Aktivistinnen und Aktivisten diskutieren über ähnliche Mechanismen im Zuge der sogenannten "Call Out Culture", die eigentlich diskriminierende Äußerungen in den eigenen Kreisen ahnden soll. Wenn jemand neu zu einer Debatte stößt, verhält er sich oft anders als die, die die Debatte bereits seit Monaten oder Jahren führen. Er trifft sich vielleicht mit den falschen Leuten, wählt vielleicht die falschen Worte (oder Satzzeichen), verhält sich nach Ansicht der Etablierten naiv oder falsch oder hat in Teilaspekten schlicht eine Meinung, die die anderen nicht teilen. In der Folge wird er öffentlich bloßgestellt, sein Engagement wird in Zweifel gezogen.
Spott und Hohn gibt es gratis dazu
Natürlich gehört es auch zu einer Debatte, Positionen und Engagement zu hinterfragen. Klar lässt sich am Beispiel Til Schweigers gut diskutieren, wo die Probleme von privatwirtschaftlich betriebenen Flüchtlingsunterkünften liegen. Und sicher ist die Frage wichtig, welche Rolle Kriegseinsätze und Waffenexporte in der Flüchtlingskatastrophe spielen. Nur: Dem wird gar nicht auf den Grund gegangen. Dafür gibt es Mutmaßungen und einen Kübel Spott und Hohn gratis obendrauf. Respektvoll ist das nicht.
Wer aber wirklich will, dass sich auch Leute in die Debatte einmischen, die das vorher nicht getan haben, der muss akzeptieren, dass diese womöglich anders kommunizieren, sich anders engagieren als die, die das schon seit Langem tun. Engagement ist ohnehin vielfältig. Die vermögende Anwältin aus dem Hamburger Villenviertel setzt sich anders für Flüchtlinge ein als der linke Aktivist in Berlin. Und diejenigen, die bisher Flüchtlinge nur aus der Tagesschau kannten, sind in der Debatte auf einem anderen Stand als Menschen, die schon seit den 90er Jahren mit Flüchtlingen arbeiten.
Menschen wie Schweiger kommt dabei eine wichtige Rolle zu, wie ein anderer Artikel in der Zeit darstellt: "Die angesehenen Schauspieler der maßgeblichen Theater sprechen zu einer politisch vorsortierten Zuhörerschaft. Hier haben politische Kundgebungen einen erbaulichen Charakter: Sie bestärken die Überzeugten in ihrer Überzeugung. Demokratie aber heißt, Mehrheiten zusammenzubringen, mit Leuten, die vorher anderer Meinung waren."
Wer diesen Menschen - Prominenten wie Schweiger oder seinen Fans -, sobald sie den Mund aufmachen, signalisiert, dass sie keine Ahnung haben und auch sonst nicht wirklich erwünscht sind, der eröffnet ihnen keinen Weg, sich einzuarbeiten, einzubringen, ihre Meinung zu ändern oder auch nicht. Sondern er schlägt ihnen die Tür vor der Nase zu. Das ist elitär, selbstgefällig und schadet der Debatte.
Denn so erfordert es doppelten Mut von Leuten wie Til Schweiger, sich in Deutschland zu Flüchtlingen zu bekennen: gegenüber den vielen Rassisten und Flüchtlingsfeinden - und gegenüber denen, die ihnen eigentlich zur Seite stehen sollten.
Anmerkung: Die Debatte um die "Call Out Culture" wird vor allem in den USA kontrovers geführt. Während viele Aktivistinnen und Aktivisten sie für nötig halten, um diskriminierende Handlungen in den eigenen Reihen aufzudecken und so zu verhindern, beklagen andere, dass sie oft missbraucht werde, um andere Meinungen zu unterdrücken oder missliebige Personen vom Diskurs auszuschließen.