Karneval im TV:Witzischkeit kennt ihre Grenzen

Unser Autor ist Rheinländer, er kann nach eigenen Aussagen nicht anders, als den Karneval zu mögen. Wenn er aber im gebührenfinanzierten Fernsehen jecke Prunksitzungen, Büttenredner und Funkenmariechen sieht, wird ihm übel. Und er bittet alle Narren inständig: Bildet Banden gegen den Altherrenhumor - und geht auf die Straße!

Bernd Graff

Karneval, Fastnacht, Fassenacht oder Fasching: All das ist viel zu bunt, um es öffentlich-rechtlichen TV-Menschen zu überlassen. Aber die fünfte Jahreszeit wird nun mal auch im Fernsehen übertragen - zum Beispiel, wenn der "Orden wider den tierischen Ernst" verliehen wird.

Karneval im TV, Fasching

Nicht witzig, nur steril verkleidet: TV-Übertragungen wie die 14. Festsitzung der Thüringer Karnevalvereine in der Erfurter Messehalle grenzen ans Groteske.

(Foto: MDR/Marco Prosch)

Gegen den jecken Ernst der Sender ist kein Kraut gewachsen. Witzischkeit kennt da sehr wohl ihre Grenzen, und die Zeit vor dem Aschermittwoch wird eben nicht in Ausgelassenheit, Fröhlichkeit und überschäumender Lebensfreude gefeiert, sondern im Übertragungs-Dumpfsinn gefälschter Prunksitzungen. Jedenfalls im Fernsehen. Eher noch wird per Tagesschau Schnupfen übertragen als dass der verfunkte Prunksitzungshumor ansteckend wäre.

Es ist zum Fürchten. Wir reden nicht vom Zustand des deutschen Humors. Wir reden nicht von Kabarett oder Cabaret. Wir reden vom im Fernsehen übertragenen Karneval, dem übertragenen Straßenkarneval wie den übertragenen Prunksitzungen mit ihren übertragenen Büttenreden, den übertragenen Sitzungspräsidenten, den übertragenen Pfauenfedern und übertragenen Prinzenpaaren, den übertragenen Funkenmariechen, den übertragenen Tollitäten und den übertragenen Barden und Garden. Wenn man sich anschaut, wie das gebührenfinanzierte Fernsehen diesen Tobak aufbereitet, in dessen Sendezeit man auch eine leere, vor sich hinstaubende Turnhalle live übertragen könnte, dann wird einem übelst. Kleine Zusammenfassung gefällig?

Seit dem 11.11.2011, der sogenannten Sessionseröffnung, dreht sich das Drehen in dieser verordnet närrischen Welt anscheinend nur noch um die verkleidete Pappnasen-Horde: WDR Fernsehen , 11.11.2011, 10.30 - 12.45 Uhr und 13.00-16.00 Uhr: Sessionseröffnung Kölner Karneval 2011/2012 - Live vom Heumarkt in Köln; ARD Montag, 30. Januar, AKV-Festsitzung in Aachen: Wider den tierischen Ernst ab 20.15 Uhr (Eine Wiederholung brachte der WDR in der Nacht vom Samstag, 11. Februar, zum Sonntag, 12. Februar, in der Zeit von 00.10 bis 2.40 Uhr.) WDR Fernsehen, Sonntag, 5. Februar 2012, 20.15 - 21.45 Uhr: Super Süper! Portrait des kölschen Originals Hans Süper; WDR Fernsehen, Samstag, 11. Februar 2012, 23.25 - 00.10 Uhr: Stunksitzung Zapping - Die besten Karnevals-Parodien; Mittwoch, 15. Februar 2012, Das Erste, 20.15 - 22.15 Uhr - Düsseldorf Helau: Die große Prunksitzung des Comitee Düsseldorfer Carneval e.V. ; WDR Fernsehen, Donnerstag, 16. Februar 2012, 10.45 - 12.45 Uhr: Weiber live 2012 zur Weiberfastnacht; WDR Fernsehen, Donnerstag, 16. Februar 2012, 13.00 - 15.00 Uhr, Kölsche Tön vom Heumarkt, Zusammenschnitt des Musikprogramms der Sessionseröffnung Kölner Karneval am 11.11.2011 auf dem Kölner Heumarkt; WDR Fernsehen,Donnerstag, 16. Februar 2012, 15.00 - 18.00 Uhr: Weiberfastnacht in den WDR-Arkaden; WDR Fernsehen, Donnerstag, 16. Februar 2012, 22.00 - 23.30 Uhr: Stunksitzung 2012; Wer von der "Stunksitzung" nicht genug bekommen kann, der kann sich auf die Langfassung freuen, die Karnevalssamstag, am 18. Februar 2012, von 0.40 Uhr bis 3.45 Uhr im WDR Fernsehen ausgestrahlt wird; WDR Fernsehen, Donnerstag, 16. Februar 2012, 23.30 - 01.00 Uhr: Pink Punk Pantheon, Die 29. Session der kabarettistischen Karnevalsrevue; Das Erste, Rosenmontag, 20. Februar 2012, 15.30 - 17.00 Uhr: Rosenmontagszug Köln; Das Erste, Rosenmontag, 20. Februar 2012, 20.15 - 23.15 Uhr: Karneval in Köln 2012 - Die ARD-Fernsehsitzung: "Jedem Jeck sing Pappnas"; 20. Februar 2012, Rosenmontag, 14.00 - 15.30 Uhr Das Erste, Rosenmontagszug Düsseldorf. Motto "Hütt dommer dröwer lache" (live, zeitversetzt); Die Übertragung des Düsseldorfer Rosenmontagszuges wird von ca. 15.30 Uhr an im WDR fortgesetzt.

Ist Ihnen aufgefallen, dass hier nur die WDR-Produktionen aufgeführt sind, nicht aber die des BR und des SWR, der ja "Mainz, wie es singt und lacht" auch noch in die Lachlauge schmeißt?

Karneval, schockgefroren

Das hier ist nicht das Genörgel eines notorischen Karnevalshassers. Ich komme aus dem Rheinland. Ich habe Karneval im Blut. Ich kann nicht anders. Aber diese TV-Übertragungen sind etwas komplett Anderes. Es gibt gelebtes Leben. Und es gibt die einer falschen Dramaturgie folgende Inszenierung von gelebtem Leben. Der Sender-Ablaufplan für "Mainz bleibt Mainz" sieht exakt auf 45 Sekunden begrenzte Überleitungen zwischen den Nummern vor. 15 Sekunden für Tusch und "Wolle mer'n roilosse?" müssen reichen.

Wie sich allein der Öcher (Aachener) Karneval dafür verbiegen muss, damit er mit dem "Orden wider den tierischen Ernst" fernsehtauglich wird, grenzt ans Groteske. Das ist nicht einmal mehr Karnevalsersatz-Surrogat, das ist: "Wir geben ihrem Lachen einen Keller."

Die Highlights aus "Mainz bleibt Mainz" sind schockgefrorener Karneval, nicht des Lebens volle Wucht. Exzess ist es nicht, witzig ist es nicht, lustig ist es nicht, nur steril verkleidet. Selbst die Pappnasen sind sauber. Und die Frisuren sitzen. Und das ist immer gleich.

Hier ein Beispiel: Hans-Peter Betz, der heutige Sitzungspräsident, trat vor mehr als 20 Jahren noch als "grazile Tanzmaus" auf die Bühne - und musste das in die Kameras sagen, auf Hochdeutsch: "Ich gebe es zu, ich sage es laut, ich habe mich fast nicht raus getraut. Die Frau sagt, und sie sagt es bös, du bist wie ein Masthahn so graziös." Tusch! Die Reime zum Fürchten, der Tusch zum Fürchten - und das lief 1988.

Kinder, wie die Zeit nicht vergeht! Das könnte heute noch genauso laufen. Es bleibt immer dasselbe. Der Mann geht trinken, die Frau wartet mit dem Nudelholz. "Doch ich weiß auch etwas Feines, ich bin die stärkste Ballett-Maus westlich des Rheines." So viele Promille kann kein Mensch haben, um das lustig zu finden - oder alles ist dann lustig, wohl auch eine Papstwahl. Helau. Narhalla-Marsch. In den fünfziger Jahren, bis in die sechziger Jahre hinein gab es einen Moment im Fernseh-Karneval, der die Menschen wirklich berührte. Damals sang Ernst Neger: "Heile, heile Gänsje." Damals hatten die Bundesbürger Krieg hinter sich, Verlust und Zerstörung, eine Stunde null und ganz viel Schuld, ein Wirtschaftswunder vor sich und sie wussten, dass alle alten gesellschaftlichen Strukturen in ihrem Heute nicht mehr zu halten waren. Und dann sang der Mann: Es ist bald wieder gut. Und was taten die Menschen? Sie weinten. Kein Tusch, Applaus.

Der Narr als König, der König als Narr

Der russische Literaturtheoretiker Michail Michailovic Bachtin hat in "Literatur und Karneval" untersucht, welche Funktion der Karneval des Mittelalters für die Lachkultur des Volkes hatte. Autoritäre, dogmatische Herrschaftsmuster wurden parodistisch verkehrt, der Narr wurde König, der König Narr. Alle waren gleichgestellt in einem einzigen verbindenden Rausch. Das Prinzip war das der Ekstase, des Außer-sich-Seins, dessen Urbilder in den mythischen Satyrspielen der Antike zu finden sind. In der "Freiheit des mittelalterlichen Lachens" und dem Verkünden der "nichtoffiziellen Wahrheit des Volkes" steckte für die Tage vor der Fastenzeit das utopische Moment des wahren, zumindest wahreren Lebens.

Darum sind sie zu Beginn des 19. Jahrhunderts im Rheinland so spöttisch mit den damaligen Besatzungsmächten umgegangen: Verlachte man in Mainz die Franzosen, so konnten in Köln die Preußen straffrei verballhornt werden, die nach dem Wiener Kongress das Rheinland und Westfalen annektiert hatten. Darum gibt es die Prinzenpaare und Garden, die spitzen oder dreieckigen Hüte und Marketenderinnen. Man lachte über die Unterdrückung. Auch, wenn es nichts zu lachen gab.

Würde man heute über Unterdrückung lachen, wirklich lachen wollen, müsste man unter anderem Fernsehräte und die Karnevalsredaktionen der Sender verballhornend auf die Bühne bringen. Cord-Sakkos wohl statt Straußenfedern, aber weder das eine noch das andere ist ja lustig. Und das FUNKEN-Mariechen bekäme dann auch gleich eine ganz andere Bedeutung, würden RundFUNK-Anstalten veräppelt werden.

Karnevalssendungen verbuchen Top-Einschaltquoten. Fünf bis acht Millionen Zuschauer hat so ein auf Ausgewogenheit bedachter Schmonzes, allerdings meist in der Altersklasse, der man zu Beginn der Sendung sagen muss, dass sie ihre Hörgeräte jetzt einschalten sollen. Trotzdem: Viele Menschen schauen sich das an. Vielleicht, weil sie nicht wissen, wie und dass man Fernseher auch aus- und umschalten kann. Vielleicht machen sie ihre Hörgeräte doch nicht an, vielleicht, weil sie den Karneval mögen, und dafür sogar solche Sendungen ertragen.

Liebe Närrinnen und Narrhallesen, tut euch endlich bitte etwas Gutes: Bildet Banden, verbrüdert euch gegen die leblose Satire, verbittet euch die pointenfreien Uralt-Schenkelklopfer, das verbogene Hochdeutsch, wenn es gesunden Dialekt gibt, die gekünstelten Witze, die man nur bemerkt, weil eine Kapelle tuscht. Und die Büttenreden, in denen die Kanzlerin als Madame Sarkozy bezeichnet wird. Das ist eine Beleidigung jeder Intelligenz. Man merkt doch wie bei einer Weihnachtsansprache gar nicht mehr, ob die gerade laufende Sendung nicht auch schon letztes Jahr oder vor zehn Jahren gelaufen ist.

Am besten aber noch: Geht auf die Straße! Feiert Karneval. Oder lasst es, weil ihr nicht mögt, weil ihr nicht könnt. Letzteres ist wirklich bedauerlich. Aber glaubt nicht, dass dieses vollflächig versendete Zeug irgendetwas mit Karneval zu tun hat. Ihr haltet Schaufensterpuppen ja auch nicht für Topmodels. Und der Altherrenfahrzeughalterhumor der Sender ist nicht eure Ekstase. Doch lasst euch das einen Trost sein: "Heile, heile Mausespeck, in hunnert Jahr is alles weg!".

Falls Sie, womöglich weil es gar nicht anders geht, den Karneval doch im Fernsehen sehen möchten, finden Sie hier das komplette TV-Programm.

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