Konferenz "Krieg erzählen":Unvorstellbares darstellen

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Wie das Verschwinden professioneller Kriegsberichterstatter die Medieninhalte verändert, diskutieren Journalisten auf einer Konferenz in Berlin. Währenddessen informieren sie sich mithilfe der sozialen Netzwerke über die Situation in der Ukraine.

Von Felix Stephan

Das Erste, was im Krieg stirbt, ist die Zentralperspektive. Vor jedem Leichenberg, vor jedem Massengrab stehen Leute, die drumherumreden. Es gibt keine Frontlinie, an der es nicht vor Mediendirektoren wimmeln würde, deren Aufgabe es ist, dem humanitären Extremfall ein samtenes Formulierungsgewand umzuhängen: Freiheit, Fortschritt, Menschenrechte.

Während des arabischen Frühlings hatten noch viele gehofft, dass sich das Problem von selbst erledigen würde, weil es jetzt das Internet gibt. Die urbane, westlich gesinnte Medienelite konnte in allen Ländern des arabischen Raums Smartphones besser bedienen als die konservative Landbevölkerung, weshalb in Europa und den USA bei vielen der Eindruck entstand, das Zeitalter der Regierungspropaganda gehöre endgültig der Vergangenheit an. In Syrien unterhält das Assad-Regime allerdings mittlerweile die "Syrian Electronic Army", eine hochkompetente Hacker-Einheit, die Webseiten kapert, Kommunikation überwacht und Aktivisten ortet. Im August des vergangenen Jahres hat die Gruppe die Webseiten der New York Times und der Washington Post für einige Stunden vom Netz genommen.

Vorstellen, denken, sprechen

Bei der von der Journalistin Carolin Emcke und dem Historiker Valentin Groebner veranstalteten Konferenz "Krieg erzählen" traten am Wochenende im Berliner Haus der Kulturen der Welt vor allem Menschen auf, die den kriegsbedingten Sprachnebel aufzuklären versuchen. "Uns wird dauernd gesagt, Krieg sei unvorstellbar, undenkbar, unaussprechlich", sagte etwa der amerikanische Journalist Philip Gourevitch, der mit seinen Berichten vom Genozid in Ruanda bekannt geworden ist, "dabei ist das genau unsere Aufgabe: vorstellen, denken, sprechen."

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Eine Aufgabe, die traditionell den Kriegsberichterstattern zukam, fehlte in dieser Aufzählung: abbilden. Zur Bilderproduktion braucht es heute tatsächlich keine Journalisten mehr, das wurde an diesem Wochenende deutlich wie selten. Während in der Berliner Kongresshalle diskutiert wurde, wie sich Krieg erzählen ließe, kollabierte auf den Smartphone-Displays der Teilnehmer die ukrainische Regierung: verletzte Demonstranten, brennende Barrikaden, Janukowitsch abgesetzt, Timoschenko frei, im Flieger, auf dem Maidan. Alles live. Die Bilder stammten zum großen Teil von Aktivisten, Anwohnern oder Unbeteiligten, die sich unter dem Twitter-Hashtag #euromaidan versammelten.

Ausländische Kriegsreporter spielen in diesem Sprach- und Bilderschaum nur eine Nebenrolle. Ihre Bedeutung schwindet nicht nur, weil die sozialen Netzwerke als Nachrichtenkanäle immer wichtiger werden, sondern auch, weil es schlicht immer weniger von ihnen gibt. Im 20. Jahrhundert waren es vor allem die Zeitungen und Agenturen, die Reporter und Fotografen in internationale Konfliktgebiete entsandten und deren Bilder und Geschichten in die Welt schickten. Seitdem die Anzeigenkunden ins Internet abwandern und die Budgets schrumpfen, sind diese teuren Reportereinsätze kaum mehr zu finanzieren.

Der Kriegsfotograf Michael Kamber berichtete in Berlin, die Chicago Tribune habe kürzlich alle ihre Fotografen entlassen, unter ihnen mehrere Pulitzerpreisträger. Sie kaufe nun ihre Bilder von 18-jährigen Einheimischen, für hundert Euro pro gedrucktem Foto. Die Kosten für Transport, Ausrüstung und Versicherung fallen auf diese Weise weg. Und wenn einer dieser Freelancer ums Leben kommt, ist der nächste schnell zur Hand. So pleite, wie sich die Medienkonzerne gerne geben, um die Preise zu drücken, seien sie indes oft gar nicht: Erst kürzlich habe der hochprofitable Fernsehsender NBC eine private Millionenspende entgegengenommen, um über die Gründe für Armut zu berichten. Kamber: "Wieso brauchen Konzerne private Spenden, um ihre Arbeit zu machen?"

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Kriegsfotografen, die nicht fest angestellt sind, können die Preise der Abenteuer-Freelancer nicht unterbieten und sind somit aus dem Spiel. Weil man deren mangelnde Ausbildung den Bildern aber oft ansieht, wird die Rolle der Nichtregierungsorganisationen (NGOs) als Bilderlieferanten immer wichtiger: Human Rights Watch oder Unicef bieten den Fernsehsendern heute kostenlos selbst produzierte Beiträge an. Die eigenen Mitarbeiter stehen darin meist als positive Helden da, das Logo der Organisation ist ständig im Bild. "Vor 30 Jahren waren sämtliche Kriegsakteure von den ausländischen Journalisten abhängig, wenn sie ihre Sicht der Dinge verbreiten wollten", so Kamber, "heute verfügen alle über hochentwickelte Apparate, die das selbst übernehmen. Das Letzte, was dort irgendjemand braucht, sind unabhängige Journalisten."

Berichterstattung unabhängig vom öffentlichen Interesse

Die Vize-Geschäftsführerin von Human Rights Watch, Carroll Bogert, berichtete, dass ihre Organisation sämtliche medialen Kanäle bediene und so unabhängig von Verlagen und Fernsehstationen ein Millionenpublikum erreiche. Die Organisation hat etwa 400 Mitarbeiter, ihr stehen mehr Rechercheure, Texter, Fotografen und Redakteure zur Verfügung, die sich ausschließlich um die Konfliktberichterstattung kümmern, als der New York Times. Ihren moralischen Vorteil sieht Bogert darin, dass ihre Berichterstattung nicht vom öffentlichen Interesse abhängig sei: "Wir wissen, dass sich für den Konflikt in der Zentralafrikanischen Republik niemand interessiert. Unsere Aufgabe ist es, das Interesse dafür zu wecken, indem wir Bilder produzieren, die sonst keiner produziert, und die an die Öffentlichkeit bringen."

Mit einem jährlichen Budget von 70 Millionen Dollar, das ausschließlich von privaten Spendern und Stiftungen stammt, kann Human Rights Watch jene Fotografen und Journalisten bezahlen, die sich die Redaktionen nicht mehr leisten können. Das beste Beispiel ist Bogert selbst: Bevor sie zu Human Rights Watch kam, arbeitete sie für das amerikanische Nachrichtenmagazin Newsweek, dessen Printausgabe 2012 eingestellt wurde.

Konzentration auf das Leid der Opfer

Ein Effekt der neuen Medienmacht der NGOs ist die Konzentration der Kriegsberichterstattung auf das Leid der Opfer - schließlich müssen die Spenden, die ihre Arbeit finanzieren, erst einmal eingesammelt werden. Bei der Frage, wie Konflikte entstehen und frühzeitig verhindert werden können, hilft diese Perspektive eher nicht: "NGOs sprechen immer im Namen der Opfer", sagte Philip Gourevitch, "sie implizieren, dass wir eingreifen müssen, dass wir helfen und die Verantwortlichen vor Gericht stellen müssen. Es gibt aber niemanden mehr, der die Situation analysiert, der die Geschichte des Landes kennt, die tribalen Traditionen - niemanden, der das Leid in einen Kontext stellen kann. Dass es im Krieg vor allem um Vergewaltigung und Leid geht, ist eine Geschichte, die NGOs erzählen, die Spenden brauchen."

Die Situation scheint allen Akteuren etwas unheimlich zu sein: Kattrin Lempp, PR-Chefin von Ärzte ohne Grenzen, berichtete, dass dieselben Medienunternehmen, die in einer Krisenregion gerade ihr Korrespondentenbüro geschlossen hätten, plötzlich mit der Bitte an sie heranträten, die politische Lage vor Ort zu analysieren. Allein: "Das ist nicht unsere Aufgabe." Immer wieder komme es vor, dass die Ärzte ohne Grenzen freie Kriegsfotografen in ihren Autos mitnehmen, weil die es sich heute nicht einmal mehr leisten können, überhaupt zur Frontlinie zu fahren. Pulitzerpreisträger müssen bei den NGOs um eine Mitfahrgelegenheit betteln, wenn sie ihrer Arbeit nachgehen wollen.

© SZ vom 24.02.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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