Süddeutsche Zeitung

Kinder-Medien-Studie 2018:"Kinder nehmen das in die Hand, was Eltern ihnen geben"

  • Drei von vier Kindern lesen mehrmals pro Woche in Büchern oder Zeitschriften, das zeigen die Ergebnisse der Kinder-Medien-Studie 2018.
  • Insgesamt, so die Herausgeber der Studie, hielten sich bei Geschenken digitale und klassische Wünsche in der Summe die Waage.
  • Kindern achten außerdem sehr darauf, welchen Umgang mit Medien Eltern ihnen vorleben.

Von Jan Schwenkenbecher

Früher waren Kinder noch draußen, früher haben sie noch gelesen. Heute hängen sie ja nur noch rum, schauen Videoclips im Internet oder chatten, statt zu sprechen. So die weitverbreitete These vieler Analog-Nostalgiker. Mit der Wirklichkeit stimmt sie nur bedingt überein. Denn tatsächlich lesen drei von vier deutschen Kindern zwischen vier und 13 Jahren mehrmals pro Woche Bücher oder Zeitschriften, nur 35 Prozent der 13-Jährigen schauen hingegen mehrmals pro Woche Videos auf Portalen wie Youtube. Das zeigen die Ergebnisse der Kinder-Medien-Studie 2018, die am Dienstag in Berlin vorgestellt wurde.

Um zu erfahren, wie häufig Kinder welche Medien nutzen, führten sechs große Print-Verlage, darunter Gruner+Jahr, Zeit und Spiegel, Interviews mit 3300 Kindern und deren Eltern. Liest überhaupt noch wer Gedrucktes? Hängen nicht alle nur noch vor der Glotze rum? Wie die Ergebnisse zeigen, spielen Medien, egal ob analog oder digital, bei Kindern eine nachgelagerte Rolle. Denn die zwei liebsten Freizeitbeschäftigungen sind nach wie vor "mit Freunden zusammen sein" und "im Freien spielen".

"Kinder tun das, was sie immer getan haben: die Welt erkunden", sagt Angela Tillmann, Professorin und Medienforscherin an der TH Köln, die sich die Studienergebnisse angeschaut hat. Wenn sie nicht nach draußen wollen, liege das nicht unbedingt an den toll ausgestatten Kinderzimmern, sondern am Angebot draußen - ob ein Spielplatz in der Nähe sei oder Freunde gegenüber wohnten. In den Zimmern finden sich der Studie zufolge bei den allermeisten Kindern Kuscheltiere und Spielkästen. Später würden dann jedoch digitale Angebote interessanter: Mit neun Jahren hat bereits die Hälfte aller Kinder ein Smartphone, mit 13 Jahren sind es 92 Prozent.

Generell gilt laut Tillman: "Kinder nehmen das in die Hand, was Eltern ihnen in die Hand geben." Hätten Erwachsene ständig das Handy in der Hand, wollten Kinder das auch. "Die Geräte sind symbolisch aufgeladen, sie sind ein Erwachsenen-Ding, und Kinder wollen immer an der Erwachsenenwelt teilhaben."

Das könnte erklären, warum für viele Kinder (41 Prozent) Handy oder Smartphone ganz oben auf der Wunschliste stehen. Spielekonsolen oder Gesellschaftsspiele waren mit je 25 Prozent weniger stark nachgefragt. Insgesamt, so die Herausgeber der Studie, hielten sich digitale und klassische Wünsche bei Geschenken in der Summe die Waage.

Ein Problem sieht Tillmann ohnehin nicht darin, dass Kinder Digitales nutzen, sondern vielmehr in der Bewertung: "Was ich schade finde, ist, dass man immer wieder so stark zwischen analog und digital unterscheidet." Es werde gar nicht geschaut, was Kinder damit machten, etwa ob sie lesen oder spielen. "So entsteht eine Hierarchisierung, mit der wir uns keinen Gefallen tun", so Tillmann. Lesen könne man ja schließlich auf beiden Wegen. "Kinder sollten beides kennenlernen, um frei und selber entscheiden zu können."

Manchmal entscheiden Kinder selbst, das Smartphone zur Seite zu legen

Dass sie das durchaus hinbekommen, zeigen die Antworten auf die Frage der Studienautoren, wie denn das Internet einzuschätzen sei: "Das coolste Medium, das es gibt. Es kennt alle Geheimnisse, weiß Antwort auf jede Frage und stellt alle Musik der Welt bereit." Oder auch: "Wie ein Buch, wo alles drinsteht, nur dass es eben auf einem Bildschirm ist."

Einerseits. Wenn jedoch andererseits gilt: "Papa sitzt stundenlang dran und redet nicht mit uns", dann ist das Internet "doof" und "schlecht für die Menschen". Es zählt also der Umgang.

Und selbst den regeln Kinder mitunter selbständig. Gregory Grund, der mit dem Verein Digitale Helden in Schulen Kinder wie Lehrer berät, was digitale Angebote können und wo Gefahren bestehen, sagt: "Wir erleben viele Jugendliche, die untereinander selbst Regeln für die Gerätenutzung in gemeinsamer Runde entwickeln." Dabei hätten stets die Anwesenden Priorität vor dem Smartphone.

Ein generelles Handyverbot in Schulen sieht er kritisch, da sich die Schule so als Anleiter und Vorbild disqualifiziere. Doch manchmal seien auch Verbote angebracht: "Abends vor dem Schlafen empfehle ich sehr, keine digitalen Geräte mit ins Bett nehmen zu lassen", so Grund. Das Bildschirmlicht halte wach und die Verführungen Youtube, Klassenchat oder Spiele könnten von ausreichendem Schlaf abhalten.

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