Michail Chodorkowskij schreibt Kolumne:Verliebt und verurteilt

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Der bekannteste Häftling Russlands meldet sich zu Wort: In einer Zeitungskolumne geißelt Michail Chodorkowskij die Härte und Gnadenlosigkeit des Staates im Fall eines jungen Mannes. Alexej hatte einst betrunken einem Freund ein Handy geklaut und geriet dann in den Sog einer Pädophilen-Debatte. Strafe: fünf Jahre Haft.

Frank Nienhuysen, Moskau

Es ist jetzt seine zweite Geschichte, die Geschichte von Alexej. Über sich hat Michail Chodorkowskij ja schon viel erzählt: Im Moskauer Prozess stand er stundenlang im Gerichtssaal und verteidigte sich, erklärte Unternehmensbilanzen, komplizierte Aktiengeschäfte. Er warf Schaubilder an die Wand, und er sitzt nun doch wieder im Gefängnis.

Michail Chodorkowskij war einmal der reichste Mann Russlands, heute sitzt er im Gefängnis. Als die russische Wochenzeitung The New Times ihm vorschlug, für sie aus dem Knast zu berichten, war er eitel genug, die Offerte nicht auszuschlagen. (Foto: AP)

Jetzt erzählt er von anderen. Der frühere Leiter des Ölkonzerns Yukos, vor ein paar Jahren noch der reichste Mann in Russland, hat in der russischen Wochenzeitung The New Times eine eigene Kolumne. Er schreibt über "Gefängnismenschen", beispielsweise Alexej.

Alexej heißt nicht wirklich Alexej, aber Chodorkowskij erklärt, dass er natürlich Häftlinge, die ihm begegnet sind, nicht so einfach in die Öffentlichkeit schreiben kann. Der Fall Alexej jedenfalls ist für Chodorkowskij Sinnbild der russischen Justiz, der russischen Gesellschaft. Es geht um einen inzwischen 22 Jahre alten Mann, Virtuose an der Drechselbank, wie Chodorkowskij feststellte, der einst betrunken einem Freund ein Handy klaute und zunächst vier Jahre Haft auf Bewährung erhielt.

Gerade 18 geworden, verliebte sich Alexej in ein minderjähriges Mädchen, zog zu ihr in ihr Elternhaus. Sie planten ihre Zukunft, nur gerade zu jener Zeit, als auch in Russland eine Pädophilie-Debatte geführt wurde. Das Land zeigte sein Palotschnaja Sistema, sein "Stöckchen-System": Härte, Bestrafung, Gnadenlosigkeit. Alexej erhielt fünf Jahre.

Vorhersehbar wie die Jahreszeiten wurden seine Anträge auf vorzeitige Freilassung abgelehnt. Nach zwei Jahren antwortete er seiner Freundin, sie müsse nicht mehr länger auf ihn warten. Das ist Chodorkowskijs Geschichte von Alexej.

Kritiker derer, die "Schicksal spielen"

The New Times hat Russlands bekanntesten Häftling um diese Kolumne gebeten. "Alle zwei bis drei Wochen, ganz so, wie es in seinen Möglichkeiten steht", sagt die Chefredakteurin Jewgenija Albats. Das Blatt ist wohltuend kritisch, und Chodorkowskij ist egoistisch und eitel genug, die Offerte nicht auszuschlagen.

Jede Veröffentlichung, jedes Interview entspricht auch seinem Mitteilungsdrang, außerdem erkennt er die Chance, nicht in Vergessenheit zu geraten. Das war schon in seiner sibirischen Lagerzeit so, und nun auch im Gefängnis von Segescha, Karelien.

Chodorkowskij bringt sich weiterhin als Kritiker des Staates ein, der Gesellschaft, der Justiz - also derer, die "Schicksal spielen". Andererseits, nur weil er Michail Chodorkowskij ist, ist die Idee nicht gleich falsch, aus dem Innenleben russischer Gefängnisse zu berichten. Chodorkowskij schreibt schlicht, manchmal eindringlich. Alexej und Kolja, Protagonisten der ersten Kolumne, sind austauschbare Figuren und ihre Viten in der Verbrecherwelt vermutlich beliebig. Die Leserkommentare klingen bestätigend.

Überschätzen sollte man das Echo auf die Kolumne nicht. Zeitschriften in Russland sind in der Regel etwas für wenige Liebhaber, mehr als im Westen wirkt allein das Fernsehen auf die nationale Gemütslage. Und da gab es gerade einen langen Bericht über Chodorkowskij im staatlichen Programm. Vorgestellt wurde er darin, so wertete es jedenfalls die Zeitung Nesawissimaja Gaseta, "als absolutes Monster". Wen sollte das noch wundern?

© SZ vom 14.09.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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