Kontroverse:"Einzigartig"
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Den Namen des Copiloten, der eine Germanwings-Maschine in Frankreich zum Absturz brachte, zu nennen, war zulässig, urteilte nun der Presserat. Die Schwere der Tat rechtfertige dies. Hunderte hatten sich bei der Presse-Selbstkontrolle beschwert.
Von Robert Probst
Der Sturm der Empörung war groß. So groß wie wohl nie zuvor. "Pietätlos", "respektlos", "unterirdisch", lauteten die Vorwürfe an die deutsche Presselandschaft, und das waren noch die harmloseren Begriffe. Die Berichterstattung über den Absturz des Germanwings-Flugzeugs mit 150 Toten am 24. März - herbeigeführt vom Copiloten Andreas Lubitz, der an einer psychischen Erkrankung litt und die Maschine absichtlich an einem Bergmassiv in Südfrankreich zerschellen ließ - wurde derart mit Kritik der Leser und der Social-Media-Gemeinde überhäuft, dass sich viele Zeitungen, auch die Süddeutsche Zeitung, im Zugzwang sahen, ihre Entscheidung für die Nennung des Copiloten-Namens zu erklären.
Die Empörung der Leser spiegelt sich auch in den Beschwerden beim Deutschen Presserat. Noch nie seit Gründung der Presse-Selbstkontrolle im Jahr 1956 haben sich zu einem Einzelereignis so viele Menschen an das Gremium gewandt: 430 Leser beschwerten sich, der weitaus größte Teil wegen der Namensnennung und der ungepixelten Bilder des Copiloten. Diese "identifizierende Berichterstattung" hält der Presserat allerdings in den "allermeisten Fällen" für zulässig, wie er am Donnerstag mitteilte. Es handele sich bei dem Unglück "um eine außergewöhnlich schwere Tat, die in ihrer Art und Dimension einzigartig ist. Dies spricht für ein überwiegendes öffentliches Interesse an dem Fall insgesamt", heißt es.
Auch dass so etwa dessen Eltern identifiziert werden konnten, könne "in diesem außerordentlichen Fall" nicht gegen die Namensnennung sprechen. Ebenso sei eine besondere Zurückhaltung der Medien wegen eines Suizids nicht geboten gewesen, "dieser Gesichtspunkt tritt im Hinblick auf die 149 weiteren Todesopfer zurück." Und da bereits wenige Tage nach dem Unglück davon auszugehen war, dass der Copilot das Flugzeug absichtlich zum Absturz gebracht hatte, sieht der Rat auch keine Vorverurteilung.
Bilder und Namen von Opfern und Angehörigen hätten jedoch in der Regel nicht veröffentlicht werden dürfen, urteilte das Gremium weiter. Eine Rüge - das schärfste Sanktionsmittel des Presserats - gegen Bild und Bild Online sprach der Beschwerdeausschuss aus, weil hier mehrfach gegen die Regularien verstoßen worden sei. Eine weitere Rüge musste die Rheinische Post hinnehmen, die über die Partnerin des Copiloten berichtet hatte, zwar ohne Namensnennung, aber mit so vielen Details, dass sie leicht von einer größeren Gruppe identifiziert werden konnte.
Wegen weiterer unzulässiger Fotos und anderer Verfehlungen wurden sechs Missbilligungen und neun Hinweise ausgesprochen. Einige Fälle wurden nicht behandelt, weil sie "allgemeine Medienkritik" zum Inhalt hatten. Die Kontroverse dürfte nicht zu Ende sein.