, DJs siebenjähriger Sohn ist ein kleiner Neo-Spießer im Pullunder, und Kimmy muss sich mit dem Machismo ihres Ex-Manns herumschlagen. Die drei Männer aus Full House werden von den drei alleinstehenden Frauen DJ, Steph und Kimmy abgelöst, die sich alleine durchboxen müssen - und können. Modernes Leben also. Nur ab und zu ploppen noch mal ein Danny, ein Joey, ein Jesse auf, umarmen, machen Witze oder geben gute Ratschläge. Es sind Gastauftritte und sie spielen keine große Rolle.

Fuller House ist es also tatsächlich gelungen, Full House in modern zu sein. Aber leider ist die Serie auch genauso brav wie das Original. Full House war zwar ein Kommentar zur Gegenwart - aber ein vorsichtiger. Es gab schon damals mutigere Serien. Heute, da man dem Publikum viel mehr zumuten kann, gibt es die erst recht. Jeder Dialog in New Girl, jede Personenkonstellation in Modern Family ist raffinierter. Darum hat Netflix vermutlich völlig recht, uns die Serie über einen Trick zu verkaufen: Ohne die Nostalgie könnte Fuller House sich sicher nicht gegen die Konkurrenz durchsetzen.

Fuller House, von Freitag an auf Netflix.

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Quelle:
SZ vom 25.02.2016
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