Kika-Affäre: Geheimer Revisionsbericht:Dunkle Details

"Kultur des Wegschauens": Ein geheimer Revisionsbericht legt nahe, dass die Kika-Affäre noch viel größer ist als gedacht. Ein ehemaliger Mitarbeiter soll das öffentlich-rechtliche Kinderfernsehen um 8,2 Millionen Euro betrogen haben.

Christiane Kohl

Mehr als 100 Seiten umfasst der Revisionsbericht, den die Experten von ZDF und MDR kürzlich zum Fall des ehemaligen Produktionsleiters Marco K. zusammengestellt haben. Dem Mann wird vorgeworfen, den von ZDF und ARD gemeinsam betriebenen TV-Kindersender Kika in den vergangenen zehn Jahren um rund 8,2 Millionen Euro betrogen zu haben.

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Der ZDF-Intendant Markus Schächter nutzt jetzt Details aus der streng geheimen Revisions-Expertise von ZDF und MDR, um eine Spitze gegen einstige Verantwortliche bei Kika zu landen.

(Foto: dapd)

In vielen Einzelheiten haben die Rechercheure von MDR und ZDF mühevoll zusammengetragen, welche Umstände diesen wohl größten Betrugsfall in der Geschichte des öffentlich-rechtlichen Fernsehens möglich machten - selbst die Kurierwege, auf denen das Geld transferiert wurde, haben die Experten nachgezeichnet. Ihr Bericht gilt als streng geheim im MDR, der die Federführung beim Kika hat. Nicht mal die Rundfunk- und Verwaltungsräte bekamen eine Kopie davon zugesandt. Unterdessen nutzte ZDF-Intendant Markus Schächter jetzt Details aus der Revisions-Expertise, um eine Spitze gegen einstige Verantwortliche beim Kika zu landen.

Doch wie heiß der Bericht auch gehandelt wird, in dem umfangreichen Druckwerk scheint immer noch nicht das volle Ausmaß der Affäre erfasst zu sein. MDR-Intendant Udo Reiter jedenfalls kündigte jetzt in einem Brief an die Gremien an, dass vermutlich noch "mit weiteren Erkenntnissen zu rechnen" sei. Mittlerweile hat nämlich auch die Staatsanwaltschaft ihre Untersuchungen ausgedehnt: Spezialisten des Thüringer Landeskriminalamtes durchsuchten in der vorigen Woche sieben Privatwohnungen und acht Firmen in Thüringen, Berlin und Baden-Württemberg. Ermittelt wird inzwischen gegen elf Personen, bei den Vorwürfen geht es nicht mehr nur um Veruntreuung und Betrug, sondern auch um Bestechung, Bestechlichkeit und Vorteilsannahme.

Bislang war die Revision der öffentlich-rechtlichen Sender lediglich auf fünf beteiligte Unternehmen gestoßen. Seit den neuerlichen Durchsuchungen ist hingegen "von insgesamt acht möglicherweise involvierten Firmen" auszugehen, wie Reiter an die Verwaltungsräte schreibt. Und er fügt eilfertig hinzu, dass entsprechend der neuen, im Zusammenhang mit der Affäre beschlossenen Kontrollmechanismen auch die Geschäftsbeziehungen zu diesen Firmen "auf den Prüfstand" kämen.

Das dürfte bedeuten, dass man beim MDR offenbar noch nicht weiß, ob der Kika oder auch der mitteldeutsche Muttersender selbst noch Geschäftsbeziehungen zu einzelnen Firmen unterhält, die möglicherweise in die Betrugsaffäre um den einstigen Herstellungsleiter Marco K. verwickelt sind. So ist beispielsweise von einer Trickfilmfirma aus dem Baden-Württembergischen die Rede. Ob und welche Beziehungen zwischen ihr und dem früheren Kika-Produktionsleiter bestanden, ist noch Gegenstand der Ermittlungen.

Kürzung des Jahres-Etats

Bereits nach Bekanntwerden der ersten Vorwürfe im Dezember 2010 hatte der MDR Marco K. fristlos entlassen. Den Beschuldigungen zufolge soll der heute 43-jährige Fernsehmann vermutlich seit dem Jahr 2000 immer wieder Geld in die eigene Tasche gewirtschaftet haben. So sollen mehr als sechs Millionen Euro durch Scheinrechnungen in Kooperation mit einer Berliner Fernsehproduktionsfirma entwendet worden sein. Die Beträge soll Marco K. nach den Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft jeweils mit dem Berliner Unternehmen geteilt haben - wobei er sich seinen Anteil teilweise in baren Scheinen per Kurier von Berlin nach Erfurt habe zustellen lassen, versteckt in einer DVD-Hülle. Insgesamt sollen rund 8,2 Millionen Euro durch die Machenschaften von Marco K. veruntreut worden sein.

Ein Großteil des Geldes könnte in Spielcasinos verschwunden sein, der einstige Produktionsleiter soll im Erfurter Casino ein häufig gesehener Stammgast gewesen sein. Marco K. hüllt sich in Schweigen zu den Vorwürfen, auch sein Anwalt war für die SZ nicht zu sprechen. Unterdessen wurden von Seiten des ZDF jetzt schwere Vorwürfe gegen den einstigen Programmgeschäftsführer des Kika laut, den heutigen Fernsehdirektor beim NDR, Frank Beckmann.

So wurden - aus einer im ZDF erstellten Zusammenfassung des Revisionsberichtes - im Spiegel Passagen zitiert, die Beckmann belasten. Darin heißt es, dass Informationen über die Glücksspielleidenschaft von Marco K. schon zu Zeiten Beckmanns, der von 2000 bis 2008 dem Kindersender vorstand, "nachweislich die Leitungsebene des Kika erreicht" hätten. Entsprechend habe es hinreichend Veranlassung gegeben, diesen "fundierten Gerüchten" nachzugehen. Beckmann sagte dazu, er habe "in keinster Weise einen Verdacht schöpfen können".

Tatsächlich soll in dem streng geheim gehaltenen Revisionsbericht von MDR und ZDF von "durchaus nicht nur unpräzisen Hinweise" auf Marco K. die Rede sein, wie ein MDR-Insider berichtet, der den Revisionsbericht kennt. Warum er trotzdem über Jahre nicht entdeckt wurde, könnte mit einer "Kultur des Wegschauens" zu tun haben, die in dem Bericht ebenfalls thematisiert wird. Im Rundfunkrat des MDR, der sich kommende Woche wieder mit dem Kika befassen wird, werden jetzt viele Fragen gestellt.

Unterdessen wird der Kika künftig wohl mit weniger Geld auskommen müssen. Etwa 800 000 Euro soll Marco K. Jahr für Jahr abgezweigt haben. MDR-Chef Reiter hat bereits angekündigt, dass der Kindersender, der einen Jahres-Etat von rund 38 Millionen Euro hat, wohl auf einen Betrag in dieser Höhe verzichten könne. Dagegen läuft nun der thüringische Regierungssprecher Peter Zimmermann Sturm, er verlangt allen Skandalberichten zum Trotz noch mehr Gebührengeld für den Kika.

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