Süddeutsche Zeitung

Kika-Affäre: ZDF attackiert MDR:Einzelfall oder Systemfehler?

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Nach dem Revisionsbericht zum Kika-Skandal, kritisiert ZDF-Intendant Markus Schächter den MDR. Der Sender sei mitverantwortlich für den Millionenbetrug beim Kinderkanal.

Christiane Kohl

Wer mit Augenzeugen spricht, die ein und dasselbe Ereignis beobachtet haben, stellt zuweilen fest, dass sich ihre Wahrnehmungen diametral unterscheiden - als wären sie auf verschiedenen Veranstaltungen gewesen. So verhält es sich derzeit mit den Intendanten Udo Reiter vom MDR und Markus Schächter vom ZDF: Die beiden Fernsehgewaltigen legten ihren jeweiligen Kontrollgremien kürzlich Kurzberichte einer gemeinsamen Revisionsprüfung von MDR und ZDF vor, in welcher der ungeheuerliche Millionenbetrug untersucht wird, der seit Monaten den von ARD und ZDF gemeinsam betriebenen Erfurter Kindersender Kika erschüttert. Was die Intendanten jedoch aus der über 100 Seiten starken Fleißarbeit ihrer Revisoren über den wohl größten Betrugsfall der deutschen TV-Geschichte extrahierten, liest sich völlig unterschiedlich.

Da legt Reiter ein Hauptaugenmerk auf die "kriminelle Energie" des mutmaßlichen Täters: Die dem ehemaligen Kika-Herstellungsleiter Marco K. zur Last gelegten Betrugsmanöver seien so clever eingefädelt gewesen, dass sie "ohne spezifische Fachkenntnis offenbar kaum zu entlarven" gewesen seien. Hingegen lenkt Schächter den Blick auf die Kontroll-Ebene des MDR, wo er ein "mangelndes Bewusstsein für die Risiken der Wirtschaftskriminalität" als mit ursächlich für die Veruntreuungen sieht. Fast zehn Jahre lang soll der heute 43-jährige K. insgesamt 8,2 Millionen Euro beiseite geschafft haben. Im Sender war dies nie aufgefallen, erst durch die Selbstanzeige des Chefs einer beteiligten Zulieferfirma in Berlin flog der Schwindel auf.

Noch ermittelt die Staatsanwaltschaft. Das Muster der Tatabläufe scheint nach Darstellung des ZDF jedoch weitgehend geklärt. So soll Herstellungsleiter K. vor einer Transaktion jeweils die beteiligte Firma telefonisch über die Parameter der zu stellenden Rechnung instruiert haben. Dann habe er einen Mitarbeiter aus seinem Controlling-Bereich gebeten, einen Auftrag in der anvisierten Rechnungshöhe zu schreiben, die ins elektronische Rechnungssystem des Kika eingegeben worden sei.

Wenn die Firma daraufhin eine entsprechende Rechnung, als "persönlich/vertraulich" adressiert, an K. gesandt habe, sei dieser wieder zu dem Controlling-Mitarbeiter gegangen, der nun ein Formular "Prüfnachweis" ausgedruckt habe. Kurz darauf habe die Erste Sachbearbeiterin des Herstellungsleiters die Rechnung ohne weitere Prüfung abgezeichnet, und "direkt in Anschluss" habe sich K. die Rechnung zur Zahlungsanweisung vorlegen lassen. Das Geld soll oft in bar per Kurier an ihn gesandt worden sein.

Schon aufgrund seiner Funktion müsse zumindest der Controlling-Mitarbeiter "einen tiefen Einblick in die Gesamtheit der Vorgänge" gehabt haben, glaubt man beim ZDF. Überdies habe er von der Spielleidenschaft seines Vorgesetzten gewusst, die heute als eine Triebfeder für die Veruntreuungen gilt. Mithin müsse der Controller "zumindest stillschweigend eingeweiht" gewesen sein. Auch die Erste Sachbearbeiterin hält das ZDF für mitverantwortlich: Sie habe "die unmittelbar entscheidende Ursache für das Gelingen der Betrügereien gesetzt", weil sie die Rechnungen ohne Prüfung als sachlich richtig gezeichnet habe. Die Frau wurde vom MDR inzwischen fristlos gekündigt, bei dem Controller sah man dazu bisher keine rechtliche Möglichkeit.

Unterdessen fährt das ZDF weitere Geschütze auf. So wird festgestellt, dass zumindest in den vergangenen Jahren das angenommene Tatmuster des Herstellungsleiters K. vermutlich nicht mehr hätte greifen können, wenn im Kika die Ergebnisse einer früheren Revision von ZDF und Hessischem Rundfunk umgesetzt worden wären, deren Resultat 2009 vorgestellt wurde. Nach Darstellung von Reiter waren darin nur "eine Reihe von Details moniert" worden. ZDF-Intendant Schächter hingegen behauptet, dass bereits damals die "internen Probleme im Kontrollsystem" genau benannt worden seien.

Schon eine "Verlagerung der Zuständigkeit für die Sachlich-richtig-Zeichnung auf eine Institution außerhalb der Herstellungsleitung" hätte laut ZDF die Manipulationen verhindert. Nichts dergleichen sei jedoch geschehen. Die "Verantwortlichen in MDR und Kika" hätten mit der Umsetzung der Prüfempfehlungen ausgerechnet den Mitarbeiter beauftragt, dessen Bestellpraxis von den Revisoren kritisiert worden war: Marco K.

Statt für die Trennung der Verantwortlichkeiten zu sorgen, soll dieser das Rechnungswesen des Kika den ZDF-Ausführungen zufolge zunehmend "informationstechnisch abgeschottet" haben im MDR. So seien die Beschaffungsvorgänge des Kindersenders nicht ins MDR-System überspielt worden, sogar die Kika-Programmmacher hätten keinen Einblick in das Kostensystem gehabt - mithin wussten sie offenbar nicht, welche Kosten sie mit was verursachten. Die "lückenhafte Produktionskostensteuerung" der Kika-Leitung ist aus Sicht des ZDF-Intendanten ein "wesentlicher Grund" dafür, dass so lange unbemerkt Millionenbeträge abgezweigt werden konnten.

Harte Vorwürfe. Sie zielen direkt auf die Leitung von MDR und Kika. Konkret benennt Schächter den inzwischen zurückgetretenen MDR-Verwaltungsdirektor Holger Tanhäuser, den einstigen Programmgeschäftsführer des Kika Frank Beckmann sowie den Leiter der Kika-Programmplanung. Beckmann, heute Fernsehdirektor beim NDR, war bis 2008 Kika-Chef. In diese Zeit fällt das Gros der Veruntreuungsfälle. So betrafen beispielsweise von 123 Rechnungen, die von einer Berliner Produktionsfirma an den Kika gestellt wurden, nach den Feststellungen der Revisoren ganze vier Rechnungen tatsächliche Leistungen - der Rest bestand aus Scheinrechnungen.

Beckmann will von allem nichts gewusst haben. ZDF-Intendant Schächter aber insistiert, es habe bereits zu Beckmanns Amtszeit Veranlassung gegeben, den "fundierten Gerüchten" über die Spielleidenschaft von Marco K. nachzugehen. Allein das Erfurter Casino habe der Herstellungsleiter "drei- bis viermal pro Woche aufgesucht", und dort "jeweils circa 20 000 Euro verspielt". Den Kika-Kollegen sei das "nicht verborgen geblieben".

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Quelle:
SZ vom 16.04.2011
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