Katar:Leidensfrage

Ein Video mit peinlicher Holocaust-Entgleisung löste große Empörung aus. Der Sender Al-Jazeera aus Doha hat zwei Journalisten daraufhin entlassen. Laut der Geschäftsführerin sei es ohne die gebotene Aufsicht produziert worden.

Von Dunja Ramadan

Die Moderatorin Muna Hawwa gibt sich sichtlich Mühe, um ihren Worten Gewicht zu verleihen: scharfkantige Gesten untermauern ihr dramatisch wirkendes Hocharabisch. Und tatsächlich, was die Journalistin des jungen Onlinekanals AJ+ des katarischen Fernsehsenders Al Jazeera da in wenigen Minuten von sich gab, war dramatisch.

Die Moderatorin begann das Video "Der Holocaust", das nach nur einem Tag vom Sender gelöscht worden ist, mit den Worten: "Sechs Millionen Juden wurden vom Naziregime getötet - ein Narrativ, das von der zionistischen Bewegung übernommen wurde." In den darauf folgenden Minuten wirft die Moderatorin außerdem die Frage auf, warum man sich bis heute auf das Leiden der Juden konzentriere, wo doch auch andere Minderheiten wie die Sinti und Roma Opfer der Naziverbrechen wurden. Im Hintergrund Bilder der Konzentrationslager, Bilder von Leichen. Sie erklärt sich das dann mit einem angeblichen Zugang der Juden zu "finanziellen Ressourcen, Forschungs- und Medieninstitutionen sowie akademischen Stimmen". Israel sei außerdem der größte Gewinner des Holocaust, so Hawa. Denn der Staat verwende die gleichen nationalsozialistischen Rechtfertigungen als Startrampe für die rassistische Säuberung und Vernichtung der Palästinenser. Die israelische Zeitung Haaretz schrieb, dass das Video nach nur einem Tag rund 1,1 Millionen Mal auf Facebook und Twitter angesehen wurde.

Die Empörung über den Clip schlug hohe Wellen. Der Sprecher des israelischen Außenministeriums, Emmanuel Nahshon, zog in einem Statement den Vergleich zum Naziblatt Der Stürmer. Der Jüdische Weltkongress schrieb, die Behauptungen im Video "überschreiten alle Grenzen des Anstands und betreten den Bereich der Blutlüge." Am Sonntag, zwei Tage nach Erscheinen des Videos, reagierte der Muttersender Al Jazeera und verkündete die Kündigung zweier Journalisten, die er nicht weiter benannte, sowie die Löschung des Videos, denn es verstoße "gegen die redaktionellen Standards".

Die Geschäftsführerin von AJ +, Dima Khatib, sagte, das Video sei ohne die gebotene Aufsicht produziert worden. Man überprüfe nun die Arbeitsabläufe und fordere alle Redakteure auf, sich an den Verhaltenskodex zu halten. Denn Al Jazeera stehe für "Ehrlichkeit, Mut, Fairness, Ausgewogenheit, Unabhängigkeit, Glaubwürdigkeit und Vielfalt". Auch prominente Al-Jazeera-Journalisten zeigten sich schockiert. "Das Video verstößt gegen jeden ethischen und journalistischen Standard, an den ich glaube", schrieb beispielsweise Dena Takruri, die für den englischen Ableger vom Kanal AJ+ arbeitet. Sie erinnerte an die Geschichten von Holocaust-Überlebenden, die bei AJ+ erschienen sind und schrieb dazu: "Wir glauben an Tatsachen, die nicht zu bezweifeln sind."

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