Kerkelings Jahresrückblick "Menschen 2011":Ein Mann für jede Tonart

"Wetten, dass..?" will er nicht - auch wenn er es könnte. Hape Kerkeling hat bei seiner Premiere als Moderator des ZDF-Jahresrückblicks bewiesen, dass er ein würdiger Nachfolger von Thomas Gottschalk gewesen wäre: Im Gegensatz zu diesem beherrscht er auch die leisen Töne.

Verena Wolff

Kerkeling kann Königin. Das ist seit gut zwei Jahrzehnten bekannt. Legendär ist der Auftritt des Multitalents als Königin Beatrix in dunkelblauem Kostüm, mit festbetonierter Fönwelle, Schnittchen essend mit einem fiktiven Prinz Claus vor dem Berliner Schloss Bellevue. Die Frisur saß, das niederländische Idiom auch - bis kurz vor die Tür hat es Kerkeling damals geschafft.

ZDF-Jahresrückblick 'Menschen 2011'

Moderator Hape Kerkeling ist für den ZDF-Jahresrückblick Menschen 2011 noch einmal in seine Paraderolle als niederländische Königin Beatrix geschlüpft.

(Foto: dpa)

In seinem Jahresrückblick Menschen 2011 im ZDF hat Hape Kerkeling diesen großen Moment der deutschen Fernsehgeschichte noch einmal aufleben lassen. Die Fönwelle ist inzwischen kinnlang, das Kostüm eine Nummer größer - aber Kerkelings Beatrix ist noch genauso gut wie vor 20 Jahren. Diesmal allerdings ist er nicht in Berlin unterwegs, sondern in der Provinz. In jenem Gasthof, der im Sommer für Schlagzeilen sorgte, weil dem schwedischen König Carl Gustaf und seiner aus Deutschland stammenden Königin Silvia dort der Platz verweigert wurde.

Alle Plätze voll, da war auch für Königs kein Platz. Kerkelings Beatrix wollte es wissen und machte die Probe aufs Exempel: Würde die Wirtin Nadine Schellenberger noch einmal einen vermeintlichen Blaublüter abweisen? Nein. Die Wirtsleute öffneten ihre Türe weit, auch die zur Küche. Es gab Deftiges für die Königin, die keine ist - und selbst ein vermeintliches Handy-Telefonat zwischen "Beatrix" und "Silvia" konnte Schellenberger nicht aus der Ruhe bringen.

Kerkeling hatte sichtlich Spaß an seinem Ausflug in den Adel, Schellenberger brachte er einen Auftritt im Fernsehen - und den Zuschauern in den Grünwalder Studios viel Spaß: Schallendes Gelächter und langer Applaus waren der Lohn für einen der besten Komiker, den es in Deutschland gerade gibt. Es war jedenfalls einer der lustigsten Momente der dreieinhalb Stunden dauernden Show, die so war wie das Jahr: Bunt gemischt, Freud und Leid in enger Abfolge.

Aber so war 2011 nun einmal: Königliche Hochzeiten, große Talente, mitreißende Momente. Und: Kernschmelze in Fukushima, Massaker in Utøya, der Tod des zehnjährigen Mirco aus Grefrath. Katastrophen - für einzelne Familien und ganze Staaten. Hape Kerkeling bewies, dass er nicht nur lustig kann, sondern auch die Zwischentöne beherrscht: Ernsthaft fragen, in aller Ruhe antworten lassen. Charmant, einfühlsam, sensibel sein - und bisweilen gerührt.

So wie bei Samuel Koch. Ziemlich genau ein Jahr ist es her, dass der junge Mann mit dem verschmitzten Lächeln zu einer spektakulären Wette bei Thomas Gottschalk antrat: Mit Sprungfedern an den Füßen wollte der Schauspielschüler und Leistungssportler über fahrende Autos zu springen. Doch er stürzte so schwer, dass er seither querschnittgelähmt ist.

"Ich will auf jeden Fall irgendwie weitermachen und nicht stehen bleiben - und aktiv sein", sagt er und erzählt von seinen Plänen, seine alte Schauspielschule in Hannover wieder zu besuchen. Am Fecht-, Reit- und Tanzunterricht könne er zwar nicht mehr teilnehmen, aber mit seinen Dozenten suche er nach Alternativen. Gerade hat er eine Orientierungswoche hinter sich. "Es ist ein Experiment", sagt der 24-Jährige.

Die richtigen Fragen

Die Bilder von Samuel Koch, dem Bewegungsmenschen, sind Vergangenheit - doch auch er selbst scheint das ein Jahr und fünf Tage nach seinem tragischen Unfall noch nicht ganz glauben zu können. "Ich kann mich leider noch nicht so ganz mit meinem Körper identifizieren", sagt er. "Ich fühle mich schon unwohl, wenn ich allein in meinem Zimmer bin, mit dem Körper zusammen."

Mehrere Tage schwebte er zwischen Leben und Tod. Heute kann er seinen Kopf und die Schultern bewegen und - so heißt es in einem Filmbeitrag beim Jahresrückblick - mit leichtem Antippen der Räder seinen Rollstuhl steuern. "Von den Vitalfunktionen bin ich auf jeden Fall wesentlich fitter geworden. Ich kann nach wie vor spontan atmen und sprechen, was ich sonst nicht konnte", sagt er. "Die Halswirbel scheinen sich auch zu bessern."

Selbstmitleid ist seine Sache nicht - Samuel glaubt und hofft. Das tut auch Schauspieler, Moderator und Fernseh-Urgestein Joachim "Blacky" Fuchsberger, den das Publikum mit Standing Ovations empfängt. Er spricht über das Alter und seine neuen Aufgaben, über die Diamantene Hochzeit und natürlich seinen im Herbst 2010 verstorbenen Sohn Thomas.

Auch im Gespräch mit den Eltern des im Alter von zehn Jahren ermordeten Mirco, nach dem die Polizei im vergangenen Sommer fieberhaft suchte, stellt Kerkeling die richtigen Fragen. Mutter und Vater erinnern sich besonders an die Lebhaftigkeit, die Spontaneität ihres Jungen und kleine Alltagssituationen.

Kerkeling nimmt seine Gäste ernst, er lässt sie zu Wort kommen und ihre Geschichten erzählen. So wie Stine X., eine junge Frau, die einem kleinen Jungen bei dem Massaker auf der norwegischen Ferieninsel Utøya das Leben rettete. Auch ihr eigener Retter, ein Deutscher, der mit einem Boot vor der Ferieninsel paddelte, kam ins Studio. Die Kamera war beim Wiedersehen der beiden dabei - und dann auch schnell wieder weg, als die Gefühle die Abiturientin übermannten.

Trotz der schwierigen Momente bleibt der Jahresrückblick als ein heiterer im Gedächtnis. Mit einem Hape Kerkeling, der sich selbst für nichts zu schade ist. Der einen italienischen Eisverkäufer auf dessen Fahrrad durchs Studio kutschiert, mit Andrea Kiewel die Königshochzeiten nachbereitet, unbeholfen mit Andrea Petkovic Tennis spielt und trotz latenter Unsportlichkeit auf dem Laufband neben einer 71 Jahre alten Rekord-Marathonläuferin hechelt.

Ein paar Kalauer hat er auf Lager, ein paar Seitenhiebe auf Karl-Theodor zu Guttenberg und einige B- und C-Prominente. Und: Kerkeling trifft den richtigen Ton. In jedem Moment - moderiert mit Herz und Schmerz, mit Witz und Humor, mit leisen Tönen und lauten. Das hätte wohl auch bei Wetten, dass..? funktioniert. Aber er will nicht. Wie schade.

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