Süddeutsche Zeitung

Konfessionelle Presse:Botschaft sucht Empfänger

Wie unabhängig können und sollen kirchennahe und kirchenfinanzierte Medien sein? Eine aktuelle Debatte lässt tief blicken. Früher von Millionen gelesen, fokussiert sich die christliche Publizistik heute zunehmend auf ihre Fans.

Von Matthias Drobinski

Mehr Jesus wagen sollen sie, die christlichen Medien. Heinrich Bedford-Strohm hat das gesagt, Mitte Januar beim christlichen Medienkongress in Schwäbisch Gmünd: "Die evangelische Publizistik weiß sich dem Auftrag verpflichtet, das Evangelium in den Medien zu bezeugen", so der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche und bayerische Landesbischof. Weil die Veranstaltung in Schwäbisch Gmünd über den Kreis der Teilnehmer hinaus nur wenige Menschen interessiert, drang Bedford-Strohms Appell so wenig ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit wie der Streit, der sich auf dem Treffen entspann.

Muss, wer mehr Jesus wagt, auch amtskirchliche Positionen teilen? Ursula Ott, Chefredakteurin des kirchenfinanzierten Magazins Chrismon, hatte für die Streichung des Paragrafen 219 des Strafgesetzbuchs plädiert, der Werbung für Abtreibungen verbietet; ein Shitstorm aus der konservativ-evangelikalen Szene fegte daraufhin über sie hinweg. Ihr Chef Jörg Bollmann, der Geschäftsführer des Gemeinschaftswerks der evangelischen Publizistik, verteidigte Ursula Ott: Man könne hier aus christlichen Gründen heraus verschiedener Meinung sein. Der empörte Vertreter der Evangelikalen forderte, Frau Ott zu feuern.

Der Streit übers Christliche in den Medien hätte so ähnlich auch im katholischen Milieu stattfinden können: Wie frei sind kirchlich finanzierte oder kirchennahe Medien, von kirchlichen Positionen abzuweichen - oder überhaupt neutral darüber zu berichten, dass es solche Positionen gibt? Die Debatte gibt es regelmäßig in den Redaktionen der katholischen wie evangelischen Kirchenzeitungen, den konfessionellen Nachrichtenagenturen sowie in den vielen kleinen und wenigen großen Redaktionen christlicher Zeitungen und Zeitschriften. Wir müssen unseren Lesern auch Strittiges und Kontroverses zumuten, sagen die Redakteurinnen und Redakteure, sonst werden wir überhaupt nicht mehr gehört. Wir müssen die kirchliche Botschaft ins zunehmend säkulare Land bringen, sagt so mancher Kirchenchef. Der Ausgang der Debatte scheint offen.

Nach der Nazidiktatur war die konfessionelle Publizistik eine Macht im jungen Staat

Es ist eine Selbstfindungs- und Selbstdefinitionsdebatte innerhalb eines arg geschrumpften Marktes. Nach der Nazidiktatur war die konfessionelle Publizistik eine Macht in der jungen Bundesrepublik; Zeitschriften wie der Rheinische Merkur und das Deutsche Allgemeine Sonntagsblatt hatten lange eine höhere Auflage als die Zeit, evangelische und katholische Kirchenblätter insgesamt eine Millionenauflage. Doch auch kirchentreue Christen informieren sich heute überwiegend aus kirchenunabhängigen Medien. 2008 verkauften die 37 im Vermarktungsverband "Konpress" zusammengeschlossenen konfessionellen Wochenzeitungen noch 1,16 Millionen Exemplare pro Woche - Ende 2016 waren es nur noch 645 000. Die 22 katholischen Bistumsblätter haben seit 2005 ihre Auflage auf 421 000 Exemplare halbiert; 2017 lag das Durchschnittsalter der Leser bei 70,6 Jahren. "Die Leser sind treu, aber sie sterben halt", fasst der Medienwissenschaftler Christian Klenk von der Katholischen Universität Eichstätt zusammen, "und ich sehe nicht, wie ausreichend jüngere Leser gewonnen werden könnten". Die evangelische Kirche zumindest versucht, sie auf neuen Wegen zu erreichen: Gemeinsam mit dem Multi-Channel-Netzwerk Mediakraft entwickelt sie einen Youtube-Kanal zu Glaubens- und Spiritualitätsthemen.

Auch die Flaggschiffe von einst sind untergegangen. Das Deutsche Allgemeine Sonntagsblatt ist in der Beilage Chrismon aufgegangen, der Rheinische Merkur/Christ und Welt ist mittlerweile ein Zusatz-Angebot für Zeit-Abonnenten. Die Internetplattformen evangelisch.de und katholisch.de haben zwar an Reichweite gewonnen, können aber so wenig die Verluste ausgleichen wie die konservative Internet-Präsenz kath.net. Zum Jahresende musste die konservativ-katholische Zeitung Tagespost aus Würzburg ihre Leser um Solidaritätsbeiträge anpumpen wie einst die linkalternative taz - die 10 000 verbliebenen Leser und der kleine kirchliche Zuschuss reichten zur Finanzierung nicht aus. Und als im November Rudolf Thiemann, der Chef des katholischen Liborius-Verlags, zum Vorsitzenden des Verbandes Deutscher Zeitschriftenverleger gewählt wurde, fragte sich selbst in der Branche mancher: Ja, gibt's die noch?

Es gibt sie noch. Allerdings wandert die katholische wie evangelische Publizistik in der Nische - und dort halten sich einige Zeitschriften durchaus wacker am Markt. Das vierzehntäglich erscheinende Blatt Christ in der Gegenwart aus dem Herder-Verlag, das dem Leser Spirituell-Geistliches mit auf den Weg gibt, liegt zum Beispiel einigermaßen konstant bei knapp 30 000 verkauften Exemplaren, auch Fachblätter wie die katholisch orientierte Herder-Korrespondenz und die evangelischen Zeitzeichen haben ihr treues Publikum bei Pfarrern, Theologen wie auch interessieten Politikern. Die linksalternativ-christliche Zeitschrift Publik-Forum bindet stabil 35 000 Käufer an sich, ohne einen Cent Kirchenzuschuss. Die evangelikale Nachrichtenagentur Idea hat im 20-Jahres-Vergleich sogar um 7000 Exemplare auf 27 400 (2016) zugelegt, allerdings hat die evangelische Kirche im November die 130 000 Euro Zuschuss gestrichen; wie sich das auf die Verbreitung auswirken wird ist noch unklar. "Christliche Medien haben ihre Chance, wenn sie eine klare Zielgruppe bedienen und aus deren Sicht die Qualität stimmt", sagt Christian Klenk. Die Solidarität der überzeugten Leser hat mittlerweile auch die angeschlagene Tagespost gerettet - sie haben innerhalb kurzer Zeit fast 300 000 Euro gespendet.

Leser haben die angeschlagene "Tagespost" gerettet - mit 300000 Euro Spendengeldern

Die Zeitschrift mit der höchsten Auflage muss sich allerdings keine allzu großen Gedanken um den Markt machen: Chrismon wird ganz überwiegend von der Evangelischen Kirche in Deutschland finanziert, mit einem Zuschuss von rund vier Millionen Euro im Jahr. Das Blatt sucht den niedrigschwelligen Zugang zu an Christlichem oder Sinnfragen Interessierten. Insgesamt 1,6 Millionen Exemplare liegen überregionalen und regionalen Zeitungen bei, etwa der Zeit und der Süddeutschen Zeitung; mit einer Reichweite von 1,5 Millionen Lesern ist Chrismon eine der wenigen Publikationen, die von weniger Menschen gelesen wird, als es gedruckte Exemplare gibt.

Im Bereich der katholischen Kirche hat nur das Bistum Essen die Kirchenzeitung Ruhrwort durch eine Mitgliederzeitung ersetzt - eine bundesweite kostenlose Publikation scheiterte bislang daran, dass die katholischen Bischöfe als mögliche Geldgeber sehr unterschiedliche Vorstellungen davon hatten: Unabhängiges Diskussionsforum? Werkzeug der Mission? Es klingt fast wie die Debatte um Chrismon auf dem christlichen Medienkongress.

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Quelle:
SZ vom 29.03.2018
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