Süddeutsche Zeitung

TV-Sender in Sachsen:Freundliche Unterstützung

Ein sächsischer Regionalsender produziert Sendungen für Ministerpräsident Michael Kretschmer und strahlt diese aus. Über die Grenze zwischen Journalismus und Polit-PR.

Von Lena Reuters

Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer steht mit Mikrofon ausgestattet vor einem Stehtisch in der Oberschule in Pockau-Lengefeld und beantwortet Fragen zu Corona-Impfungen und Klimaschutz. Das Ganze kann man sich zwei Stunden im Sachsen-Fernsehen ansehen. Die Veranstaltung ist wenig glamourös und wenig überraschend - dass sie im Regional-TV läuft, könnte aber problematisch sein. Denn Sendungen und Livestreams, in denen Kretschmer und andere Regierungspolitiker beim Lokalfernsehen auftreten, sind zum Teil von den Ministerien finanziert. Wo verlaufen im Journalismus die Grenzen einer Kooperation?

Sachsen-Fernsehen ist ein regionaler TV-Sender. Die Redaktion informiert aus Chemnitz, Dresden, Leipzig und dem Vogtland. Sachsen-Fernsehen ist aber auch eine Produktionsgesellschaft, unter anderem mit ihrer Produktionsmarke Hengstfilm. Aufgrund der Corona-Bedingungen fielen Veranstaltungen aus, der Dialog verlagerte sich in den digitalen Raum. In Sachsen genauso wie überall sonst. Sachsen-Fernsehen konnte sich Aufträge für Livestreams und Videoproduktionen sichern. Zum Portfolio des Unternehmens zählen seitdem auch Gottesdienste, Couch-Konzerte oder Stadtratssitzungen sowie MK - Direkt, das Bürgertalkformat mit Ministerpräsident Michael Kretschmer, und Martin Dulig - Konkret, der Talk von und mit dem Wirtschaftsminister von der SPD.

Die jeweiligen Ministerien geben die Formate in Auftrag, um sie in den sozialen Medien auszuspielen. Das Problem: Die Videos laufen nicht nur auf den Facebook- und Youtube-Kanälen der Auftraggeber, sondern auch im Regionalfernsehen. Die Grenze zwischen der Produktionsfirma Sachsen-Fernsehen auf der einen Seite und dem TV-Sender Sachsen-Fernsehen auf der anderen scheint zu verschwimmen. Es gibt zwei Wege, sich dem Fall zu nähern - der eine ist medienrechtlich, der andere medienethisch.

PR-Formate der Regierung im Fernsehen - ist das Journalismus?

Medienrechtlich ist die Doppelrolle offenbar dann problematisch, wenn für die Ausstrahlung bei Sachsen-Fernsehen Geld geflossen ist. Auf Nachfrage der SZ bestätigt das Wirtschafts- und Arbeitsministerium, dass 12 566 Euro für die Produktion von sechs Sendungen Martin Dulig - Konkret gezahlt wurden. "Mit dem Regional-TV gibt es keine Vereinbarung, dass sie die Sendung ausstrahlen", sagt Pressesprecher Jens Jungmann. Das sagt auch der Geschäftsführer von Sachsen-Fernsehen, Frank Haring. Ausstrahlung und Wiederholung der Formate seien allein aufgrund von Entscheidungen der Redaktion erfolgt. Die sächsische Landesmedienanstalt befasst sich nun mit dem Fall. Eine Sprecherin sagt der SZ, derzeit würde geprüft, ob die Sendungen des Veranstalters Sachsen-Fernsehen rechtlich zu beanstanden seien.

So weit das Rechtliche. Medienethisch wiegt der Fall schwerer. Das lässt sich an dem Talk Martin Dulig - Konkret nachvollziehen. Es sei ein "Format der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit", sagt Jungmann. Dass sich Ministerien und Politikerinnen in den sozialen Medien darstellen, um ihre Inhalte zu vermitteln, ist nicht nur üblich. Es ist zeitgemäß. Die Frage, wie viel Aufwand und Geld in personenbezogene Pressearbeit fließen sollte, sei an dieser Stelle hintangestellt. Klar ist, es handelt sich nicht um journalistische Formate. Dass die Sendung im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit entstanden ist, sieht man zum Beispiel in der Inszenierung und Ästhetik des Vorspanns: Martin Dulig ist angeregt im Gespräch zu sehen, er stützt sich mit beiden Händen auf der Fensterbank ab und schaut staatsmännisch in House-of-Cards-Manier aus dem Fenster.

Warum ist dieses Video keine Pressearbeit mehr, wenn es bei Sachsen-Fernsehen ausgestrahlt wird? Die Redaktion entscheide sich dann für eine Ausstrahlung, wenn die Inhalte von besonderem Interesse für die Zuschauerinnen und Zuschauer seien, sagt Haring. "Gerade während der Corona-Pandemie haben wir ein größeres Interesse an aktuellen regionalen Informationen wahrgenommen und wollten diesem auch entsprechen."

Kritik und Opposition sind nicht vorgesehen

Lässt sich die Sendezeit, die den Trägern von Regierungsämtern für ihre selbst in Auftrag gegebenen Produktionen zugesprochen wird, mit dem Interesse der Zuschauenden erklären? Wie direkt und konkret sie auftreten, geben Dulig und Kretschmer in ihren eigenen Sendungen schließlich selber vor. Die kritische Einordnung von Äußerungen wird in diesen Formaten nicht gewährleistet. Durch die Ausstrahlung erhalten die Sendungen eine größere Reichweite. Duligs Talk hat bei Youtube nur zwischen 100 und 500 Aufrufe. Auch wenn Sachsen-Fernsehen den CDU-Parteitag übertragen hat, kommt hinzu, dass die Opposition derzeit nicht die Möglichkeit hat, in dieser Form im Programm des Senders aufzutauchen.

Unabhängiger Journalismus ist nicht nur eine medienethische Frage, sondern auch eine des Geldes. "Lokalfernsehen trägt sich nirgends von selbst über Werbung. Nahezu alle Sender betreiben daher andere Geschäftsfelder wie beispielsweise Filmproduktion und finanzieren ihre redaktionelle Arbeit darüber quer", sagt Haring. Diese Dienstleistung mache sie als TV-Sender möglicherweise angreifbarer, aber ohne diesen Geschäftszweig, sagt er, könnten sie sich in Zukunft nicht finanzieren.

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