Süddeutsche Zeitung

Klatschjournalismus:"Bunte" Welt: Mit Stalker auf Politikerjagd

Müntefering, Lafontaine und Seehofer wurden ausspioniert, auch mit präparierten Fußmatten. Die Aufträge kamen von Bunte. Auch der Focus spielt eine Rolle.

Von Oliver Das Gupta

Der gewöhnliche Seitensprung ist für People-Zeitschriften ein Pflichtprogramm. Wenn es um Auflage geht, zählen Enthüllungen über Liebschaften von Prominenten doppelt. Doch wie kommt man an den Stoff, aus dem die Schlagzeilen sind? Und was macht man mit dem Privatleben von Politikern?

Jetzt berichtet das Hamburger Magazin Stern - mit Verweis auf die ebenfalls wöchentlich erscheinende Zeitschrift Bunte -, das Privatleben von Berliner Spitzenpolitikern sei systematisch ausspioniert worden. Und zwar von der Berliner Foto- und Recherchefirma CMK, im Auftrag von Bunte.

Seit Ende 2008 seien über Monate hinweg immer wieder der SPD-Politiker Franz Müntefering und seine heutige Frau Michelle Schumann beschattet worden. Anfang 2008 wurde dann offenbar Oskar Lafontaine (Linke) ausgespäht. Aber auch das konservative Lager geriet ins Visier der Klatschspione - es ging um den heutigen CSU-Parteichef Horst Seehofer.

Auf die Spur brachte die Stern-Redaktion ausgerechnet ein Artikel im Magazin Focus des Helmut Markwort - dem Lebensgefährten von Bunte-Chefredakteurin Patricia Riekel. Beide Blätter werden von Hubert Burda verlegt.

Die findigen Focus-Journalisten hatten exklusiv ausgebreitet, Lafontaine werde bespitzelt. Es gebe "unheimliche Gegner", solche die mit "hinterhältigen Methoden" in seinem "Privatleben herumschnüffeln" - es seien vier Detekteien im Einsatz.

Klarer Fall von Stalking also - und da wollte der Stern schon mal genau wissen, wer dahintersteckt und warum.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie Münteferings Fußmatte manipuliert werden sollte.

Das Magazin stützt sich bei seiner Geschichte auf interne Unterlagen von CMK sowie auf Aussagen ehemaliger Mitarbeiter der Firma. Im Fall Müntefering observierten demnach CMK-Leute über Monate hinweg dessen damaligen Wohnsitz. Ihr Ziel: Details und Fotos zur Beziehung mit Michelle Schumann, inzwischen verheiratete Müntefering.

Dabei kamen wohl Methoden wie im BND-Milieu zum Einsatz. So sei der Briefkasten Schumanns manipuliert worden. Und es sollte die Fußmatte von Müntefering mit einem Melder präpariert werden.

"Im Zug eine Reihe hinter ihr"

Einmal wurde Michelle Schumann wohl auf der stundenlangen Zugfahrt von Berlin nach Bochum verfolgt: "Im Zug saß ich eine Reihe hinter ihr", sagt ein CMK-Aussteiger dem Stern. Der Bericht über Münteferings Liebe erschien samt der Bilder am 7. Mai 2009 in Bunte.

Bereits im Frühjahr 2008 hatte CMK gemäß den Stern-Recherchen von Bunte den Auftrag erhalten, eine mögliche Beziehung Lafontaines zur Linken-Abgeordneten Sahra Wagenknecht zu recherchieren. Spekulationen hierzu hatten es vor ein paar Wochen sogar in den Spiegel geschafft.

Die Operation trug angeblich CMK-intern den Codenamen Scarface ("Narbengesicht") - in Anspielung auf eine Narbe am Hals, die Lafontaine seit der Messerattacke auf ihn im Jahr 1990 trägt.

Der Stern referiert, dass CMK das damalige Domizil Lafontaines im Berliner Stadtteil Köpenick ausgespäht habe. Hier wurde minutiös alles festgehalten: "9-30 Uhr: Vorfahrt Audi, Fahrer klingelt bei Müller." Christa Müller, so heißt Lafontaines Ehefrau. Überwachungsprotokolle der Firma belegen, dass außerdem geplant war, eine Kamera zu installieren - in Richtung Wohnzimmer.

Ein CMK-Mitarbeiter versuchte offenbar zudem, in der Linken-Fraktion des Bundestages einen Praktikumsplatz zu bekommen. Die Überwachung des Politikers wurde nach kurzer Zeit eingestellt, die Kamera-Installation abgeblasen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was die Firma mit diesen Aufträgen verdiente.

Die attackierte Agentur CMK bestätigte dem Stern, hinter Müntefering, Lafontaine und Seehofer hergewesen zu sein.

Es habe sich jedoch um journalistisch begründete Jobs gehandelt: "Unsere Recherchemethoden bewegen sich stets im Bereich des presse- und standesrechtlich Zulässigen."

Die Firma tritt nach außen als Foto- und Recherche-Agentur auf. Für ihr Büro in Berlin-Moabit ist jedoch auch der Betrieb einer Detektei registriert.

Bunte räumt entsprechende Recherchen ein

Wer sich aktuell auf der Homepage ("Willkommen bei CMK Group") der Agentur erkundigen will, hat es an wichtigen Stellen mit "Serverfehlern" zu tun. Zum Beispiel beim CMK IRS (Investigative Reporting Services). Man sieht nur, wie ein Tennisball in ein Netz fliegt.

Die Firma wird offiziell geleitet von Geschäftsführer Max Christian Kießling. Sein Sohn Stefan aber führt wohl die große Regie. Zur Aktivität der Gruppe gehört der Verkauf von Bildmaterial, und dabei war auch der Stern schon Kunde.

Bunte-Chefredakteurin Patricia Riekel räumte auf Anfrage des Stern ein, CMK mit entsprechenden Recherchen zum Privatleben der Politiker beauftragt zu haben. Bunte habe im Frühjahr 2008 die Agentur CMK beauftragt, "eine angebliche Beziehung zwischen Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht zu recherchieren". Über "unlautere Methoden" sei Bunte "nichts bekannt".

Doch die offenkundige Systematik der Späharbeit weckt Zweifel, ob das mit dem journalistischen Ethos in Einklang zu bringen ist. Es war ja offenbar eine lukrative Schnüffelarbeit: Im Jahr 2008 überwies der Bunte Entertainment Verlag gemäß der Stern-Angaben rund 242.000 Euro.

Grundsätzlich ist das Privatleben von Politikern erst einmal tabu - auch wenn beispielsweise Berichte über das nichteheliche Kind Seehofers schließlich zum politischen Thema wurden.

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