Süddeutsche Zeitung

Katharina Wackernagel im ARD-Film "Herbstkind":Frauen am Rande des Wahnsinns

Wenn das Fernsehen schwierige Frauenrollen zu vergeben hat, kommt Katharina Wackernagel ins Spiel. Im ARD-Drama "Herbstkind" mimt sie eine Mutter, die ihr Baby nicht lieben kann. Und zwar so, dass man trotzdem gerne hinschaut. Wie schafft sie das, Tabus der Wohlstandsgesellschaft so wohlfeil zu brechen? Ein Besuch.

Claudia Tieschky

Es gibt in dem Film Herbstkind eine ziemlich simple Art das Glück hinzumalen. Da ist die Frau, der Mann, das helle Haus, vor dem Haus eine Weide. Sie werden ein Kind bekommen, sie sind ein stabiles Paar, die Verhältnisse sind gesichert, besser geht es gar nicht. Aber hinter der Weide fährt der Regionalzug durch die flache Landschaft bei Bad Aibling, und als das Kind dann geboren ist, da rennt die Frau ohne Jacke über die nebelige Weide auf die Gleisstrecke mit der roten Bahn zu, und vom Glück ist nichts übrig.

Wie kann das sein? Der vom BR hergestellte Fernsehfilm erzählt von einem Tabu der Wohlstandsgesellschaft: Von Müttern, die nach der Geburt in eine tiefdunkle Krise fallen, anstatt die Freude zu fühlen, die sie selbst und alle Welt erwartet haben. Von Frauen, die dachten, sie würden ihr Kind über alles lieben und sich selbst nicht mehr verstehen, weil sie mit dem Neugeborenen nicht umgehen können, weil sie nichts für es empfinden und über allem die Mythen der Mutterschaft wabern.

Das Thema ist wichtig, die Aufklärung darüber ist wichtig. Es ist wichtig, die Öffentlichkeit ganz einfach besser damit vertraut zu machen, dass Frauen so etwas passiert, dass es häufig passiert, und dass es Hilfe gibt.

Klar ist das kein Feuerwerk der ganz bunten Sorte in diesem Familienfilm, den die ARD bemerkenswert prominent im Programm platziert. Aber am Ende, als die junge Mutter Emmi nicht mehr im Supermarkt schweres Obst auf das schreiende Kind häuft und nicht mehr mit Todesgedanken umgeht, als sie zur Therapie kommt und sich auch sonst helfen lässt, da kommt etwas ganz Leichtes zurück.

Die Rolle der Emmi ist natürlich ein Wahnsinn. Sie muss die sensiblen Nuancen von Rückzug, Scham und Hilflosigkeit offenlegen, aber bitteschön so, dass der Zuschauer immer noch gerne hinsieht, und schließlich die langsame Heilung. Langsame Heilung ist so ziemlich gleichbedeutend mit dem Gegenteil von Spannung.

Die Frau für die Rollen am Rande des Wahnsinns im deutschen Fernsehen heißt Katharina Wackernagel, 34. Das kann die exaltierte Französin Sydelia sein, die im roten Kleid einen Aufstand der Dauerpraktikanten anzettelt (Résiste!) oder die Mutter, die gegen die ganze Welt beharrlich zu ihrer geschädigten Tochter steht in Contergan, oder eben die Emmi in Herbstkind.

Der Kontrast zum Extremen ihrer Rollen ist das gleichmäßige schöne Gesicht mit dem breiten Mund, mit der großen Klappe. Weitere Wackernagel-Werte: frauliche Figur, mädchenhafte Begeisterungsfähigkeit, tiefe Stimme. An einem der letzten warmen Tage in Prenzlauer Berg, als alles auf die Sonnenseite schlurft, trägt sie schwarz, puderiges Make-Up, rosenholzfarbenen Lippenstift.

Die Häuserfassaden sind neu renoviert und die ganze Straße, auf der die Schatten langsam wandern, könnte eine Kulisse aus Marzipan sein. Vielleicht ist es eine Schwäche des Films Herbstkind, dass er von der postpartalen Depression, so der Fachausdruck, in ländlicher Gegend erzählt, aber man muss das nicht so sehen.

In Prenzlauer Berg, mit seinen "Armadas von Kinderwägen und schwangeren Frauen", sagt Wackernagel, ist es auch nicht einfacher. "Was ich so mitbekomme, ist das ein unglaublicher Druck, der auf jungen Müttern lastet." Kinder und Familie, das Traditionelle - "das ist ja gerade auch wieder angesagt". Andererseits soll eine Frau auch noch im Beruf erfolgreich sein, "und dieser ganze Schönjungdings-Wahn, der spielt doch eine Rolle. Heidi Klum, die Supermutti von vier Kindern mit Anfang vierzig sagt uns dann: So müssen wir aussehen. Und Millionärinnen sein und sieben TV-Shows haben."

Der Druck fragt nicht, wie es sich innen anfühlt.

Die Sonne ist weitergezogen, aber man kann ihr ja auch nachlaufen, es findet sich ein neuer Tisch. Katharina Wackernagel produziert mit ihrem Bruder Jonas Grosch gerade einen Film, der irgendwie ins Thema passt: Das letzte Geheimnis ist ein Psychothriller um ein junges Paar, das übers Wochenende wegfährt, um endlich entspannt ein Kind zu zeugen und dann einem sehr seltsamen anderen Paar zu begegnen, das bereits ein Kind erwartet. Eine merkwürdige Anziehungskraft entsteht. Der Witz liegt auch ein bisschen darin, dass ihr voriger gemeinsamer Film - Die letzte Lüge - eine Screwball-Komödie um Liebesbetrug in einer Viererkonstellation war, mit beinah identischer Besetzung. Ein Konzept ist das noch nicht, aber ein Flirt damit.

"Es hilft enorm", sagt Wackernagel, "wenn man aus dem Beruf des Schauspielers einen Augenblick lang heraustreten und selber aktiv werden kann. Wir Schauspieler sind immer abhängig von denen, die uns wollen." Ein Familienwerk ist auch Groschs Film Der Weiße mit den Schwarzbrot über ihren Onkel Christof, der in den Siebzigern kurzzeitig Mitglied der RAF war, zehn Jahre im Gefängnis saß, und sich danach aufmachte, um in Mali zu leben.

Die Wackernagels sind Schauspieler in der dritten Generation. Katharina Wackernagels Karriere: Mit 19 die Hauptrolle in der ARD-Serie Tanja. Und dann: Einfach immer gemacht. Die Theaterfamilie im Rücken empfindet sie als "riesengroße Hilfe", man lerne zum Beispiel, "dass auch andere mit viel mehr Berufserfahrung genauso in irgendwelche Löcher fallen wie ich mit Anfang Dreißig, wenn Anfang des Jahres mal ein paar Monate kein Angebot kommt."

Seit neun Jahren wohnt sie mit ihrem Bruder in Prenzlauer Berg in einer gemeinsamen WG. Das hat sich aus einer Übergangszeit so ergeben. Man denkt, ist das jetzt völlig schräg oder so ein Familiending? Aber vielleicht ist der Wackernagel-Clan auch einfach nur großartig darin, die Lebensumstände pragmatisch anzugehen, und sich weniger damit zu befassen, wie es von außen aussieht.

Die drei Kinder der Schauspielerin Sabine Wackernagel wuchsen in Kassel mit zwei Vätern auf. Die Mutter lebte mit einem Lehrer und einem Theaterregisseur zusammen. Exotisch daran fand das Mädchen Katharina nur die Fragen von den anderen, wer denn nun ihr richtiger Vater und wer der Stiefvater sei? "Es sind beide meine richtigen Väter. Diese Begriffe wie Stiefvater, Halbbruder, das hatte irgendwie nichts mit unserer Familie zu tun."

So eine Beziehungsform sei ja nichts, was man sich vornehme, "um zu beweisen, dass eine Fantasie der 68er tatsächlich aufgeht". Eine Entscheidung aus Liebe und Respekt füreinander sei es gewesen, seit 34 Jahren, seit das Baby Katharina unterwegs war, leben die Eltern so zusammen. "Für uns Kinder war es natürlich ein Riesenvorteil, zwei sind immer besser als einer."

Auch das wäre ein Familienfilm, ob die ARD dafür reif wäre? Aber nein, sagt sie, "wir haben gar nicht so unkonventionell gelebt". Aber aufgewachsen seien sie mit Eltern, "die uns beibrachten, dass man seine Gefühle aussprechen darf und davor keine Angst haben muss."

Für sie gibt inzwischen das Spielen auch einen Raum, Dinge auszuleben, wie man es im eigenen Leben so kann, weil man entweder Menschen damit vor den Kopf stößt oder es die Gelegenheit gar nicht gibt. "Es passiert ja im Leben nicht immer so viel." Also werde man auch irgendwie süchtig: "Wenn man sich 25 Drehtage lang in eine Figur hineingibt, hat man mindestens einmal am Tag extreme Gefühlsausbrüche gespielt und hergestellt. Das ist ein chemischer Prozess im Körper, den man dann irgendwie immer haben will".

Aber deswegen nach Hause zu gehen und mit seinem Bruder einen Riesenkrach anzufangen, "nur um ein bisschen Adrenalin zu spüren, wäre ja dann nicht so der Weg". Wahrscheinlich richtig.

Und dann zieht man mit Katharina Wackernagel noch ein weiteres Mal der Herbstsonne hinterher. Was sonst?

Herbstkind, ARD, 20.15 Uhr.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1504351
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 24.10.2012/pak/rus
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.