Krise beim "Spiegel":Absoluter Aufruhr

Spiegel-Gruppe feiert im neuen Gebäude

Das Spiegel-Verlagsgebäude an der Hamburger Ericusspitze

(Foto: Christian Charisius/dpa)

Chefredakteur Wolfgang Büchner sucht beim Nachrichtenmagazin "Spiegel" die finale Machtprobe. Alle Ressortleiterposten sollen neu ausgeschrieben werden, um Print und Online zu verzahnen. Die Redaktion wehrt sich.

Von Kristina Läsker und Claudia Tieschky

Es gab Zeiten, da kam der Spiegel ohne Autorennamen aus und hatte trotzdem die großen Geschichten des Landes im Blatt. Lange her. Im Sommer 2014 kann man den Eindruck haben, dass die Journalisten an der Ericusspitze in Hamburg mehr mit sich und den Namen im Haus beschäftigt sind als mit dem Blatt. Seitdem Wolfgang Büchner vor einem Jahr als Chefredakteur antrat, werden mehr oder weniger gezielt interne Kriege und Koalitionen nach außen kolportiert. Es sind Einzelteile einer Story, die vom Kampf eines der wichtigsten deutschen Pressehäuser um seine Zukunft handelt und die sich gerade zum Drama entwickelt.

Es geht um die Frage, ob Wolfgang Büchner als Chefredakteur in der Lage ist, den Spiegel mit seinen mächtigen Ressortchefs zu verändern, ohne dabei nur rauchende Trümmer zu hinterlassen. An diesem Mittwoch sah es so aus, als sei die Spiegel-Story vollkommen außer Kontrolle geraten.

Das Konzept "Spiegel 3.0"

Büchner will, so schrieb es zuerst die Berliner Zeitung, alle Ressortleiterposten im Haus zeitnah neu ausschreiben und künftig eine gemeinsame Leitung für Print und Online schaffen. Der Spiegel nahm auf Anfrage am Mittwoch dazu nicht Stellung. Für 18 Uhr am Mittwochabend hatte Büchner die Ressortleiter in den Konferenzraum K4 eingeladen. Er wollte dort sein Konzept erläutern - vorbehaltlich der nötigen Zustimmung der Gesellschafter.

Was dann stattfand, folgte nicht ganz dem Drehbuch: Statt nur der geladenen Ressortchefs erschien unabgesprochen fast die gesamte Redaktion im Konferenzraum, wo Verlagschef Ove Saffe und Büchner aufklären wollten. Das Konzept "Spiegel 3.0" sieht demnach vor, dass die ohnehin mit vielen Chefs ausgestatteten Spiegel-Ressorts künftig mit einem Onliner und einem Print-Journalisten an der Spitze gelenkt werden. Büchner wurde mit Vorwürfen konfrontiert, die er bestritt. Nein, es gehe nicht darum, Gegner an den Ressortspitzen abzusägen. Und nein, es gehe nicht um "Vertrauensverlust" zwischen Chefredakteur und Blattfürsten.

Andere, nicht weniger Chefs

Was Büchner durchsetzen will, ist ein Gesamtkonzept, das womöglich andere, aber nicht zwingend weniger Chefs zum Ziel hat. Auch ein neues Ressort Netzwelt ist wohl im Gespräch. Der Plan wurde bereits am Dienstag der Mitarbeiter KG unterbreitet, der der Spiegel mehrheitlich gehört. Verlagschef Saffe bestätigte beim Treffen am Abend, er habe den "Wunsch" geäußert, dass die KG noch diese Woche entscheide. Die Redaktion erfuhr von all dem zunächst aus der Presse, der morgendlichen Konferenz blieb der Chefredakteur am Mittwoch fern. "Das Haus ist in absolutem Aufruhr", so beschrieb einer aus der Redaktion die Lage. Auch über Streik denken sie nun nach. "Das ist die entscheidende Machtprobe", sagte ein anderer.

Keine Stilfrage, sondern Machtgebaren

Bei der improvisierten Redaktionsversammlung schien es aber weniger um inhaltliche Kritik an Büchners 3.0-Strategie zu gehen. Die Mehrheit der Ressortchefs findet es vernünftig, wie Print und Online verzahnt werden sollen. Die Art und Weise, wie Büchner agiert, stößt jedoch intern auf Empörung. Es wird weniger als Stilfrage empfunden, sondern als Machtgebaren. Was Büchner vorlegt, ist ein Plan mit zwei Zielen: Es geht um die digitale Zukunft - und um klare Verhältnisse. Der Spiegel plant ein neues Bezahl-Konzept im Netz. Da ergibt es Sinn, Ressortspitzen zu schaffen, die für alle Kanäle und Inhalte zuständig sind.

Büchners Kampfansage an die Kritiker

Gleichzeitig muss Büchner, dem von wichtigen Ressortchefs viel Widerstand entgegenschlägt, bewusst gewesen sein, wie der Plan verstanden wird, verstanden werden muss, und vermutlich auch verstanden werden soll: als Kampfansage an seine Kritiker, als finale Machtprobe. Büchner war umstritten, spätestens seitdem er den Bild-Mann Nikolaus Blome gegen Widerstände in die Chefredaktion holte. Die Stimmung blieb danach unentspannt.

Im Juli sprach eine Delegation aus drei Ressortleitern bei Saffe in Sachen Büchner vor. Es soll um die Bitte gegangen sein, einen Dialog über die Digitalstrategie in Gang zu setzen. Auch wünschten sich die Ressortleiter angeblich mehr Gespräche über den bevorstehenden Wechsel des Erscheinungstages des Spiegel von Montag auf Samstag und über Titelstorys. Im Grunde ist der Spiegel in Aufruhr, seitdem Saffe im Frühjahr 2013 Büchners Vorgänger, die beiden Chefredakteure Georg Mascolo und Mathias Müller von Blumencron, vor die Tür setzte. Beiden war nicht gelungen, was auch danach nicht gelang: die halbwegs harmonische Zusammenführung von Print und Online.

Büchner risikiert alles

Der gedruckte Spiegel hat unter Rudolf Augstein die Pressefreiheit in Deutschland verteidigt. Spiegel Online erkannte und nutzte als erster Online-Ableger eines Qualitätsmediums die digitalen Möglichkeiten. Beide Kinder des Hauses Spiegel sind selbstbewusst - auch wenn die Onliner deutlich schlechter bezahlt werden und keine Mitglieder der KG sind. Es spricht vielleicht für sich, dass das Konzept, das beide nun in einem Bezahl-Modell verzahnen soll, intern unter dem Arbeitstitel "Eisberg" läuft. Büchner war einst Chef der Agentur dpa und stand an der Spitze von Spiegel Online. Er ist der Mann, der all das Neue durchsetzen soll. Aber das meiste, was man zuletzt über ihn hörte, betraf seinen schwankenden Rückhalt in der Redaktion.

Manche Leute haben das Gezerre satt

Es gibt auch Leute bei dem Hamburger Magazin, die das ständige interne Gezerre zwischen Freunden und Feinden von Wolfgang Büchner sehr satt haben. Und es gibt Ressortleiter, die sich gegen die Intonation wehren, die fast jeder Kritik an Büchner inzwischen automatisch anhaftet. Diese Deutung lautet: Saturierte Printredakteure wehren sich gegen den neuen Macher.

Büchner sucht anscheinend die Eskalation

Was nun passiert, deutet darauf hin, dass auch Büchner die Lage satt hat. Was ihm sein Plan eröffnet, ist weniger die Chance, durch die Neuausschreibungen unliebsame Kritiker an den Schaltstellen loszuwerden. Das steht ihm als Chefredakteur ohnehin offen. Vielmehr wirkt es, als suche Büchner eine Eskalation, die seine eigene Lage beim Spiegel klären soll. Indem er ein Konzept vorlegt, das die einflussreiche Mitarbeiter KG absegnen muss, zwingt er die Journalisten des Spiegel zu einer Wahl. Sie können sich ein für alle Mal für den Chefredakteur und seine Pläne aussprechen - oder sich gegen ihn stellen. Büchner riskiert alles.

Am Mittwoch schien dementsprechend alles möglich zu sein: Dass die KG den Plan billigen wird oder dass Büchner scheitert und hinschmeißt. Er hätte für einen solchen letzten Akt auch eine ihm dienliche Geschichte inszeniert, eine Exit-Strategie: die vom angeblich engagierten Neuerer, der gegen die angeblich Gestrigen im Magazin einfach nicht ankam.

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