Süddeutsche Zeitung

Krisenberichterstattung im deutschen Fernsehen:Bei ARD und ZDF sitzen Sie in der letzten Reihe

Seit Monaten tobt in Libyen der Krieg, und als die entscheidende Schlacht anbricht, sind etliche ausländische Sender live dabei. Nur das deutsche Fernsehen wirkt überrumpelt, liefert keine Bilder und lässt den Zuschauer allein mit al-Dschasira.

Paul Katzenberger

In entscheidenden Momenten war das deutsche Fernsehen nicht zur Stelle. Seit März wütet in Libyen der Kampf um den Sturz von Machthaber Muammar al-Gaddafi, doch als seine Bastion Tripolis in der Nacht zum Montag in die Hände der Aufständischen fällt, bekommt der deutsche Fernsehzuschauer davon nur wenig mit.

Im Ersten und beim ZDF berichteten die üblichen Spätnachrichten am Sonntagabend über die Lage in Libyen, die privaten Nachrichtensender N24 und n-tv schalteten Laufbänder, doch wer Liveberichterstattung aus dem nordafrikanischen Krisenland erwartete, wurde enttäuscht. Wieder einmal war das deutsche Publikum mit Informationen über Ereignisse an internationalen Brennpunkten unterversorgt.

Wer sich zeitnah informieren wollte, war angewiesen auf den arabischen Nachrichtensender al-Dschasira. Dessen englischsprachiger Kanal war ein Beispiel für gut gemachten Nachrichtenjournalismus - er lieferte Live-Bilder, Analysen und Kommentare. Aber auch englischsprachige Nachrichtensender wie BBC World News, Sky News oder CNN International, die nicht über den Heimvorteil von al-Dschasira verfügen, berichteten immer wieder live über den Fortgang der Ereignisse in Libyen. Die Qualität der angelsächsischen Berichterstattung war zwar nicht so gut wie bei al-Dschasira, doch immerhin war ein Bemühen zu erkennen: Fehlendes Live-Material reicherten die Redaktionen mit Hintergründen, Expertenmeinungen und Telefonschaltungen an.

Nicht so die deutschen Sender: Bei ARD, ZDF, n-tv und N24 fehlten solche journalistischen Formate völlig. Dabei könnten die Sender gerade in Situationen wie in Libyen ihre Vorteile gegenüber den Printmedien ausspielen. Die Aufnahmen von regimetreuen Mubarak-Anhängern, die mit Kamelen die Demonstranten auf dem Tahrir-Platz in Kairo auseinanderjagten, vermittelten einen eindringlicheren Eindruck von der Lage in Ägypten, als es jede geschriebene Nachricht konnte. Und wenn sich wie jetzt die entscheidenden Ereignisse in der Nacht zutragen, ist der Redaktionschluss der Zeitungen längst vorbei.

Warum nutzen die ohnehin in die Kritik geratenen Öffentlich-Rechtlichen also nicht die Gunst der Stunde und überzeugen die Zuschauer von ihrer Qualität? Damit hätten sie auch in der leidigen Debatte um die Rundfunkgebühren ein gutes Argument auf ihrer Seite: Seht her, die Gelder sind gut investiert, denn wenn die Welt in Bewegung gerät, sind wir dabei.

"Wir sind kein Nachrichtenkanal"

Die Chefin vom Dienst beim ZDF, Yvette Gerner, findet jedoch, dass ihr Sender einen guten Job gemacht hat. "Wir sind kein Nachrichtenkanal", sagte sie zu sueddeutsche.de. Und dafür sei die Berichterstattung des ZDF sogar ordentlich gewesen: "Wir haben das Heute Journal verlängert und unsere Nachtlückennachrichten immer wieder mit den neuen Entwicklungen aus Libyen angereichert. Wir hatten sogar deutsche Stimmen vor Ort."

Die Lage in dem Land sei zudem immer noch unklar. Im Augenblick stehe nicht fest, ob Gaddafi schon gestürzt sei. "Deswegen waren wir der Meinung, dass wir noch keine Breaking News brauchen." Das ZDF habe bis zum Beginn des Ramadan am 1. August einen Korrespondenten in Libyen gehabt, diesen dann aber abgezogen, weil die Nachrichten im Sommer begonnen hätten, sich zu wiederholen. Es habe keine wesentlichen neuen Entwicklungen gegeben. "Doch als wir am Samstag das Gefühl bekamen, dass sich etwas verändert, haben wir sofort ein vierköpfiges Team nach Libyen geschickt." Zwei weitere Teams mit erfahrenen Kollegen seien inzwischen auf dem Weg in die Region, das ZDF sei damit in Kürze mit bis zu zwölf Berichterstattern vor Ort vertreten. Der Sender aus Mainz plane darüber hinaus für den heutigen Montag ein ZDF Spezial zur Lage in Libyen.

ARD-Chefredakteur Thomas Baumann betont, dass das Erste das Thema bereits am Sonntagmittag im Wochenspiegel aufgegriffen habe und das Programm für den Weltspiegel geändert worden sei. Die Tagesthemen seien zudem verlängert worden.

Doch eine eigene Sondersendung verwarf die ARD: "Über einen Brennpunkt am gestrigen Sonntag haben wir lange diskutiert. Wenn man auf viele drängende Fragen keine klaren - auf gesicherten Erkenntnissen basierende - Antworten geben kann, und nur in eingeschränktem Umfang Bildmaterial zur Verfügung steht, dann muss man sich notgedrungen auf die Nachrichtenplätze konzentrieren", sagte Baumann. Ein Brennpunkt sei allerdings für Montagabend geplant.

Zudem räumte das Erste ein, derzeit keinen eigenen Korrespondenten in Libyen zu haben und von den Nachbarländern aus operieren zu müssen.

Wie N24 die eigene Berichterstattung zu Libyen einschätzt, blieb vorläufig unklar. Eine entsprechende Anfrage von sueddeutsche.de blieb bis zur Veröffentlichung dieses Artikels unbeantwortet.

"Achillesferse des deutschen Journalismus"

Obwohl ARD und ZDF keine oder nur kleine Versäumnisse einräumen, werden dem deutschen Fernsehen bei der Berichterstattung aus Krisengebieten immer wieder Schwächen nachgesagt (mehr dazu ...).

Lange galt auch die Betreuung von britischen oder amerikanischen Kriegsreportern durch die Heimatredaktionen besser als die von deutschen Krisenberichterstattern durch ihre Häuser. Dem trug das ZDF Rechnung, als der Sender nach den Ereignissen vom 11. September 2001 auf diesen Mangel reagierte und eine eigene Krisenzentrale einrichtete. Der dunkle Raum ist inzwischen als "Grotte" bekannt, alle Fäden laufen dort zusammen - wenn nötig rund um die Uhr.

Bei der ARD gibt es eine vergleichbare Krisen- und Dienstleistungszentrale nicht, doch nach dem Erdbeben in Haiti im Januar 2010 merkten auch die Fernsehoberen des Ersten, dass sie Großeinsätze logistisch besser strukturieren müssen. Im Krisenfall wird nun ein Krisenreaktionszentrum eingerichtet, in dem alles gesteuert wird.

Auf derlei Kraftanstrengungen kann der Zuschauer der privaten deutschen Nachrichtensender n-tv und N24 nicht hoffen. Eine eigene Krisenzentrale sei für sie nicht finanzierbar, sagen unisono N24-Geschäftsführer Torsten Rossmann sowie n-tv-Geschäftsführer Hans Demmel schon seit Jahren. Der deutsche Markt sei für einen solchen Aufwand zu klein.

Gleichzeitig wehren sich die privaten Nachrichtensender aber vehement gegen die Einrichtung eines öffentlich-rechtlichen Nachrichtenkanals. Der scheint aber notwendig zu sein, damit jemand da ist, wenn die Dinge in Bewegung geraten

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