Kai Diekmann und "Bild":So tickt Deutschlands Boulevardmacher

Kai Diekmann ist als "Bild"-Chefredakteur abgetreten - weniger mächtiger ist er deshalb nicht. Seine Anfänge, sein Aufstieg, seine politischen Ränkespiele, sein Privatleben, seine Wandlung, seine Fehden.

Von Julian Dörr und Johanna Bruckner

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Diekmann ... als er einfach Kai war

Kai Diekmann

Quelle: imago stock&people

Bevor Kai Diekmann zu Kai Diekmann wurde, spielte er Cello. Nicht nur, weil er wollte, sondern vor allem, weil er musste. Geboren ist er am 27. Juni 1964 in Ravensburg, aber in Bielefeld wächst er auf, hier muss er jeden Morgen um kurz nach sechs aufstehen, um rechtzeitig in der Schule zu sein. Denn Diekmann besucht das Gymnasium der Ursulinen, eine ehemalige katholische Mädchenschule - wie Mutter und Großmutter. Tradition, Struktur und Leistungsdenken prägen seine Jugend. Eine Klassenfahrt wird abgebrochen, weil die Lehrer irgendwo eine Bierflasche finden. Und im Hause Diekmann bleibt der Fernseher meist aus, es sei denn, es läuft Daktari mit Clarence, dem schielenden Löwen.

Politisiert wird der junge Diekmann im hitzigen Klima der BRD am Anfang der Achtziger - Franz Josef Strauß poltert im Wahlkampf und die Nation debattiert über den Nato-Doppelbeschluss. Diekmann gründet eine konservative Schülerzeitung und verpflichtet sich nach dem Abitur für zwei Jahre bei der Bundeswehr, wo er auch in der Redaktion einer Bundeswehrzeitung arbeitet. An der Universität Münster schreibt er sich für Geschichte, Germanistik und Politik ein und tritt der Burschenschaft Franconia bei. Studiert hat er dort jedoch nicht, wie Diekmann in einem Interview sagt: "Ich habe mich mit anderen Dingen beschäftigt." Als er dann 1985 einen Platz an der Journalistenschule des Axel Springer Verlags bekommt, zögert Diekmann nicht.

Kai Diekmann, Archivbild aus dem Jahr 1998

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Diekmann ... der Karrierist

Benedikt-Bibel zum Namenstag des Papstes

Quelle: dpa

Nonchalance ist eigentlich nicht die Art des Kai Diekmann, darüber können auch Struwelbart und Jeans nicht hinwegtäuschen, die seit einigen Jahren sein optisches Erscheinungsbild prägen. Aber wenn man von einem der wichtigsten Posten in der deutschen Medienlandschaft zurücktritt, um noch mächtiger zu werden, darf man auch ein bisschen Lässigkeit markieren. Selbst als knallharter Karrierist. So schreibt Diekmann auf Twitter schlicht: "Es gibt News." Angehängt ist eine Pressemitteilung der Axel Springer SE, in der verkündet wird, dass der 51-Jährige zum 1. Januar 2016 als Chefredakteur der Bild-Zeitung abtritt, um künftig als Herausgeber der Bild-Gruppe die Führung sämtlicher Chefredakteure zu übernehmen. Weiter stehen da die Schlagworte "gesamte Markensteuerung", "publizistische Ausrichtung" und "Weiterentwicklung". Das Schreiben bedeutet nicht weniger als: Diekmann ist ab sofort Deutschlands mächtigster Boulevardmacher.

Es ist der Höhepunkt einer Karriere, die von Beginn an nur eine Richtung kennt: steil bergauf. Mitte der Achtzigerjahre kommt Diekmann zum Springer-Verlag, das ist er Anfang 20. Er wird schnell Parlamentskorrespondent in Bonn für Bild und Bild am Sonntag, dann Chefreporter bei der Bunten, Anfang der Neunziger ist er schon stellvertretender Chefredakteur der B.Z. 1997 kommt der bis heute einzige wirkliche Knick in seiner Vita: Diekmann ist inzwischen zurück bei der Bild, doch der damalige Vorstandschef, Jürgen Richter, soll sich an den guten Kontakten seines Hamburger Politikchefs zu Springer-Aktionär Leo Kirch und ins Kanzleramt stören - Diekmann wird zum relativ unbedeutenden Springer-Auslandsdienst versetzt. Nur ein Jahr später ist Richter zurückgetreten und Diekmann wird zum Chefredakteur der Welt am Sonntag gewählt. Am 1. Januar 2001 beginnt schließlich die Ära Diekmann bei der Bild-Zeitung: Er wird Chefredakteur, 2004 auch Herausgeber. Und nun eben: Oberboss.

Kai Diekmann 2007 vor einem Plakat mit der legendären Bild-Titelzeile zur Papstwahl.

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Diekmann ... der politische Ränkespieler

´Bild" will Wulff-Äußerung auf Mailbox veröffentlichen

Quelle: dpa

Es gäbe Dutzende Geschichten, die man an dieser Stelle erzählen könnte. Ein Journalist lebt von seinem Netzwerk - nur das dieses im Fall von Kai Diekmann mitunter auch aus Seilschaften besteht. Dass Diekmann dem konservativ-liberalen Lager politisch am nächsten stand, dürfte nicht zuletzt beim Blick auf dieses Foto wenig überraschen: Der Mann sah lange Jahre aus wie Karl-Theodor zu Guttenberg, oder umgekehrt, also damals, als beide noch aussahen wie sie selbst. Es gibt auch härtere Indizien in Bildform: Im Frühjahr 2013 sorgt ein Schnappschuss von Diekmann und dem damaligen Vizekanzler Philipp Rösler (FDP) in inniglich-brüderlicher Umarmung für Irritationen. Und es ist wohl kein Zufall, dass Diekmann eine Biografie über Helmut Kohl veröffentlicht hat. Als Kohl Kanzler war, soll Diekmann so enge Verbindungen ins Kanzleramt gepflegt haben, dass ihn einer seiner Ex-Chefs sicherheitshalber aufs Abstellgleis schob (siehe "Karrierist").

Kein politisches Schicksal hat Diekmann so sehr mitbestimmt wie das von Christian Wulff. Diekmanns Bild-Zeitung schreibt den CDU-Politiker hoch, sichert ihm mit rührigen Homestorys Sympathien, macht ihn zum wertvollen Mann für seine Partei. Aus dem niedersächsischen Ministerpräsidenten Wulff wird der Bundespräsident Wulff. Dann kommt die Hauskredit-Affäre, die zur Handy-Affäre wird: Wulff versucht, die ihm unliebsame Berichterstattung über seine fragwürdigen Finanzgeschäfte mit einer Nachricht auf der Mailbox des Bild-Chefredakteurs zu stoppen. Diekmann macht den Mitschnitt öffentlich - das Seil ist zerhackt. Am 17. Februar 2012 tritt Wulff als Bundespräsident zurück.

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Diekmann ... der Privatmann

Kai Diekmann und Ehefrau Katja Kessler

Quelle: DPA

Kai Diekmann ist ein treuer Mensch. Zumindest wenn es um zwei Dinge in seinem Leben geht: die Bild-Zeitung und seine Ehefrau Katja Kessler. Mit ihr ist Diekmann seit 2002 verheiratet, das Foto zeigt das Paar bei der standesamtlichen Hochzeit im Hamburger Rathaus. Die beiden haben mittlerweile vier Kinder - und wohl immer ein Gesprächsthema am Esstisch: die gemeinsame Leidenschaft für den Boulevard. Denn Kessler entschied sich nach der Promotion in Zahnmedizin für einen komplett anderen Beruf. Sie machte ein Praktikum bei der Bild-Zeitung, wurde Kolumnistin, später Buchautorin. So verfasste sie unter anderem die skandalumwitterten Biografien von Musikproduzent Dieter Bohlen. Auch ihr Eheleben verarbeitete Kessler literarisch ("Frag mich, Schatz, ich weiß es besser!: Bekenntnisse einer Ehefrau", "Das Schatzi-Experiment oder Der Tag, an dem ich beschloss, meinen Mann zu dressieren", "Silicon Wahnsinn: Wie ich mal mit Schatzi nach Kalifornien auswanderte").

Wie man sich die Zusammenarbeit dieses - ja, an dieser Stelle sei das Wort erlaubt - Power-Paares vorstellen muss? Zitat Kessler: "Mein Mann ist der grässlichste Lektor, den man sich überhaupt vorstellen kann. Meist hat er keine Zeit und wenn, dann sitzt er murrend da und krickelt wild in meinem Manuskript herum. Ich bin dazu übergegangen, ihn mit einem großen Teller Nudeln vor den Fernseher zu setzen und fragliche Passagen lieber meiner Mutter vorzulesen."

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Diekmann ... der digitale Revoluzzer

Kai Diekmann

Quelle: dpa

Digitale Revolution. Davon spricht Kai Diekmann gerne, das ist seit einiger Zeit sein Leib- und Magenthema. Auch in der Pressemitteilung zum Personalwechsel geht es um die Zukunft des Journalismus in Zeiten des Internets. Mit Tanit Koch als Print-Chefredakteurin und Julian Reichelt als Digital-Chef sei man "hervorragend aufgestellt, um die Marke Bild erfolgreich durch die digitale Revolution zu führen". Bis vor Kurzem noch, konnte man das Gefühl haben, das sei die alleinige Aufgabe von Diekmann.

Für die digitale Revolution wandelt sich der Journalist zum Hipster. Er reist ins Start-up-Land Silicon Valley, bevor es alle anderen tun, und lässt seinen Bart wuchern. In San Francisco holt er sich Inspiration und Ratschläge für die Zukunft seiner Branche. Zurück in Deutschland will er ein Motor der Modernisierung sein. Heute hat man vor allem das Gefühl, dass Diekmann sein Smartphone nicht mehr aus der Hand legt - darauf lässt seine beachtliche Aktivität in den sozialen Medien schließen. Eine einschneidende Veränderung erlebte die Bild unter Kai Diekmann zweifellos: Nach 28 Jahren schaffte das Boulevardblatt das barbusige Seite-1-Girl ab. Nicht mehr zeitgemäß, hieß es.

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Diekmann ... der leidenschaftliche Streithammel

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Quelle: imago stock&people

Wenn sich Kai Diekmann eines Tages aus Bild und Boulevard zurückzieht, wird ihn sein Penis überdauern. Es sei denn die Tageszeitung taz entscheidet sich dafür, das Relief "Friede sei mit Dir" des Bildhauers Peter Lenk an der Ostwand des Rudi-Dutschke-Hauses entfernen zu lassen. Dort prangt seit 2009 eine Plastik Diekmanns - mit einem fünfstöckigen Penis. Hintergrund des Kunstwerks ist ein Rechtsstreit des Bild-Chefredakteurs mit dem taz-Autor Gerhard Henschel, der Diekmann in einem Satire-Format eine missglückte Operation zur Penisverlängerung unterstellte. Das Relief sorgte jedoch für interne Diskussionen bei der taz. Und Diekmann, der leidenschaftliche Streithammel, feuerte zurück. Er ließ eine satirische Ausgabe im typischen taz-Layout drucken, in der er sich unter dem Motto "Satire darf alles" für den Erhalt des Werkes einsetzte.

Überhaupt scheut Diekmann keine Mühen, wenn es um eine Wort-Keilerei geht. Als Bushido ihn auf seinem Album "Carlo Cokxx Nutten 3" einen "Hurensohn wie Kay One" nannte, antwortete Amateur-Rapper Diekmann mit einem eigenen Diss-Track: "Die nächste Story über dich, liegt in meinem Waffenschrank. In Kreuzberg bin ich der Boss im 16. Stock."

© SZ.de/jobr/doer/hum
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