Süddeutsche Zeitung

Kachelmann-Prozess:"Recht auf Gegenschlag"

Jörg Kachelmann klagte, da seine Ex trotz Freispruchs weiter öffentlich am Vorwurf der Vergewaltigung festhielt. Das ist ihr Recht.

Von Wolfgang Janisch

Es war ein Showdown im Fernduell, damals, in den Wochen nach dem spektakulären Freispruch des Jörg Kachelmann vom 31. Mai 2011. Kachelmann äußerte sich ausführlich in der Zeit zum überstandenen Vergewaltigungsprozess - und sparte natürlich auch Claudia D. nicht aus, die "sich den Vorwurf der Vergewaltigung ausdachte (. . .). Das ist kriminell. Dafür gibt es keine Rechtfertigung", wetterte Kachelmann. Claudia D. konterte damals ihrerseits in der Bunten mit der Bemerkung, dass die "Vergewaltigungsgeschichte" keineswegs erfunden gewesen sei: "Wer mich und ihn kennt, zweifelt keine Sekunde daran, dass ich mir diesen Wahnsinn nicht ausgedacht habe. Ich bin keine rachsüchtige Lügnerin."

Weil damit, trotz des Freispruchs, nach wie vor zwei gegensätzliche Wahrheiten in der Welt waren, klagte Kachelmann auf Unterlassung dieser Behauptungen. Bis hinauf zum Bundesgerichtshof bekam er in drei Instanzen recht. Doch nun hat das Bundesverfassungsgericht auf die Beschwerde von Claudia D. das Urteil aufgehoben und an das OLG Köln zurückverwiesen. Ihre Äußerungen seien von der Meinungsfreiheit gedeckt.

Es ging im Interviewgefecht nicht um Lüge und Wahrheit, sondern um Meinungen

Bemerkenswert an dem Beschluss der Karlsruher Richter ist, dass sie Claudia D.s Beharren auf dem Vergewaltigungsvorwurf ("Es war aber so!") nicht etwa als eine falsche, weil dem Ergebnis des Strafprozess widersprechende Version des Geschehens einstufen, sondern als subjektive Bewertung eines nicht aufklärbaren Geschehens. So hatten es auch die Vorinstanzen gesehen; die Verfassungsrichter halten fest: "Die Tatsachenbehauptungen sind nicht erwiesen unwahr." Der Prozess habe die Wahrheit nicht aufklären können. Das wirkt auf den ersten Blick überraschend, ist aber insofern konsequent, als das Landgericht Mannheim selbst festgestellt hatte, der Freispruch sei lediglich die Konsequenz begründeter Zweifel an der Schuld des Angeklagten - in dubio pro reo: "Der heutige Freispruch beruht nicht darauf, dass die Kammer von der Unschuld von Herrn Kachelmann und damit im Gegenzug von einer Falschbeschuldigung der Nebenklägerin überzeugt ist", formulierte das Landgericht seinerzeit.

Damit ging es im Interviewgefecht also nicht um Lüge und Wahrheit, sondern um einen Kampf der Meinungen, zu dem auch Gefühle als "unmittelbarer Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit" gehören. Das "umfasst nicht zuletzt die Freiheit, die persönliche Wahrnehmung von Ungerechtigkeiten in subjektiver Emotionalität in die Welt zu tragen", schreibt das Gericht. Umso mehr, als - so ist der Beschluss zu verstehen - Kachelmann angefangen hat: "Wer im öffentlichen Meinungskampf zu einem abwertenden Urteil Anlass gegeben hat, muss eine scharfe Reaktion auch dann hinnehmen, wenn sie das persönliche Ansehen mindert." Die Richter sprechen von einem "Recht auf Gegenschlag". Zwar halten sie Kachelmann zugute, dass nach dem Freispruch die schweren Vorwürfe "jedenfalls nicht unbegrenzt wiederholt werden dürfen". Andererseits gehörten zur Debatte über das Thema "auch die Härten, die ein rechtsstaatliches Strafprozessrecht aus Sicht möglicher Opfer haben kann".

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SZ vom 30.04.2016
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