Klage gegen Netflix:Wähle dein Abenteuer!

Steckt zu viel von der Bücherreihe "Choose your Adventure" in der Serienfolge "Bandersnatch"? Ein Kinderbuchverlag könnte Netflix vor Gericht bringen. Es geht um 25 Millionen Dollar und um die Frage, was Kunst ist und was Kommerz.

Von Jürgen Schmieder

Der Kinderbuchverlag Chooseco darf das Streamingportal Netflix verklagen. Der Vorwurf: Netflix soll bei der Produktion der Folge "Bandersnatch" der Serie Black Mirror Hinweise auf die Kinderbuch-Serie Choose your Adventure verbaut haben, ohne eine entsprechende Lizenz zu besitzen. Ein Bundesrichter hat die Klage zugelassen, es geht um 25 Millionen Dollar. Soweit die reine Nachricht - angesichts der Summe und der Veränderungen in der Unterhaltungsbranche muss der Fall aber womöglich in einem größeren Zusammenhang betrachtet werden.

Bei Choose your Adventure-Büchern treffen Leser an dramaturgisch relevanten Stellen Entscheidungen für die Protagonisten, es ist also möglich, ein Buch mehrmals zu erlesen und so verschiedene Blickwinkel zu erfahren. Der Verlag hat mittlerweile mehr als 265 Millionen Exemplare verschiedener Geschichten verkauft. Netflix habe sich, das steht zumindest in der Klage von Chooseco, um eine Lizenz für die Folge bemüht, die Episode dann aber ohne eine Einigung veröffentlicht.

In "Bandersnatch" geht es um einen jungen Mann in den 1980er Jahren, der ein Computerspiel erfinden will, das auf einem Buch dieses Genres basiert. Wie in den Büchern bestimmt der Netflix-Zuschauer die Handlung mit, per Fernbedienung. Jeder sieht eine andere Story, es gibt Hinweise auf Bücher, Serien und auch auf Netflix selbst. Es ist eine Hommage ans interaktive Geschichtenerzählen, an das Videospiel Zork - aber eben auch an Choose your Adventure.

"Der Protagonist sagt explizit, dass dieses Buch im Zentrum der Geschichte ein 'Choose your Adventure'-Buch sei", schreibt der zuständige Richter in seiner Begründung. Die Folge selbst sei zwar als Kunstwerk zu betrachten, jedoch sei Netflix ein Unternehmen mit Gewinnabsicht: "Es erscheint plausibel, dass Netflix die Charakteristik der Buchserie dazu verwendet hat, Aufmerksamkeit für sein eigenes Produkt zu generieren." Die Entscheidung, die Klage vor Gericht zuzulassen wiederum ist mitnichten ein Schuldspruch gegen Netflix, sondern lediglich eine Möglichkeit, sollten sich beide Parteien nicht vorher einigen.

Netflix hat ein Jahr lang versucht, die Klage abzuwenden und sich dabei auch auf den ersten Zusatzartikel der US-Verfassung berufen. "Der Gedanke, dass Leser oder Zuschauer eigene Entscheidungen treffen, kann nicht markenrechtlich geschützt sein", hieß es in einem Statement der Anwälte des Unternehmens.

Durch den technischen Fortschritt sind neue Formate und Inhalte möglich. Netflix hatte schon vor der "Bandersnatch"-Folge mit interaktiven Geschichten experimentiert; das chinesische Social-Media-Portal Tiktok fordert seine Nutzer auf, Tänze zu bekannten Liedern aufzuführen - beim Veröffentlichen auf anderen Plattformen wie etwa Instagram gibt es bisweilen Probleme wegen möglicher Urheberrechtsverletzungen. Was ist wo erlaubt, und wie sollen die Nutzer, die mittlerweile allesamt auch Urheber sind, das wissen? Das Samplen bei Hip-Hop-Songs zum Beispiel hat eine lange Tradition. Wann aber endet Kunst und beginnt Kommerz - das ist letztlich die Frage, die bei diesem Fall beantwortet werden soll.

Die Entscheidung von Richter Sessions, die Klage zuzulassen, hat viele in der Branche verblüfft. Der Ausgang im Streit zwischen Chooseco und Netflix ist ungewiss. Nicht wenige Beobachter glauben, dass es zu einer außergerichtlichen Einigung kommen wird, bevor es überhaupt zu einem Prozess kommt.

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