Süddeutsche Zeitung

Kachelmann ist wieder da:Rückkehr mit fettem Hoch und Ehering

Lesezeit: 4 min

War da was? Er ist wieder da und man kann auf den ersten Blick nicht sagen, ob jetzt alles anders ist - oder ob er nicht eigentlich genau so schon immer war: ein fusseliger Laber-Onkel. Jörg Kachelmann, Wolkenexperte des deutschen Fernsehens, gefallener Star des Infotainments, macht wieder in Wetter.

Michael Grill

War da was? Er ist wieder da und man kann auf den ersten Blick nicht sagen, ob jetzt alles anders ist - oder ob er nicht eigentlich genau so schon immer war: ein fusseliger Laber-Onkel, ein bisschen zu nett, ein bisschen zu freundlich, bemüht bis zum Anschlag. Jörg Kachelmann, Wolkenexperte des deutschen Fernsehens, gefallener Star des Infotainments, ein Ehemann, der in einem in vielerlei Hinsicht unheimlichen Vergewaltigungsprozess freigesprochen wurde, macht wieder in Wetter.

Nach zwei Jahren ist er wieder auf dem Schirm. Oder vielleicht doch besser: auf einem Schirmchen. Kachelmann macht die "Jörg Kachelmann-Wettervorhersage" auf dem Regionalsender main.tv mit Sitz in Aschaffenburg. Die Verantwortlichen des Senders waren angeblich selbst überrascht, als Kachelmann für den Job zugesagt hat. Denn im Herbst 2010 hatte er eine Rückkehr auf den TV-Schirm mit Hinweis auf sein im Prozess "gewaltsam öffentlich gemachtes Privatleben" ausgeschlossen. Jetzt gilt das anscheinend nicht mehr.

Im Web ist die Aufzeichnung von Kachelmanns Auftritt platziert zwischen Lokalnachrichten wie "Leinenzwang für Hunde in A'burg" und Service-Meldungen a la "Ratgeber Recht - Wichtige Tipps in Sachen Scheidung", was bei Kachelmann unfreiwillige Assoziationen auslöst.

Der Auferstandene selbst präsentiert sich in einem Wollpulli, der nach Abizeiten in den Achtzigern aussieht. Er beginnt auch am Untermain mit einem südlich-süßlichen "Grüß Gott und Willkommen zum Wochenendwetter" und rast in bekannter Manier in die Moderation hinein: "Viele Winterliebhaber haben lange drauf gewartet, dass es mal passiert - jetzt sieht es so aus, als ob sich die russische Kaltluft endlich in unsere Richtung auf den Weg macht."

An der linken Hand ein Ehering

Dann hält er eine kleine Wetterkarte auf einem Karton vor sein Gesicht und beginnt auf ihr herumzudeuten: "Man sieht schon: dieses fette russische Hoch hier ..." An der ins Bild gehaltenen linken Hand sieht man überdeutlich seinen Ehering, was bei Kachelmann erneut unfreiwillige Assoziationen auslöst.

Er frohlockt über einen "Frontenfriedhof", bei dem "von Westen her mit Müh und Not die feuchte, warme Soße reinkommt und dann mehr oder weniger an Ort und Stelle verendet". Sein Lieblingswort ist "flöckeln", was bei Kachelmann unfreiwillige Assoziationen auslöst ...

Kachelmann zeigt eine wie von Kinderhand gekrakelte Regionskarte, die irgendwas zwischen Odenwald und Spessart abbildet, und beginnt Papiere vom Tableau herunterzuziehen, wie einst Bob Dylan im Video zu "Subterranean Homesick Blues", was aber letztlich eine falsche Assoziation sein dürfte.

Eisiger Gipfel der Kinderkrakelei: "Gesäß kalt!" - und noch ein bisschen Werbung für die Kachelmann-App, an der das beste sei, dass sie kostenlos ist.

Und nun? Es ist ein seltsames Gefühl, den Mann so zu sehen. Hat das Wetter seine Unschuld verloren? Und was war eigentlich so toll daran, dass einer aus den Nachrichten zum Wetter eine blubbernde Wettershow macht?

Ich erinnere mich an meinen Text von vor mehr als 17 Jahren: Die Kritik in der SZ zu Kachelmanns Wetter-Start in der ARD. Sie trug die Überschrift "Benebelt" und erschien auf der SZ-Seite "Funk und Fernsehen" am 5. Dezember 1994.

Mein Text war damals schon nicht unbedingt mehrheitsfähig. Und was ist nicht alles passiert seit 1994 ... Trotzdem: Ich könnte das eigentlich genau so wieder aufschreiben:

"Jaja, Herr Kachelmann hat schon recht: Es fehlt der Jahreszeit an Schnee, und dieser 'Trend', der setzt sich auch noch fort! Wohin, das lassen wir jetzt mal offen, aber wir ahnen, was er gemeint haben könnte. Das haben wir immerhin schon gelernt, nach einer Woche Wetter- Show. Einfach war es nicht, schließlich beschleunigt Kachelmanns Wetterkunde auch noch den letzten Graupelschauer über Südthüringens Tälern vom Nachrichtenwert her auf Orkangeschwindigkeit.

Und dann prasselt es nur so auf das Publikum herab: 'Am Nachmittag ein bißchen eine Änderung - mehr Aufhellung etwa an einer Linie Pfälzer, Oden-, Bayerischer Wald, da kann's auch mal kurz aufreißen aus dem Nebel raus, Richtung Norden und Nordost eher das Gegenteil - immer mehr Wolken im Laufe des Tages und bei frischem Westwind vor allem entlang der Vorpommerschen Küste, entlang bis zur Lausitz, also, je näher zur Oder, desto mehr auch etwas Regen oder Sprühregen, das Ganze staut sich dann auch später wieder entlang des Erzgebirges.'

Aufreißen aus dem Nebel raus? Die Lausitz an der Küste? Ist wohl wurscht, schließlich wird hier ja auch die Rhön westlich an den Thüringer Wald 'angedockt', und im Osten 'schleicht' die Kaltluft vorbei; manchmal wird dort auch 'irgendwas herangeschlürft'. Oder die Tiefs ziehen alle um die Ecke von 'nem Omega herum, das nennt man dann Omega-Blocking.

Was es alles Wissenswertes gibt! Am Reif, der auf einer Blume liegt, kann man zum Beispiel ablesen, daß der Winter 'von links' gekommen ist. Was haben wir gestaunt! Und dann erst: An einem Barometer sind hinten Schrauben dran, mit denen man es richtig einstellen kann, natürlich mit Kachelmann. Falls aber, sagt Herr Kachelmann, falls aber auf unserem Barometer doch ganz andere Zahlen drauf sein sollten wie auf seinem, dann teilen wir die Zahlen schnell durch vier mal drei (durch zwölf? mal eindreiviertel?) - und schon ist wieder alles Sonnenschein. Falls aber auch das nicht hilft, sagt Kachelmann, hilft Videotext- Tafel 309. Leicht ist schwer, was?

Es wird feucht - ist das ein Wertewandel des Wetters, hat SZ-Feuilleton-Chef Johannes Willms neulich gefragt, und Ulrich Wickert antwortete: 'Ich fürchte, daß das Wetter an Wert verloren hat.' Stimmt nicht! Mit Kachelmann ist das Wetter immer noch unser gemeinsamer Feind, und der ist gefährlich wie noch nie. Egal. Niemand hat was gegen Tempo und unkonventionelle Präsentation, nur kapieren würde man halt schon gerne was. Zum Glück gibt's ja immer noch das alte Tagesschauwetter um Viertel nach acht."

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