Süddeutsche Zeitung

Zum Tod von Karla Wege:Die Meteorologin

Karla Wege trug dreißig Jahre lang im ZDF die Wetterberichte vor - und war diejenige, die den Hochs und Tiefs zu ihren Namen verhalf.

Von Willi Winkler

Von den Geschichtsdeutern wird sie niemand auf der Abrechnung haben, aber auch Karla Wege gehörte zum kulturrevolutionären Jahr 1968: Gänzlich unvermutet tauchte die promovierte Meteorologin neben acht männlichen Kollegen bei der Wettervorhersage des ZDF auf. Annähernd dreißig Jahre lang versprach sie ein Azorenhoch nach dem anderen, drohte mit Sturmfluten und Niedrigwasser, meldete Glutsommer und Hitzefrei, warnte vor Glatteis und überfrierender Nässe und bot Otto Waalkes Gelegenheit zu einem genialen Spruch: "Ein über Schleswig-Holstein liegendes Tief kommt hinten nicht mehr hoch." Peter Stolle, der unermüdliche Kalauerero beim Spiegel, adelte sie später zur "Kaltfront-Kassandra" und erhob Dr. Karla Wege von der Heute-Redaktion zur "Klima-Mutter der Nation".

Das Wetter und wie es wird oder sein soll, gehört noch immer zu den unveräußerlichen Existenzialen. Manchmal macht es auch, was es will, und die Meteorologen müssen dann erklären, warum das so ist. Karla Wege konnte das mit unerschütterlicher Zuverlässigkeit und einem so feinen didaktischen Zug, dass die Mutter nie die Belehrerin der Nation wurde. Ihre Kollegin Inge Niedek hat ihr in den Mitteilungen der Deutschen Meteorologischen Gesellschaft nachgerühmt, dass sie als "Fachfrau" geholfen habe, "Arbeitsmöglichkeiten für Meteorologinnen und Meteorologen zu schaffen".

Wege argumentierte als Medienprofi - es gebe viel mehr Tiefs und so mehr Frauen im Wetterbericht

Wenn überhaupt jemand, dann wäre sie in der Lage gewesen, den ersten Absatz von Robert Musils "Mann ohne Eigenschaften" unfallfrei vorzutragen: "Über dem Atlantik befand sich ein barometrisches Minimum, es wanderte ostwärts, einem über Russland lagernden Maximum zu, und verriet noch nicht die Neigung, diesem nördlich auszuweichen. Die Isothermen und Isotheren taten ihre Schuldigkeit. Die Lufttemperatur stand in einem ordnungsgemäßen Verhältnis zur mittleren Jahrestemperatur, zur Temperatur des kältesten wie des wärmsten Monats und zur aperiodischen monatlichen Temperaturschwankung." Wege war schließlich vom Fach, hatte in Berlin studiert und ihre Doktorarbeit über die "Messung der atmosphärischen Gegenstrahlung mit dem neuen Oktantenaktinometer" geschrieben. Allerdings war sie auch für den heteronormen Fauxpas der zweiten Jahrhunderthälfte verantwortlich: 1954, noch als Studentin, hatte sie vorgeschlagen, den Wetterlagen nach amerikanischem Vorbild Namen zu geben, und zwar einem Hoch einen männlichen und einem Tief einen weiblichen. Das ging jahrzehntelang gut, Orkane, Frühjahrsmoden und Bundeskanzler kamen und gingen, das Wetter machte mal gute, mal schlechte Miene dazu, dann schwoll ein ganz anderer Sturm an und die Klage über die "unsachliche Zweckentfremdung menschlicher Vornamen" war nicht mehr zu überhören.

Seit 1998 wird bei den Geschlechtszuschreibungen jährlich gewechselt; die Tief- respektive Hochdruckgebiete hat natürlich wieder keiner gefragt. Inzwischen sind sie übrigens käuflich: Wer mag, kann für 199 Euro plus Mehrwertsteuer seinen Namen einer meteorologischen Sensation aufprägen. Karla Wege kann dafür nichts. Sie fand den Wechsel kurzsichtig und argumentierte als Medienprofi aufmerksamkeitsökonomisch: Da es viel mehr Tiefs als Hochs gebe, wäre Frauen unvermeidlich mehr Platz im Wetterbericht eingeräumt worden. Jetzt ist die Wetterwahrsagerin Karla Wege mit neunzig Jahren in München gestorben.

Der Wetterfrosch Musil übersetzte seine Wetterkarte aus Isobaren und Isotheren für die ZDF-Zuschauer dann doch noch: "Es war ein schöner Augusttag."

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