Kinderfernsehen:Zeit der Rituale

Gegen alle Abgesänge auf das lineare Fernsehen hat der Kika Erfolg mit langlebigen Programmen und gewohnten Gesichtern. Das hat etwas Behagliches, auch für Eltern. Vielleicht nicht mehr lange.

Von Carolin Werthmann

Baumhaus - Allgemein 3

Ob sie mit ihrem Fernrohr bis in die Zukunft schauen können? Singa Gätgens und Juri Tetzlaff moderieren im Kinderkanal – seit 22 Jahren.

(Foto: Carlo Bansini/KiKA)

Der erste Impuls ist, diesen Mann zu duzen. Ihm auf die Schulter zu klopfen und zu rufen: "Mensch, Juri, ewig her, hast dich kein bisschen verändert!" Hat er tatsächlich nicht. Die gleiche Frisur wie damals, die gleiche Haarfarbe wie damals - sehr dunkles Braun -, und falls das um seine Augen Fältchen sein sollten, dann, so redet man sich ein, kommen die nicht vom Alter, sondern vom Lachen.

Er steht im Foyer des MDR-Landesfunkhauses in Erfurt, hält einen Pausenplausch mit einem Kollegen, man beobachtet ihn aus ein paar Schritten Entfernung, ein wenig ehrfürchtig, weil das immerhin derjenige ist, den man als Fünfjährige im Röhrenfernseher gesehen hat, vor 22 Jahren, als er den Sandmann im Kinderkanal Kika anmoderierte, immer kurz vor sieben.

Juri Tetzlaff ist 47 und trotzdem zeitlos. Vielleicht schätzt sein Publikum ihn deshalb so sehr. Vielleicht fällt es deshalb schwer, sich den Kinderkanal ohne ihn vorzustellen.

Immer noch ist Juri Tetzlaff Moderator im Kika - und immer noch sieht sein junges Publikum ihn vor allem im Fernsehen statt in Apps und Mediatheken. Denn wie die Kindermedienstudie 2019 zeigt: 88 Prozent der befragten Vier- bis 13-Jährigen gucken Sendungen, Filme und Serien mehrmals pro Woche genau dann, wenn sie im Fernsehen laufen. Zocken Kinder also doch nicht nur Fortnite oder hängen bei Netflix und Amazon ab? Wie positioniert sich öffentlich-rechtliches Kinderfernsehen heute im Vergleich zu seiner Konkurrenz?

1997 lief die erste Sendung des Kika, das öffentlich-rechtliche Fernsehen bündelte damit seine zuvor auf ARD und ZDF verteilten Kinderprogramme für eine Zielgruppe zwischen drei und 13 Jahren. Die Logik folgte den wenige Jahre zuvor gegründeten Privatsendern Super RTL und Nickelodeon.

Im Programm des Kika liefen GuteNacht-Geschichten des Sandmanns, die Kindernachrichtensendung Logo!, die Internatssoap Schloss Einstein für Beinah-Teenies und Das Baumhaus, in dem das Moderatorenteam, Juri und Singa, sozusagen die sprechenden Graswurzeln des Senders, abwechselnd Gebasteltes und Gemaltes von Zuschauern präsentierte. Es folgten lustige Spielshows, dann Umstritteneres wie die Teletubbies, jene bunten Moppelfiguren, die zwischen irgendwie putzig und irgendwie gruselig oszillierten, sich nur mit "A" und "O" artikulierten und deshalb als Kinderserie in die Kritik gerieten.

Juri Tetzlaff wird dann zu einer Art Freund, der zur vereinbarten Zeit am vereinbarten Ort ist

Auch der Kinderkanal musste sich an den medialen Wandel anpassen, brezelte seine digitale Tauglichkeit auf und erweiterte sein lineares Programm um neue Formate. Und doch blieben viele Inhalte, viele Figuren, viele Gesichter gleich.

Das hat etwas Behagliches, schürt ein Gefühl von Zeitlosigkeit. Obwohl die Welt sich wandelt, bleibt die Welt der Kindheit vermeintlich unberührt - zumindest aus Sicht der Eltern. Denn die sind es, die sich an die eigenen Sesamstraßen-Sitzungen zu erinnern beginnen. Daran, wie sie, damals selbst Kind, belustigt aufquiekten, wenn das Krümelmonster seine Kekse verputzte. Wenn sie an die sorgenfreie, behütete Zeit eines Kleinkinds denken, dessen Höhepunkt des Abends die animierten Schweinchen Piggeldy und Frederick waren. Das Erstaunliche ist, dass das auch heute offenbar bei der Zielgruppe funktioniert. Trotz allen angeblichen Wandels. Und die Frage ist, warum.

"Tatsächlich ist das, was Kinderprogramm heute leisten muss, nicht wesentlich anders als noch vor 20 Jahren", sagt Astrid Plenk, Programmgeschäftsführerin des Kika. Eine für einen Sender heutzutage erstaunliche Aussage. "Grundlage ist der öffentlich-rechtliche Auftrag. Bildung, Orientierung, Unterhaltung und Beratung durch ein genrereiches und vielfältiges Angebot. Ein beständiges Team dafür zu haben, ist sehr wichtig, denn gerade im Vorschulbereich schätzen Eltern und Kinder die Verlässlichkeit."

Einer wie Juri Tetzlaff, der einem im MDR-Gebäude dann tatsächlich das Du anbietet, kann sich zu einer Identifikationsfigur und zu einem Wissensvermittler für die Zuschauer entwickeln, zu einer Art Freund, wenn man so will, der zur vereinbarten Zeit am vereinbarten Ort ist. Routine und Ritual mit vertrauten Gesichtern - das ist es, womit sich der Kika gegenüber der Konkurrenz behauptet. "Ich entwerfe mich nicht am Reißbrett und überlege, wie ich der beste Kinder-Juri bin", sagt Tetzlaff. "Ich mache diese Arbeit mit Leidenschaft, und Kinder merken so etwas. Dann springt ein Funke über."

Moderation und persönliche Ansprachen finden sich bei privat-kommerziellen Anbietern kaum, bestätigt Maya Götz, Medienpädagogin und Leiterin des Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI). Diese sendeten so gut wie ausschließlich fiktionale Programme, die für einen globalen Markt produziert wurden. "Die Aufgabe der privaten Anbieter ist es in dem Sinne auch nicht, Kinder zu unterstützen, sondern Geld über verkaufte Werbezeiten und Lizenzprodukte zu verdienen", so Götz. "Entsprechend wird vor allem Unterhaltendes angeboten, das möglichst viele Kinder lange am Bildschirm halten soll."

Eine Alternative zum linearen Fernsehprogramm und den Mediathek-Angeboten der Sender ist Youtube Kids. Seit 2017 ist die für Kinder entwickelte App von Youtube in Deutschland verfügbar. Die Inhalte dort werden vorgeschlagen oder gefiltert - von Algorithmen. Dahinter steckt keine Redaktion, kein Team, das mit Medienpädagogen gemeinsam über mögliche Inhalte und Formate diskutiert, ehe sie öffentlich werden. Obwohl Eltern die Suchfunktion abstellen und unangemessene Inhalte melden können, bleibt die Ungewissheit über die Selektion der Rechenmaschine bestehen. Auch die Werbung bleibt, genauso wie bei Nickelodeon, Disney Channel und Super RTL. Und mit Netflix, Amazon und Disney+ treten Konkurrenten in den Ring des Kinderfernsehens, die zwar, so Maya Götz, von der vorpubertären Zielgruppe noch vergleichsweise wenig beachtet würden, die aber sehr bald das Segment des Kinderprogramms gezielt ausbauen dürften.

Laut Kindermedienstudie 2019 sind Streamingdienste derzeit vor allem ab zwölf Jahren interessant, Mediatheken-Angebote ab 13. Dagegen ist die lineare Ausstrahlung trotz unzähliger Prophezeiungen vom bevorstehenden Untergang des klassischen Fernsehens konstant erfolgreich - noch zumindest. Denn wenn Disneys Eiskönigin Elsa voraussichtlich von 2020 an nonstop und völlig unverfroren in der hauseigenen Online-Videothek in Deutschland abrufbar sein wird, müssen sich Juri, Bernd das Brot und der Sandmann wohl tatsächlich, nun ja, warm anziehen.

Juri Tetzlaff wird immer wieder gefragt, ob er sich nach mehr als 20 Jahren Kinderfernsehen nicht vorstellen könnte, etwas anderes zu machen. Abgesehen davon, dass er das tue - er schreibt Drehbücher und ist in der Musikvermittlung tätig -, meint er: "Ich fühle mich total wohl damit, was ich mache. Ich könnte das so lange tun, bis ich 100 bin."

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