Süddeutsche Zeitung

"Mare of Easttown" auf Sky:Tristesse in Wollsocken

Kate Winslet als Postergirl der Pandemie: eine abgeranzte, vom Leben gebeutelte Detektivin. Sie ist nicht nur müde, sondern bitter, verletzt, verloren. Wie alle Menschen in dieser grandiosen Serie.

Von Catrin Lorch

Sehen wir so aus gerade? Wirklich? Die Moderedaktion der britischen Tageszeitung The Guardian war sich jedenfalls schon nach der Erstausstrahlung der Serie sicher, dass diese Mare of Easttown zum Postergirl der Pandemie taugt. Mare trägt Flanellhemden zu formlosen Jeans, meist eine übergroße Regenjacke und wenn sie sich als Detektivin bei der Verbrecherjagd am Knöchel verletzt, legt sie ihre Füße in dicken Wollsocken auf den Küchentisch und packt noch eine Tüte Tiefkühlfritten drauf. Das ist der Look. Und der sieht natürlich schon deswegen gut aus, weil Kate Winslet drinsteckt in diesem Kleinstadtleben.

Die Oscar-Preisträgerin hat die sieben einstündigen Folgen der Miniserie für HBO koproduziert, und wahrscheinlich hätte es niemand außer ihr geschafft, diese nicht eben sympathische Mare gleichzeitig überzeugend zu spielen und als Lichtgestalt zu etablieren, als eine dieser in Filmen und Fernsehserien so raren weiblichen Gestalten irgendwo jenseits der vierzig, für die sich nun wirklich niemand interessieren muss, weil sie nicht mehr ganz schlank sind, den Ansatz ihrer Haare nur selten nachfärben und außerdem schon Oma sind.

Alle sehen sich hier permanent über den Zaun hinweg zu

Dass die nicht geliftete, sichtbar alternde Kate Winslet in Hollywood sowieso rausfällt, weil sie sich vertraglich zusichern lässt, dass auch nach den Dreharbeiten niemand die Falten in ihrem wunderschönen Gesicht glättet, ist wichtig zu erwähnen. Denn als Krimi baut die Serie auf Authentizität und auf verwickelte, miteinander verstrickte Freundschaften, Verwandtschaften, vergangene Verhältnisse. Dass Frank, Mares Ex-Mann (David Denman), mit seiner neuen Verlobten direkt hinter Mares malerischem Holzhaus lebt, in dessen verglastem Wintergarten er seine Verlobung feiert, erstaunt einen nur während der ersten Folge. Alle sehen sich hier permanent über den Zaun hinweg zu, wenn sie nicht gerade beim Nachbarn einsteigen, dessen Töchter begaffen oder ein paar scheußliche Gerüche kolportieren. Da ist es wichtig, die Generationen wenigstens auf den ersten Blick trennen zu können, was in amerikanischen Serien häufig kaum noch möglich ist, so drahtig und geliftet und frisch wie der Cast, vor allem der weibliche, durchgehend wirkt.

Mare Sheehan wohnt mit ihrer Mutter und ihrer Tochter zusammen, außerdem noch mit einem Enkel, seit ihr Sohn sich das Leben genommen hat. Wie hält man so ein Leben aus, fragt man sich, während Mare sich morgens auf der Polizeidienststelle nicht einmal darüber freuen kann, dass ihr der Ermittler, der sie bei der Aufklärung des Mordes an der Teenager-Mutter und Gelegenheitsprostituierten Erin unterstützt, einen Pappbecher Kaffee mitbringt. Diese abgeklärte Frau ist nicht einfach nur müde, sie ist auch bitter, verletzt, verloren - aber das versteht man erst langsam. Weil ihre Geschichte mehr ist, als das Leben der ermittelnden Hauptfigur - weil es die Handlung durchdringt in diesem Easttown, in dem alle irgendwas miteinander zu tun haben.

Auch wenn die Regie an einer Stelle auf "Twin Peaks" verweist - "Mare of Easttown" ist anders

Denn die Provinz, kleine Orte wie Easttown, sind der Teil der USA, in dem die richtigen Amerikaner leben: Männer, die das Unausgefülltsein ihrer mittleren Jahre hinter Bärten und markigen Gesten verstecken. Frauen, denen Schlimmes widerfahren ist, die aber durchhalten. Und deren Kinder, die sich gegen die Schicksale ihrer Eltern abgrenzen, aber nicht weit kommen in einer Welt, die wenig anderes zu bieten hat als das trübe Dickicht, an dessen Rand die nackte Erin tot in einem Bachlauf gefunden wird.

In dieser Szene übrigens verweist die Regie unübersehbar auf die klassische Serie Twin Peaks. Aber Mare of Easttown ist anders, kein bisschen abgedreht, sehr zeitgenössisch, fast unerträglich brutal. Es steckt noch zu gleichen Teilen der kalte Grusel aus "Schweigen der Lämmer" drin und die Härte des hierzulande nicht allzu bekannten Fünfteilers "Mildred Pierce", einer Parabel auf den Aufschwung der amerikanischen Provinz nach der großen Depression, in der Kate Winslet als sitzengelassene Hausfrau und Gelegenheitskellnerin ein Hühnergrill-Imperium begründet. In Deutschland werden am Freitag auf Sky die fünfte und sechste Folge von Mare of Easttown ausgestrahlt - und es tut gut, nach einem Jahr der Pandemie, nach so vielen Monaten eines forcierten Privat- und Familienlebens doch noch auf irgendein Happy End - und sei es am Küchentisch und in Wollsocken - hoffen zu können.

Folge 5 und Folge 6, Freitag, 4. Juni, auf Sky Atlantic.

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